Читать книгу Feuer und Blut - Tom Buk-Swienty - Страница 12

6

Оглавление

Im Laufe von Wilhelm Dinesens frühester Kindheit trieben nationalistische Fliehkräfte den Gesamtstaat Dänemark in einen drei Jahre währenden blutigen Bürgerkrieg, genannt der Dreijährige Krieg oder Erster Schleswig’scher Krieg (die deutsche Geschichtsschreibung bezeichnet ihn als den »Schleswig-Holsteinischen Freiheitskrieg«). Es war dieser Krieg, in dem A.W. Dinesen kämpfte, zu Ruhm gelangte und zu einem Kriegshelden wurde, und es war dieser Krieg, von dem er mit leuchtenden Augen und Leidenschaft in der Stimme am knisternden Kamin sprach, während der kleine Wilhelm mit atemloser Faszination zuhörte.

Der Dreijährige Krieg und die Kräfte, die ihn verursachten, bilden ein einschneidendes Kapitel in der deutschen und dänischen Geschichte – und sie sollten einen ebenso entscheidenden Einfluss auf das Geschlecht der Dinesens haben.

Hintergrund waren Liberalismus und Nationalismus, die in diesen Jahren überall in Europa auf dem Vormarsch waren. Das gutsituierte Bürgertum, dessen Söhne inzwischen die Universitäten besuchten, war der Ansicht, dass diese guten Bürger – Großkaufleute, Anwälte, Ärzte – Anspruch auf politische Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung hätten. Sie opponierten gegen die Dynastien der Fürsten, die in den meisten europäischen Staaten regierten.

Diese Strömungen hatten den Absolutismus im Laufe der 1830er Jahre geschwächt, und es half nicht, dass es dem erzkonservativen österreichischen Fürsten Metternich und seinem Partner, dem britischen Lord Castlereagh, auf dem Wiener Kongress 1815 gelungen war, eine Europakarte zu entwerfen, die auf autokratischen Regimes beruhte. Selbst der reaktionärste Fürst konnte inzwischen nicht länger im Zweifel sein, woher der neue politische Wind blies. Wollte er vermeiden, umgeweht zu werden, so musste er seinen Untertanen eine gewisse Mitbestimmung einräumen.

Dies lernte der französische König Karl X. im Juli 1830 auf die harte Art, als er trotz der Eroberung Algeriens durch sein Heer abgesetzt wurde. Die Bürger wandten sich gegen ihn, weil er versuchte, ihre demokratischen Rechte und die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Überall in Europa gewannen die Bürger in dieser Zeit zunehmend Einfluss in Räten, Ständeversammlungen und gesetzgebenden Ausschüssen. Diese Bürger waren Liberale, sie traten für freien Handel und Meinungsfreiheit ein. Ihre erweiterte Macht nutzten die vom Volk gewählten bürgerlichen Politiker zur Förderung des Nationalismus. Während die Monarchen des Absolutismus ihre Macht mit der Behauptung gerechtfertigt hatten, sie würde auf Gottes Gnade beruhen, legitimierten die vom Volk gewählten Bürgerlichen ihre Macht dadurch, dass sie einem Volk, einem nationalen Willen, einer Nation mit besonderem Nationalcharakter dienten.

Auf diese Weise wurden Liberalismus und Nationalismus zu einer Art Zwillingspaar, das immer stärker zusammenwuchs. Diese nationalliberalen Bewegungen sollten Dänemarks und Deutschlands Politik schicksalhaft prägen, und damit nähern wir uns auch dem Grund dafür, dass A.W. Dinesen wieder in den Krieg zog.

Als der Nationalismus an Boden gewann, wurde immer deutlicher, dass Dänemarks Monarchie aus einem dänisch gesinnten Land, dem Königreich nördlich des Flusses Kongeå, und einem deutsch gesinnten Gebiet im Süden, dem Herzogtum Holstein, bestand. Die bei Weitem meisten Bürger in den beiden Landesteilen fühlten sich nicht mehr miteinander verbunden, und das Königreich und Holstein hätten sich sicherlich in Freundschaft voneinander trennen können – wären sie nicht durch eine zwischen ihnen liegende Region, das Herzogtum Schleswig, miteinander verbunden gewesen. Dieses Herzogtum, das selbst national zersplittert war – in einen nördlichen dänischen und in einen südlichen deutschen Teil – wurde zum Zankapfel.

