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III

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Barnhöft kam angerannt. Er knöpfte sich im Laufen noch die Uniform zu. Er stutzte, als er Malte am Feuerwehrschuppen sah. „Was soll denn das?“

„Die ‚Caprivi‘ ist gesunken“, brachte Malte japsend hervor. Er war noch völlig aus der Puste.

Barnhöft schaute den Deich hinab.

„Die liegt doch da.“

„Ja, aber einen Meter tiefer.“

Jetzt sah es der Feuerwehrmann auch. Er kratzte sich am Kinn.

„Das ist vielleicht ein Scheiß. Aber da kann man nun auch nichts mehr machen.“

„Muss man aber“, erwiderte Malte, „Öl tritt aus. Oder was weiß ich. Jedenfalls ist das ganze Eis drum herum schon schwarz.“

„Was?“, brüllte ihn Barnhöft ungläubig an, um dann seinen heranstürmenden Kameraden zuzurufen: „Ölalarm!“

Doch die Feuerwehr konnte nicht ausrücken. Der Schnee lag in der Sprenge zu hoch. Gut einen Meter. Hier war auch in den letzten Tagen nicht geräumt worden. Das Fahrzeug würde sofort stecken bleiben. Barnhöft überlegte. Sie mussten Ölsperren auslegen. Sie bis zum Schiff zu bugsieren, war den Männern nicht zuzumuten. Er hatte eine Idee. „Ich hol den Schneepflug und ihr fahrt dann gleich hinterher.“

Barnhöft lief zum Gewerbehof der Hiddenseelogistik im Hafen. Keine drei Minuten später kam er in hohem Tempo mit dem Schneepflug durchs Tor. Wie Mehlstaub stob der Pulverschnee zur Seite. Halsbrecherisch lenkte Barnhöft das Räumfahrzeug um das Feuerwehrgebäude, am alten Hafenschuppen vorbei, dann nach rechts über den Deich. Nur mit Mühe bekam er bei der Geschwindigkeit die Kurve nach links in die Sprenge. Die Feuerwehr fuhr hinterher.

Am Schiff gab es für die Feuerwehrleute neue Schwierigkeiten. Sie konnten nicht auf das brüchige Eis treten. Die Gefahr einzubrechen war zu groß. Aber sie mussten um das Schiff noch mehr Eis wegschlagen, um die Ölsperren in einigem Abstand von der „Caprivi“ ins Wasser zu bringen, wenn sie was bewirken sollten.

Verdrießlich stiegen drei Männer in ihre Wathosen und ließen sich neben dem Schiff in das eisig kalte Wasser gleiten. „Hier holt man sich ja den Tod“, jammerte einer.

„Nun hab dich nicht so“, trieb Barnhöft seine Leute an. „Was seid ihr doch alles für Memmen.“

Malte stand dabei, die Hände in den Taschen seiner Wattejacke. „Du kannst ruhig auch was tun“, herrschte ihn Barnhöft an.

„Bin ich Feuerwehrmann?“, gab Malte zurück. „Mach mal deinen Dreck schön alleine.“

Aber Barnhöft hörte nicht richtig hin. „Wer hat denn eigentlich die Taue gekappt?“ Er sah Malte wütend an.

„Ich dachte …“

„Du dachtest … Was hast du dir gedacht?“, brüllte der Feuerwehrkommandant. „Nichts hast du dir gedacht! So hätten wir vielleicht den ganzen Mist noch über Wasser aus dem Kahn pumpen können.“

„Hätte, hätte! Der alte Hättich ist tot“, keifte Malte zurück. „Außerdem hätte der Kahn den halben Kai mit sich gerissen.“

Barnhöft musste Malte im Stillen recht geben, wollte es aber nicht zeigen. Er winkte ab und drehte sich um. Malte zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich ungerecht behandelt.

Barnhöft winkte seinen jüngsten Kameraden heran. „Poschau, du kletterst ins Schiff und versuchst in den Maschinenraum zu kommen. Ich will einen Bericht, wie es da unten aussieht. Wasserstand, Lecks in den Tanks. Aber zack, zack!“

„Und wie soll ich da reinkommen?“, fragte Bernd Poschau.

Barnhöft schob sein Gesicht ganz nah an das des jungen Feuerwehrmannes. „Draufklettern, Luke öffnen, einsteigen. Los jetzt!“

Bernd Poschau ließ sich auf das Vorderdeck des Schiffes gleiten und versank bis zur Hüfte im Schnee. Dann schob er die Hebel an der Einstiegsluke zum Fahrgastraum zur Seite und kletterte in das Schiff, kam aber gleich wieder rückwärts heraus. Das Gesicht leichenblass, den Arm ausgestreckt, zeigte er mit dem Finger immer wieder ins Innere des Schiffes.

„Mensch, Poschau, haste nicht verstanden, was ich dir gesagt habe, du sollst nicht raus, sondern rein ins Schiff“, donnerte Barnhöft von oben.

„Chef, da sitzt einer!“

Die Sirene hatte auch die Bewohner der umliegenden Häuser aus den Betten getrieben. Zum Teil schauten sie aus dem Fenster, was sich dort rund um die „Caprivi“ abspielte. Einige standen aber nun auch frierend auf dem Deich. Einer war sogar mit Skiern gekommen und beobachtete das Treiben.

