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II
ОглавлениеMalte Fittkau schreckte hoch. Das Geräusch einer Kreissäge hatte ihn geweckt. Er schaute auf seinen Wecker. Kurz nach drei Uhr. Nachts. Selbst auf Hiddensee benutzte um diese Zeit niemand eine Kreissäge. Eigentlich. Da hörte er wieder dieses hohe Kreischen. Vielleicht balgten sich zwei Kater. Aber dafür war es eigentlich zu kalt. Sein eigener grauer Kartäuser, der abends immer auf der Pirsch war und keinen Kampf scheute, um sein Revier zwischen Wiesenweg und Sprenge zu verteidigen, hatte es in den letzten Tagen vorgezogen, die Nacht vor dem warmen Ofen zu verbringen. Draußen war es einfach zu kalt.
Malte schwang sich aus dem Bett, ging zum Fenster und hob vorsichtig die Gardine. Auf der Sprenge, dem Weg hinter dem Boddendeich in Vitte, war kein Mensch zu sehen. Es war tiefe Nacht, nur durch den weißen Schnee etwas heller als sonst. Da war es wieder! Diesmal ein ganz hohes Sirren, als schneide jemand Metall. Am Ende gab es einen dumpfen Klang. Wie ein tiefer Gong. Jetzt ahnte Malte, was gerade geschah. Er riss seine Sachen vom Stuhl, sprang in seine Latzhose, zog sein Hemd und seinen dicken Wollpullover darüber. Er rannte die Treppe hinunter. Aus den Augenwinkeln sah er seinen Kater auf dem Fensterbrett sitzen, nach draußen schauen und heftig mit dem Schwanz schlagen. Auch ihn beunruhigten diese seltsamen Töne.
Malte schnappte sich seine Stiefel und die Wattejacke. Die Schapka stülpte er sich auf den Kopf. Der Kater folgte ihm bis zur Schwelle und trat dann beim ersten Kontakt seiner Pfoten mit dem Schnee den Rückzug in die warmen Gefilde des alten Reetdachhauses an.
Malte rannte durch den tiefen Schnee den Deich hinauf. Er schaute nach rechts. Wie er es erwartet hatte: Die „Caprivi“, ein alter Dampfer aus DDR-Zeiten, hatte Schlagseite. Immer mehr neigte sie sich nach Steuerbord. Wahrscheinlich hatte das Eis die stählerne Schiffshaut durchbohrt. Daher das kreischende Geräusch. Stählern war allerdings an dem alten Kahn schon lange nichts mehr. Der Rost fraß sich seit Jahren Stück für Stück durchs Schiff. Der Gong war dann das Platzen des Schiffskörpers gewesen. Nun drang Boddenwasser in das Leck ein. Malte hörte das Wasser unter der Eisfläche rauschen und glucksen. Das Schiff drohte zu sinken. Die Taue am Festmacher waren gespannt. Die Frage war nur, wer stärker war, die Hafenmauer oder die Taue. Wurden die Taue nicht gekappt, könnte auch noch ein Teil der Hafenanlage zerstört werden und sich das Wasser seinen Weg in den Deich bahnen. Würde es dort zu Eis, drohte eine Katastrophe. Das Eis konnte den Deich sprengen und dann würde sich der Bodden über die tieferen Grundstücke von Vitte ergießen.
Was tun? Malte lief hin und her. Er brauchte ein Beil, um die Taue zu zerschlagen. Warum hörte denn kein Mensch, was hier vorging? Er stürmte zurück, lief zu seinem Schuppen, riss die Tür auf und griff sich ein Beil. Dann sprintete er zum Anleger der „Caprivi“, zerschlug das Tau vorn am Bug. Knapp an seinem Kopf vorbei zischte es auf die vordere Bootsplattform. Dann rannte er zum Heck. Dort brauchte er drei Schläge, um das Tau zu kappen. Nun krängte das Schiff noch mehr aufs Eis. Malte erschrak. Die „Caprivi“ drohte seitwärts zu sinken. Doch dann blieb das Schiff plötzlich in der Bewegung stehen. Das Rauschen wurde leiser und langsam bewegte sich das Schiff wieder in Richtung Kai zurück. Malte sah es auf sich zukommen. Er wich Schritt um Schritt zurück. Das Schiff kam wieder in die Waagerechte und brach durchs Eis. Fontänen schossen nach oben. Dann sank die „Caprivi“ auf den Boden des Boddens, der hier allerdings nicht tiefer als höchstens einen Meter war. Malte war wie vom Donner gerührt. Wie erstarrt blickte er auf das gesunkene Schiff.
Vorsichtig ging er bis an die Kante des Kais. Da lag die „Caprivi“, als wäre nichts geschehen. Allerdings jetzt einen Meter tiefer. Aus der Tiefe drang wieder das Gurgeln des eindringenden Wassers. Die Eisschollen färbten sich langsam schwarz. Malte sammelte sich. Er rannte, so schnell er konnte, auf dem Deichweg vor zum Feuerwehrhaus. Dort schlug er die kleine Scheibe neben dem Tor ein und drückte den Knopf für die Sirene. Langsam begann sie zu heulen und weckte die Insel.