Solange ein Fürst die sammelnde politische Kraft war, hatte es in der Praxis keine Bedeutung, dass es innerhalb des Reichs mehrere Länder gab und innerhalb der Reichsgrenzen unterschiedliche Sprachen gesprochen wurden. Die meisten Staaten in Europa waren multinational und multiethnisch. Aber mit dem Vormarsch des Nationalliberalismus gerieten mehr oder weniger alle europäischen Staaten unter Druck, darunter auch die dänische Monarchie. Die deutsch gesinnten Holsteiner und Schleswiger wollten Dänemark verlassen, während sich im Gegenzug dänische Nationalisten ein Dänemark bis zur Eider wünschten – ausgehend von dem Gedanken, Dänemark habe aus historischer Sicht Anspruch auf Schleswig. Es folgten jahrzehntelange Zwistigkeiten, und ein Bürgerkrieg schien unvermeidbar, als die Holsteiner und deutsch gesinnte Schleswiger eines Tages im März 1848 mit dem Dampfschiff Caledonia eine Delegation von Kiel nach Kopenhagen sandten, um dem dänischen König die Forderung nach der Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund und der Ausarbeitung einer eigenständigen schleswig-holsteinischen Verfassung zu unterbreiten.

Sowohl in Kopenhagen als auch in Kiel herrschte bei der Volksabstimmung eine aufgepeitschte Atmosphäre. Ganz Europa schien in diesen bewegenden Frühlingstagen des Jahres 1848 in Flammen zu stehen. Im Februar war die Revolution in den Straßen von Paris ausgebrochen, wo die Bürger nach blutigen Straßenkämpfen den Bürgerkönig Louis Philippe absetzten, der die bürgerlichen Rechte beschränkt hatte, zu deren Fürsprecher er sich zunächst gemacht hatte. Inspiriert durch die Ereignisse in Paris flammten in vielen europäischen Hauptstädten Volksaufstände auf. Der preußische König war vorübergehend aus Berlin geflohen, nachdem seine Truppen mehrere Hundert Demonstranten getötet und verwundet hatten.

In dem brodelnden (jedoch nicht von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägten) Kopenhagen hielt sich nun eine schleswig-holsteinische Delegation auf, die im Namen deutsch gesinnter bürgerlicher Gruppen Selbstbestimmung verlangte. Spannender konnte das Drama kaum sein. Plötzlich und unerwartet starb am 20. Januar König Christian VIII., und seinem Nachfolger Frederik VII., bekannt für seinen ausschweifenden Lebensstil, wurden keine großen Chancen eingeräumt. Doch obwohl er sich nicht für Politik interessierte, war er durch und durch ein politischer Überlebenskünstler.

Noch bevor die Nationalliberalen mit ihrer Forderung nach der Abschaffung des Absolutismus an die Tore von Schloss Amalienborg klopfen konnten, war er ihren Forderungen bereits nachgekommen. Ohne dass auch nur ein einziger Blutstropfen vergossen wurde, konnte der König eine Revolution in Kopenhagen abwenden. Damit entstand in Dänemark eine höchst merkwürdige Allianz zwischen dem bald darauf konstitutionellen Monarchen und den nationalliberalen Umstürzlern. Dies war nur denkbar, weil sie einen gemeinsamen Feind hatten.

Die schleswig-holsteinischen Deputierten aus Kiel hätten sich die Audienz beim König und seinen neuen Männern sparen können. Ihre Forderung wurde schlichtweg abgelehnt. Mit leeren Händen kehrten sie nach Kiel zurück. Der Bürgerkrieg war zur Realität geworden.

