Читать книгу TikTok, Snapchat und Instagram - Der Elternratgeber - Tobias Bücklein, @dieserdad - Страница 10
ОглавлениеDie Erziehungsaufgabe annehmen
Bevor Sie sich mit den Möglichkeiten beschäftigen, wie Sie Ihrem Kind beim sicheren Umgang mit den sozialen Medien helfen, sollten Sie sich vergegenwärtigen, warum Sie das eigentlich tun wollen. Deshalb geht es in diesem Kapitel darum, was in diesem Zusammenhang Ihre Aufgabe als Eltern ist und warum sie manchmal so schwer zu erfüllen ist.
Gruppendruck und wirtschaftliche Interessen
Vielleicht kennen Sie die Situation, dass Ihr Kind vom Spielplatz oder der Schule heimkommt und von Videos, Spielen oder Sendungen erzählt, die definitiv nicht altersgerecht sind. Die Mitschüler kennen schon mit acht Jahren Filme wie „Harry Potter“ oder „Star Wars“, spielen Fortnite oder skandieren begeistert sexistische Deutsch-Rap-Texte. Und natürlich hat nun auch Ihr Kind das Bedürfnis und die Neugier, sich mit diesen Inhalten auseinanderzusetzen. Eltern fühlen sich häufig überfordert, wenn es in Situationen wie diesen darum geht, sich gegen die scheinbare Normalität zu stellen. Wenn alle in der Klasse etwas schon kennen, möchte man sich ungern dagegen wehren. Eltern stellen ihre eigenen Überzeugungen aus Bequemlichkeit oder Verunsicherung oft zurück und geben damit ihre Erziehungsaufgabe ein Stück weit aus der Hand.
Die Spiele- und Unterhaltungsindustrie dagegen kennt nahezu jede Methode, Kinder bereits von klein auf an ihre Produkte zu gewöhnen. Symbole und Figuren aus Filmen ab zwölf wie „Star Wars“ oder „Harry Potter“ finden sich schon auf Babystramplern, im Lego-Katalog oder auf Schulheften. Dies unterstützt ein Gefühl von Normalität auch bei Inhalten, die bei genauer Betrachtung nicht altersgemäß sind und die Ihren Erziehungswerten möglicherweise auch nicht entsprechen.
Tipp
Ihre Reaktion gibt Orientierung: Wenn Ihr Kind etwas Neues kennengelernt hat und Ihnen davon erzählt, ist es wichtig, wie Sie darauf reagieren: Von „Oh, cool!“ bis „Ich finde das nicht gut. Warum kennt dein Mitschüler das überhaupt schon?“ ist hier eine große Bandbreite möglich. Wie immer Sie reagieren: Ihr Kind wird sich mit seinem eigenen Wertesystem an dieser scheinbar unbedeutenden, spontanen Reaktion orientieren.
Gruppendruck auf der einen Seite sowie massiv und professionell vertretene wirtschaftliche Interessen auf der anderen bringen Sie als Eltern also in eine Zwickmühle. Um in dieser Situation wertvoll, also auf der Basis eigener Werte und Überzeugungen zu erziehen, braucht es ein großes Bewusstsein und eine Menge Energie.
Warum muss man überhaupt erziehen?
Die einfachste Antwort auf die Frage, warum Sie sich als Eltern überhaupt mit der Erziehung Ihres Kindes beschäftigen, ist eine juristische: Sie müssen das!
Auszug Artikel 6 des Grundgesetzes, Abschnitt 2
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Der Gesetzgeber hat bestimmt, dass alle, die das Sorgerecht für Kinder haben bzw. übernehmen, auch dafür sorgen müssen, dass diese Kinder „in ihrer Entwicklung gefördert werden und zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten erzogen werden“, wie es im Kinder- und Jugendhilfegesetz in § 1 heißt.
Falls Ihnen diese juristische Verpflichtung eher Missbehagen bereitet, gefällt Ihnen vielleicht die Formulierung besser, die der berühmten Pädagogin Maria Montessori zugeschrieben wird: „Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen.“ Die bereits angesprochene Neugier und das Interesse sind somit ganz natürlich – und sie beinhalten die Frage: Wie soll ich damit umgehen? Von den Mitschülern wird sie beantwortet, von der Unterhaltungsindustrie auch, und nun ist es an Ihnen als Eltern, ebenfalls eine Antwort darauf zu geben.
Wenn Sie pädagogische Literatur lesen, finden Sie jede Menge Belege dafür, warum Kinder Orientierung benötigen, warum Sie für Ihr Kind als Vorbilder so wichtig sind, wie Kinder durch Nachahmung Werte bilden und Gewohnheiten entwickeln und warum „Ansagen“ und klare Richtlinien so nötig sind.
