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Wissensnetzwerk im digitalen Zeitalter: Vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis
ОглавлениеDie digitale Verfügbarkeit von Informationen in dieser Fülle verleitet auch dazu, dass wir von einer interessanten Information zur nächsten springen, ohne sie wirklich im Gehirn zu verarbeiten. Eine Information einmal lesen oder einmal hören – und schon ist sie im Kopf abgespeichert? Leider nein. Das klappt nur in ganz, ganz seltenen Ausnahmefällen.
Wer sich Wissen aneignen möchte, muss sich aktiv mit den Informationen beschäftigen. Passives Lesen, Zuhören oder auch Videoschauen, ohne aktive Beteiligung, führt dazu, dass das Arbeitsgedächtnis schnell überfüllt ist und es Informationen dann wieder löscht. Du kennst das sicherlich: Da surft man stundenlang im Netz – und weiß am Ende der Session nicht mehr so richtig, was man eigentlich alles gelesen und gesehen hatte.
Die Ursache für dieses Phänomen ist ganz einfach zu erklären – nämlich mit dem Badewannen-Prinzip.
Alles, was du dir langfristig merken willst, muss durch das Nadelöhr Arbeitsgedächtnis hindurch ins Langzeitgedächtnis. Nur ist das Arbeitsgedächtnis in seiner Kapazität begrenzt: Wenn der Strom an neuen Informationen länger als ungefähr 5 Minuten andauert, ist die Kapazitätsgrenze des Arbeitsgedächtnisses erreicht. Dann werden die zuerst aufgenommenen Informationen nach und nach wieder herausgelöscht, um Platz für die Informationen zu schaffen, die jetzt noch folgen. Ich nenne das das „Badewannen-Prinzip“: Das Kurzzeitgedächtnis läuft über wie das Wasser einer übervollen Badewanne und spült die zuerst aufgenommenen Informationen wieder heraus.
Die Gehirnforschung weiß also inzwischen sehr genau, warum wir zum Beispiel nach einer Stunde Surfen oder einer Stunde Fachliteratur meist nur noch die letzten fünf Minuten erinnern – und alles, was wir zuvor gehört oder gelesen hatten, weitgehend vergessen haben.
Lernen bedeutet, aus dem passiven Lesen und Zuhören heraus- und in das aktive Verarbeiten von Informationen hineinzukommen.
Wissensaufbau ist also keine Aufnahme oder Übertragung von Informationen aus einem Buch oder Text im Internet, sondern ein aktiver Prozess. Wie du ihn angehst, das zeige ich dir hier in diesem Buch. Es enthält alle wesentlichen Aspekte, die zum erfolgreichen Lernen und Aufbau von Wissen dazugehören.
Im Kern geht es dabei immer um die Integration verschiedener Lernwege und vor allem um … Verständnis.
Lernen kann leicht sein, unangestrengt und angenehm. Die Aussicht, zu lernen, kann motivieren und Vorfreude wecken. Klingt super, oder? So zu lernen macht nicht nur Spaß, es bleibt auch viel mehr in deinem Kopf. Es führt zu besseren Ergebnissen beim Anwenden des Wissens, etwa besseren Noten oder besseren Präsentationen und auch ganz allgemein zu mehr Erfolg in Schule oder Beruf. Du hast nicht nur mehr Wissen abgespeichert, sondern kannst es auch viel zielgerichteter dann abrufen, wenn du es anwenden willst.
Alles, was du dafür brauchst, ist die Bereitschaft, offen zu sein für neue Lernmethoden. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Seminarleiter, Trainer und Coach weiß ich, dass die Haltung „Ich lese mir das mal durch und dann schau ich mal, was dann passiert“ nicht ausreicht.
Darum hier schon mal der erste konkrete Praxistipp:
Wenn du etwas liest, dann nicht mit der Haltung: „Ich fange mal an und schaue, ob da etwas Interessantes kommt.“ Das wäre passives Lesen. Stelle dir vielmehr vor, du müsstest die drei wichtigsten Inhalte jemand anderem hinterher erklären. Das ist aktives Lesen, weil du parallel zum Lesevorgang über die Anwendung nachdenkst – in diesem Fall das Weitergeben von Informationen, die du für wichtig hältst.
Allein dieser „Shift“ in der inneren Haltung wird sofort zu einem besseren Gedächtnis führen, weil du gar nicht mehr passiv lesen kannst, sondern dich aktiv mit dem Lesestoff beschäftigen musst.
Aktiv ist also wichtig, aber vorab noch ein sehr wichtiger Aspekt, wenn du erfolgreicher lernen willst. Es ist nämlich nicht so, dass wir immer dann am schnellsten lernen, wenn es sich am leichtesten anfühlt. Also im angenehmsten Lernmodus. Grundsätzlich geht es erstaunlicherweise schneller, wenn du nicht immer nur in der Komfortzone lernst – aber dazu mehr im nächsten Abschnitt.