Die Begeisterung über den bevorstehenden Krieg schien kein Ende nehmen zu wollen, weder im Norden noch im Süden. Nördlich von Flensburg erklang überall Peter Fabers Kriegsschlager Dengang jeg drog af sted (»Damals, als ich von dannen zog«), und südlich der Stadt sang man mit der gleichen Inbrunst Schleswig-Holstein meerumschlungen. In Kopenhagen erwartete man einen schnellen Sieg über die Aufrührer. Dass es in diesem Krieg so heiß hergehen würde, hatte sich niemand vorgestellt, am wenigsten A.W. Dinesen. Er meldete sich Anfang 1848 sofort zu den dänischen Fahnen und wurde blitzschnell zum Kommandeur einer eigenen Batterie, der »Batterie Dinesen«, ernannt, die bald unter den Dänen berühmt und von den Deutschen gefürchtet wurde.

Ironischerweise unterstützte A.W. Dinesen, wie die meisten seiner Standesgenossen unter den Großgrundbesitzern und Adligen, König Frederik VII. und die Prämisse der Nationalliberalen nicht. Sie traten nicht für ein Dänemark bis zur Eider ein und kämpften kaum noch für ihren König. Aus ihm machten sie sich nichts. War es nicht unerhört, dass er ganz offen ein Verhältnis mit einer gefallenen Bürgerlichen unterhielt, einer ehemaligen Balletttänzerin, dieser Louise Rasmussen? Und welch ein Hohn, ihr den Titel einer Lehnsgräfin Danner zu geben, als sie 1850 heirateten. Gräfin? Den meisten Gutsbesitzern trat der Schaum vor den Mund, wenn sie sie mit diesem Titel anreden sollten.

Vor allem aber die politischen Verbündeten, die der König bekommen hatte, ließen Menschen wie A.W. Dinesen die Galle hochsteigen: die Nationalliberalen, diese Tölpel, die den Umsturz der Gesellschaft wollten, diese Bourgeoisie ohne Klasse und Manieren, mit all ihren Fantastereien über Demokratie und Gleichheit. Gleichheit? Es gab keine Gleichheit in der Gesellschaft, es hatte sie nie gegeben und würde sie auch nie geben. Ein Großgrundbesitzer war naturgemäß über solche Kleinexistenzen erhaben, diese armseligen Universitätsmenschen mit all ihrer entflammenden Rhetorik. Ein Großgrundbesitzer war das Rückgrat der Gesellschaft und das Landgut deren Anker. Hier herrschte Unveränderlichkeit. Stabilität. Sie wurde von den Geschlechtern gewährleistet, die seit Generationen auf ihren Gütern lebten. So gesehen waren diese Geschlechter unsterblich und daher die tragenden Stützen der Gesellschaft. Die Bürger – die Liberalen, sie waren nur wie der Schaum auf dem Meer. Sie brausten auf, aber beim nächsten Wellenschlag waren sie auch schon wieder weg. Der Antrieb für ihre Forderung nach Freiheit war eine kümmerliche Krämerseele. So dachten die meisten Gutsbesitzer, Hauptmann A.W. Dinesen eingeschlossen. Natürlich hatte er dem Kampf für Freiheit und Gleichheit Abd el-Kaders gehuldigt. Aber die Araber besaßen Würde, das spürte er. Sie waren Krieger, und ihr Wesen hatte etwas Edles und Nobles, ja, sie waren für die Freiheit geboren, meinte der Gutsbesitzer. Aber diese Kleinbürger, diese prahlerischen bürgerlichen Besserwisser? Das waren doch nur materialistische und kleinkarierte Menschen.