Je mehr Einflüsse von außerhalb auf Ihr Kind einwirken und Orientierung anbieten – Lehrkräfte, Mitschülerinnen und Mitschüler, die Werbe- und Unterhaltungsindustrie und die Medien –, desto schwieriger und gleichzeitig wichtiger wird Ihre eigene Aufgabe. Sie müssen schon ziemlich genau wissen, an welchen Werten Sie Ihre Erziehung ausrichten, um dieser Übermacht anderer Orientierungsangebote gegebenenfalls etwas entgegensetzen zu können. Und das gilt ganz besonders für die sozialen Medien und ihre schier uferlosen Angebote und Möglichkeiten.
Warum können wir es nicht so machen wie unsere Eltern?
Zu der Zeit, als Sie selbst Kind waren, konnten Ihre Eltern Ihnen das meiste aufgrund eigener Erfahrungen vorleben. Viele dieser auch heute noch gültigen Alltagsregeln haben Sie vermutlich genauso auch Ihrem Kind weitergegeben: „Bleib an der Straße stehen und schaue erst links, dann rechts.“ „Benutze keinen Föhn in der Badewanne!“ „Iss mit geschlossenem Mund, weil Schmatzen eklig ist!“
Spätestens mit dem Einzug der Fernsehgeräte ins familiäre Wohnzimmer Ende der 1950er-Jahre gewann die Mediennutzung in der Erziehung an Bedeutung. Vermutlich galten auch in Ihrer Kindheit bestimmte Beschränkungen: Kein Fernsehen vor dem Schlafengehen. Kein Radio bei den Hausaufgaben. Höchstens eine Stunde am Tag fernsehen.
Im Grundsatz ist auch heute noch manches davon gültig. Im Detail hat sich die Situation aber in den letzten zehn Jahren so rasant geändert, dass Sie mit den von Ihren Eltern übernommenen Erziehungsgrundsätzen inzwischen vermutlich an Ihre Grenzen gestoßen sind.
Als Steve Jobs im Jahre 2007 das erste Smartphone der Welt vorstellte, war das Internet schon 16 Jahre alt. Es gab schon eBay, Amazon und natürlich auch Facebook (2004), YouTube (2005) und Twitter (2006). Und doch markiert dieses Datum einen tiefen Einschnitt. Denn mit dem iPhone und spätestens mit der Präsentation des App-Stores 2008 wurde aus dem guten alten Mobiltelefon eine Art Schweizer Taschenmesser der Neuzeit. Vor allem: Durch die mobile Anbindung ans Internet standen nun alle denkbaren Funktionen räumlich, zeitlich und inhaltlich unbegrenzt zur Verfügung.
Mediennutzung mit dem Smartphone
Die wesentliche Herausforderung im Umgang mit dem Smartphone besteht darin, dass durch die Kombination von Portabi lität, breitem Anwendungsspektrum und permanenter Anbindung ans Internet eine räumlich, zeitlich und inhalt lich unbegrenzte Nutzung möglich ist.
Zwar sprechen wir in diesem Ratgeber in erster Linie über den Umgang mit sozialen Medien. Ein Großteil der Schwierigkeit besteht aber darin, dass sie über das Smartphone permanent verfügbar sind. Es geht also auch um den Umgang mit dem Gerät, das Ihrem Kind den Zugang zu den Social Media ermöglicht.
Herausforderung Smartphone: alles immer und überall
Vielleicht hatten Sie als Kind noch einen abschließbaren Fernseher. Oder Sie durften im Wohnzimmer am Computer der Eltern ins Internet. Ihre Eltern konnten danebenstehen oder Ihnen ab und zu über die Schulter schauen, um nachzusehen, was Sie da eigentlich treiben. Auch dass eine Spielkonsole nichts in der Schule zu suchen hat, haben Ihnen Ihre Eltern vermutlich begreifbar machen können. Durch das Smartphone aber ist heute alles immer und überall möglich. Dadurch sind Sie als Vater oder Mutter mit einer pädagogischen Aufgabe konfrontiert, die viel schwieriger zu lösen ist als die Ihrer eigenen Eltern.
Im Gegensatz zu Computer und Fernseher, die man in früheren Zeiten seinen Kindern einfach vorenthalten konnte, sind die Anwendungsmöglichkeiten der Smartphones so umfangreich, dass ihnen nicht mit einer pauschalen Reaktion angemessenen begegnet werden kann: Die Geräte vereinen Telefon, Navigation, Bus- und Bahnfahrplan, ÖPNV-Ticket, Taschenrechner (eventuell sogar für den Unterricht), Foto- und Videokamera, Radio, Musikplayer, Fernseher und Spielkonsole, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Das Smartphone gewährt Zugang sowohl zu nützlichen und produktiven Bildungs- und Informationsangeboten als auch zu sämt lichen Möglichkeiten von Entertainment und passiver Beriese lung. Es gibt sie also nicht, die eine Antwort auf die Herausforderung, die das Smartphone für Eltern und Kinder mit sich bringt. Eine differenziertere Betrachtung ist nötig.