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XI

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Damp war noch einmal ins Revier zurückgekehrt, nachdem er Nelly Blohm abgesetzt hatte. Es zog ihn nicht in seine Wohnung in Neuendorf. Dort wartete nur eine Tiefkühlpizza auf ihn. Nachdem das „Strandcafé“ in Neuendorf geschlossen hatte, war er ohne Stammkneipe. Frust stieg in Damp auf. Er könnte natürlich in die „Fischerklause“ gehen, wo sich die Einwohner von Vitte trafen. Aber er wusste, was passierte. Wenn er die Tür öffnete, würden die Gespräche der Gäste verstummen und sie ihm so zu verstehen geben, dass er nicht erwünscht sei. Die Hiddenseer hatten es nicht so mit der Obrigkeit.

Ihm ging aber auch das Gespräch mit der Witwe von Martin Dehne nicht aus dem Kopf. Damp hoffte immer noch, dass der Pathologe anrufen und mitteilen würde, dass Dehne eines ganz normalen Todes gestorben sei. Aber was, wenn nicht? Dann hatte er die Blohm weiter am Hacken. Die war fitter als er, gestand er sich ein. Das könnte zum Problem werden. Er schaute wieder auf den Weihnachtsstern. Wenn er ehrlich war, hatte Rieder ihn nie schlecht aussehen lassen gegenüber Polizeidirektor Bökemüller, sich ihre Fahndungserfolge nie allein auf die Fahne geschrieben. Bei Nelly Blohm würde er darauf nicht vertrauen.

Was hatte Laura Ihlow über Böhnke, den Fuhrunternehmer, gesagt? Er war nicht gekommen? Das war nicht Böhnkes Art. Böhnke war bekannt für seine Zuverlässigkeit. Egal ob Sturm, Regen oder Sonnenschein, stand er mit seiner Kutsche bei einer Reservierung immer pünktlich vor der Tür. Damp hatte es schon öfters erlebt, dass Böhnke Kollegen, ganz gleich ob aus seinem eigenen oder einem anderen Fuhrunternehmen auf der Insel, heftig zur Ordnung rief, wenn sie zu spät am Hafen eintrafen, um Gäste aufzunehmen. Er sollte sich mit Böhnke unterhalten, beschloss Damp. Dabei könnte er auch gleich gut zu Abend essen. Außerdem würde er den Rat seines Psychologen aus der Kurklinik befolgen. Er hatte ihm empfohlen, mehr auf die Menschen auf Hiddensee zuzugehen.

Barnhöft hatte mit seinem Schneepflug am Abend noch einmal die wichtigsten Straßen auf der Insel geräumt. So konnte Damp zwar langsam, aber ohne große Probleme nach Kloster fahren. Er wollte den Anstieg hinter dem Inselmuseum auf dem Kirchweg meiden und bog deshalb schon vor Kloster nach rechts in den Weißen Weg ein, fuhr durch das alte Klostertor, dann nach links am Supermarkt vorbei zur Inselkirche. Dort war der Kirchweg weniger steil und, wie Damp bemerkte, sogar gestreut. Er parkte am Parkplatz für die Kutschen.

An den Tischen im „Haus Hiddensee“ saßen ein paar Touristen. Es war noch nicht allzu spät. Die Einheimischen hockten an der Theke. Zu denen zählten in Kloster nicht nur eingeborene Hiddenseer, sondern auch die „Zugereisten“. So bezeichneten die Insulaner jene, die nicht von der Insel stammten, sondern sich hier niedergelassen hatten. Viele von ihnen waren Künstler. Dann gab es aber auch Wissenschaftler und Manager, die sich ein Haus im Ort oder im Hochland gekauft oder gebaut hatten und nun auf der Insel ihren Ruhestand verbrachten. Es gab auch Aussteiger, die sich mehr schlecht als recht auf Hiddensee durchschlugen.

Damp wurde mit einigem Hallo begrüßt. „Was willst du denn hier? Das ist doch gar nicht dein Revier?“

„Wenn der Damp jetzt hier einen trinkt, muss er am Ende gegen sich selbst ein Bußgeld verhängen, weil er unter Alkohol gefahren ist.“

Alle lachten. Damp lächelte. Er setzte sich an einen Tisch. Erst konnte er Böhnke nicht entdecken, obwohl das hier seine Stammkneipe war. Dann kam der Fuhrmann von der Toilette. Damp stand auf und ging auf ihn zu.

„Hallo, Böhnke, ich müsste Sie mal sprechen.“

„Mich?“, fragte Böhnke verunsichert.

„Warum?“

„Es geht um Martin Dehne.“

„Der ist doch tot.“

„Darum geht es ja.“

Damp bat Böhnke an seinen Tisch.

„Böhnke, pass auf“, rief einer von der Theke. „Sicher wird Damp gleich deinen Schlitten auf Fahrtüchtigkeit kontrollieren, ob auch die Kufen das richtige Profil haben.“

Nachdem sie sich gesetzt hatten, bestellte Damp Bismarckhering mit Bratkartoffeln und Remoulade und ein Bier. „Wollen Sie auch ein Bier?“, fragte er Böhnke. Eine Premiere. Damp hatte noch nie jemanden auf der Insel zum Bier eingeladen. Die Gäste an der Theke wie auch Böhnke starrten den Polizisten ungläubig an. „Jo, aber auf deine Rechnung, Damp“, versicherte Böhnke sich noch einmal.