Malte hatte es sich nicht nehmen lassen, Barnhöft auf das Vorderdeck zu folgen. Er blickte mit ihm durch die geöffnete Luke unter Deck. Der Schein einer Taschenlampe beleuchtete einen leblosen, halb nackten, sitzenden Mann. Reif hatte sein Haar und seinen Bart überzogen. Die Haut war grau gefärbt. Über dem leblosen Körper stand der Schriftzug „Bar Blue Mayday“ in goldener Farbe.

„Möselbeck muss her“, meinte Barnhöft.

„Der braucht keinen Arzt mehr“, erwiderte Malte trocken.

Barnhöft sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Trotzdem muss der Doc her und ihn sich ansehen. Und der Damp. Wo ist der eigentlich? Braucht der neuerdings eine Extraeinladung?“

Barnhöft holte sein Funktelefon hervor und rief den Inselarzt an. Danach wollte er gerade den Inselpolizisten Ole Damp anrufen, als dessen mächtiger Körper oben an der Kaikante erschien.

„Schön, Damp, dass du es einrichten konntest. Hier liegt, entschuldige, sitzt einer für dich.“

„Mensch, Damp, kaum wieder auf der Insel und schon eine neue Leiche“, rief einer der Feuerwehrmänner.

Damp zeigte ihm den ausgestreckten Mittelfinger. Mühsam und umständlich kletterte er auf das Vordeck der „Caprivi“. „Barnhöft, du kannst dir deine blöden Sprüche sparen. Versuch mal mit Sommerreifen bei dem Schnee von Neuendorf hierher zu fahren. Hat nicht jeder einen Schneepflug. Was ist eigentlich los?“

„Schau doch selbst?“

Ole Damp nahm Barnhöfts Lampe und blickte durch die Luke. „Scheint mir einer von der Insel zu sein“, meinte er. „Aber der Name?“

„Könnte mein ehemaliger Biologielehrer sein“, rief Bernd Poschau. „Dehne heißt der, eh, hieß der. Martin Dehne.“

Alle drehten sich zu ihm um. „Dein Biologielehrer also“, stellte Barnhöft fest. „Warum hast du das nicht gleich gesagt.“

„Ich habe doch in dem dunklen Loch da nichts weiter erkannt“, verteidigte sich der junge Mann. „Nur diese weißen toten Augen.“

„Und jetzt plötzlich fällt dir aber ein …“

„Als wenn wir momentan auf der Insel nicht genug Probleme haben“, unterbrach Inselarzt Möselbeck Barnhöfts Tirade.

Seit Neujahr war Hiddensee von der Außenwelt durch einen dicken Eispanzer abgeschnitten. Die einzige eisgängige Fähre lag seit dem Silvesterabend mit Motorschaden in Schaprode, mittlerweile auch von Eis umschlossen. Dutzende Urlauber saßen auf der Insel fest. Die Versorgungslage war angespannt. Der einzige Eisbrecher war auf dem Strelasund im Einsatz, um für die Handelsschiffe den Seeweg frei zu halten. Auch aus der Luft gab es keine Hilfe. Sowohl die Bundespolizei als auch die Bundeswehr hatten durch den Wintereinbruch und Katastropheneinsätze auf Rügen und Usedom keine Hubschrauberkapazitäten frei.

Doktor Möselbeck hatte sich auch vom Kai auf das Deck des Wracks gehangelt. „Guten Morgen, die Herren. Wo liegt der Tote?“

Damp wies auf die Luke. Möselbeck kletterte in das Vorschiff. Er begann die Leiche zu untersuchen. Der Körper des Mannes war völlig steif. Sein Rücken war an der Kabinenwand aus Metall festgefroren. „Mein Gott“, stöhnte der Arzt. „Er ist wahrscheinlich erfroren. Die Haltung, die aufgerissene Kleidung … alles deutet auf einen Tod durch Erfrieren hin.“

„Aber warum reißt sich einer, wenn er erfriert, die Kleider vom Leib? Das ist doch völlig unlogisch“, zweifelte Damp.

„Es ist nicht selten, dass ein Erfrorener nackt aufgefunden wird oder sich seiner Kleidung entledigt hat“, belehrte Möselbeck den Polizisten. „Kurz bevor er bewusstlos wird, empfindet ein Mensch in der Kälte Wärme, ja fast Hitze. Das hängt damit zusammen, dass er dann schon nicht mehr recht bei Sinnen ist. Aber trotzdem …“ Möselbeck schaute sich um. „So recht verstehe ich nicht, wie er hier erfrieren konnte? War die Tür abgesperrt?“

Alle schauten wieder auf Bernd Poschau. Der schüttelte den Kopf. „Die Luke ging ganz leicht auf. Jedenfalls von außen.“

Möselbeck überprüfte die inneren Hebel an der Luke. Auch sie funktionierten ohne Probleme.

„Vielleicht war er Vögel gucken und ist dabei eingeschlafen“, meinte Poschau. „Wir mussten mit ihm ständig irgendwo hinwandern und Vögel gucken. Das nervte vielleicht.“

Möselbeck entdeckte in einer Ecke einen Rucksack. Er durchsuchte ihn. „Also Fernglas Fehlanzeige. Aber vielleicht wollte er ein Feuerwerk veranstalten.“ Er zeigte den Inhalt Barnhöft und Damp. Der Rucksack war voll mit Raketen und Böllern. „Jetzt wissen wir jedenfalls, seit wann er ungefähr hier sitzt. Mindestens drei Tage, gestern war der zweite Januar, wenn nicht sogar vier“, erklärte der Arzt. „Die Sachen waren ja wahrscheinlich für Silvester. Klar ist auch, ich stelle keinen Totenschein aus.“

Harter Ort

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