Und für was die Großgrundbesitzer, die ihrer Meinung nach die eigentlichen gesellschaftlichen Werte schufen, nicht alles ihren Buckel hinhalten mussten. Zum einen hatten viele von ihnen durch die Agrarreformen und die Französische Revolution mit all ihren Nachwirkungen einiges durchgemacht. Dann hatten sie unter den Napoleonischen Kriegen und den erbärmlichen wirtschaftlichen Konjunkturen als Folgen des Krieges gelitten, und jetzt, da die Konjunktur endlich gut war und man anständige Getreidepreise erzielte, kamen diese Dunkelmänner, deren erklärtes Ziel es war, die Privilegien des Fürsten, des Adels und der Grundbesitzer zu unterminieren. Die größte Kränkung jedoch war, dass die Nationalliberalen das alte Dänemark zerstören wollten: die Monarchie mit ihren Herzogtümern. Dies war das Vaterland der Großgrundbesitzer. Und für dieses Vaterland war A.W. Dinesen gern bereit zu sterben. Aber was sollte all das Gerede über Dänentum, Dänemark bis zur Eider und eine besondere Verbundenheit zu Skandinavien? Die Mitglieder der meisten Adelsfamilien und auch der bürgerlichen Gutsbesitzerfamilien waren viel gereist, sie waren auf zahlreichen Bildungsreisen in den europäischen Hauptstädten gewesen, hatten kreuz und quer über Landesgrenzen hinweg in andere Familien eingeheiratet, sprachen wie selbstverständlich mehrere Sprachen. Ein dänischer Gutsbesitzer hatte viel mehr mit einem deutsch sprechenden Gutsbesitzer in Holstein gemein, als mit einem bürgerlichen Staatsbediensteten in Kopenhagen. Die Idee eines Dänentums als etwas ganz Besonderem, etwas Erhabenem, etwas Identitätsstiftendem? Das ergab doch keinen Sinn.

Wie A.W. Dinesen meldeten sich dennoch auch zahllose Offiziere aus dem Gutsbesitzerstand sofort zum Kriegsdienst. Sie taten dies aus anderen Gründen als das einfache Volk, als der Bauernsoldat (dieser wurde im Übrigen ja auch nur einberufen) und der freiwillige Student, die beim Kommiss das Lied vom tapferen Landsoldaten schmetterten. Sie taten es aus Pflichtgefühl und Patriotismus gegenüber dem dänisch-deutschen Gesamtstaat, den die Aufrührer angriffen; sie taten es aus Pflichtgefühl gegenüber dem Heer, in dem viele von ihnen ausgebildet worden waren. Und viele taten es auch schlicht und einfach, weil es spannend war. Man konnte mit den Nationalliberalen einig sein oder nicht, aber eines musste man ihnen lassen – durch sie wurde 1848 zu einem aufregenden Jahr. Neuaufbruch, Leidenschaft, Gefahren und Erlebnisse lagen in der Luft.

A.W. Dinesen hatte ein Jahrzehnt lang ein friedliches Gutsbesitzerleben geführt, als der Krieg ausbrach. Er war gerade vierzig Jahre alt und sah sich selbst als achtbarer Herr mittleren Alters. Aber der alte Artilleriehauptmann hatte sein Pulver noch nicht verschossen, und 1848 lagen noch so viel Spannung und Enthusiasmus in der Luft, dass er sich nicht einfach nur in einem Sessel zurücklehnen konnte, um über den Krieg lediglich in der Zeitung zu lesen. Er musste sich selbst eingestehen: Bei dem Gedanken an die weißen Pulverwolken, zischenden Feuerschweife und an Landschaften, die von vorwärtsmarschierenden Kolonnen geprägt waren, juckte es ihn immer noch. Der Gedanke, auch im Krieg sein eigener Herr zu sein, war verlockend. Ach ja, A.W. Dinesen erkannte sich selbst wieder. Die Gefahr lag direkt voraus, die Lebensflamme flackerte nervös, und er spürte, wie das Adrenalin durch seinen Körper schoss.

Er verschwendete daher keine Zeit, als das Unheil heraufzog. Mit dem üblichen Mangel an Bescheidenheit schrieb er später in einem kleinen Bericht über seine Teilnahme am Krieg: »Der erste Kanonenschuss wurde bei Bov am 9. April 1848 von meiner Batterie abgefeuert, und auch die letzten Kanonenschüsse am 31. Dezember 1850 bei Flækkeby.«

Drei Jahre lang waren er, seine Männer und seine acht Kanonen inmitten des Geschehens.

Feuer und Blut

Подняться наверх