„Versteht sich. Also für Böhnke noch ein Bier. Ich zahle es dann mit.“

Als die Kellnerin verschwunden war, fragte Damp: „Warum sind Sie denn in den letzten Tagen mit Ihrem Schlitten nicht mehr für das Hotel ‚Dornbusch‘ gefahren?“

Böhnke sah Damp an, dann rieb er Daumen und Zeigefinger. „Wenn es hier stimmt, bin ich dabei. Wenn es hier nicht stimmt, bin ich nicht dabei.“

„Und bei Dehne stimmte es nicht?“

„Nö.“

„Also stimmte es doch?“

„Nö.“

Damp schaute verdutzt. „Was denn nun? Ja oder nein?“

Böhnke rieb sich das Kinn. „Nö. Es stimmte nicht.“

„Ach so. Konnte er Sie nicht bezahlen?“

„Genau.“

„Um wie viel handelt es sich denn?“

Böhnke wiegte den Kopf hin und her. „Geschäftsgeheimnis.“

„Nun lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen“, beschwerte sich Damp.

Das Bier kam. Die beiden prosteten sich kurz zu und nahmen dann jeder einen tiefen Schluck. Dann saßen sie sich schweigend gegenüber. Damp zermarterte sich das Hirn, wie er Böhnke die Zunge lockern könnte.

„Ist ja ein sehr intensives Gespräch“, lästerte einer von der Theke. „Damp bringt die Zeugen nicht zum Reden, sondern zum Schweigen.“

Damp machte einen neuen Versuch. „Wann haben Sie Martin Dehne denn das letzte Mal gesehen?“

„Silvester.“

„Früh oder abends?“

„Vormittags.“

„Und wo?“

„Hier.“

„Hier im ‚Haus Hiddensee‘?“, fragte der Polizist überrascht.

„Biste blöde?“, antwortete Böhnke ärgerlich. „Mensch, in Kloster!“

„Und was hat er gesagt?“

„Ob ich ihn fahren kann.“

Damp war nah dran zu explodieren.

„Wohin?“

„Nach Vitte.“

„Warum?“

Böhnke drehte den Kopf etwas nach links und kniff die Augen leicht zusammen. „Ist das hier ein Intelligenztest? Warum wohl, Damp? Von da fahren die Schiffe. Wenn sie fahren“, setzte er hinzu.

Damp winkte die Bedienung heran. „Bringen Sie uns mal zwei Korn.“

Sie leerten ihre Gläser in einem Zug.

„Damp, du legst dich ganz schön ins Zeug“, stellte Böhnke fest. „Dann will ich mal nicht so sein. Dehne ist ja sowieso tot. Da ist es auch egal.“ Bevor er weitersprach, machte er der Kellnerin ein Zeichen, noch zwei Korn zu bringen.

„Ich muss noch fahren“, versuchte Damp zu protestieren und nickte mit dem Kopf in Richtung der Einheimischen.

„Die Straße nach Neuendorf geht ja von hier fast immer geradeaus. Das schaffst du schon. Und die Dösköppe vergiss mal.“

Wieder stürzten sie den Korn hinunter.

„Der Dehne wollte mich sozusagen exklusiv für seine Bude da oben. Weißt du, was das ist?“

Damp nickte.

„Und weißt du auch, was das kostet?“

Damp schüttelte den Kopf.

„Dehne wusste es auch nicht. Leider. Nun sitze ich auf knapp dreitausend Glocken, die ich wahrscheinlich in den Wind schreiben kann. Denn Tote zahlen nicht. Die Erben übrigens auch nicht. Prost.“

Böhnke hob sein Bierglas und trank. „Dehne hatte mir versprochen, mich zu bezahlen, wenn er aus Bergen zurückkommt. Kam er aber nicht. Auf der Fähre war er nicht. Zweimal bin ich Silvester am Nachmittag nach Vitte gefahren. Immer umsonst. Na ja, nicht ganz. Einmal habe ich noch einen Gast von ihm zum Hotel hochgebracht. Aus Mitleid. Der hat mir dann ein paar Kröten Trinkgeld in die Hand gedrückt. Aber Dehne war nicht da. Deshalb bin ich dann da oben auch nicht mehr aufgetaucht. Verstehst du?“

„Ich verstehe“, bestätigte Damp. „Aber irgendwann muss er doch zurückgekommen sein. Sonst hätte er doch nicht tot auf dem Schiff gelegen. Wie soll er denn wieder auf die Insel gekommen sein? Neujahr fuhren dann doch auch keine Schiffe mehr.“

„Also bei der letzten Fähre war ich nicht.“ Böhnke trank sein Bier aus und stand auf. „Gut zu wissen“, sagte sich Damp. Dehne musste also mit der letzten Fähre gegen achtzehn Uhr in Vitte am Silvesterabend angekommen sein.

Dann ging er zur Theke, drehte sich aber plötzlich um und kam wieder zurück.

„Da fällt mir noch was ein“, erklärte Böhnke und setzte sich wieder hin. „Am Fähranleger warteten schon welche, die auch zu seinem Hotel wollten. Ein Ehepaar. Die müssen mit der Fähre um zehn gekommen sein. Dehne begrüßte sie und drückte dem Mann dann einen großen braunen Briefumschlag in die Hand. Dann hat Dehne noch was gesagt wie ‚Lies dir das mal gut durch und dann reden wir mal Klartext‘.“ Böhnke dachte noch mal nach, aber dann war er sich sicher. „Ja genau. Das waren seine Worte gewesen. Dann reden wir mal Klartext.“

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