Читать книгу Kuhland - Toma Behlsum - Страница 12
7
ОглавлениеKarl Heinz aber ist begeistert von dem, was er da liest, ihm gefällt die Ausrichtung des Urlaubs auf die Aussicht. Die Aussicht auf ein schönes Schaufenster, das kennt er, verheißt ihm den Besitz seines Inhalts und damit Reichtum und Glück, nicht sofort, aber vielleicht in nächster Zukunft. Die Aussicht auf eine intakte Landschaft wiederum wird ihm von städtisch industriellem Ungemach befreites, unbeschwertes Leben verheißen, Verheißung, auf die er so dringend angewiesen ist. Die Wohnung dagegen verursacht Karl Heinz Atemnot. Viele Jahre des Zusammensammelns von Dingen haben den Boden der 78 Quadratmeter und den Raum der 211 Kubikmeter voll gefüllt. Umfüllorganisationen werden nach seinem Ableben den Haushalt auflösen, die Müllcontainer sortieren, Schachteln und Kartons mit all den Dingen füllen, die noch zu verticken sind, diese in alten Scheunen und ehemaligen Kuhställen lagern um danach auf Flohmärkten und über ebay verteilt zu werden und damit wieder andere Flächen und Räume zu füllen.
‚Im anmutigen Voralpenland, vorbei an satten Wiesen und klaren Bächen, auf gepflegten Wegen mit Blick auf imposante Bergketten und tiefblaue Seen kommen Naturgenießer ins Schwärmen’ liest Karl Heinz Brigitte vor.
‚Ich möchte aber lieber hier bleiben’, sagt Brigitte. Sie weiß, dass die Wirklichkeit dort freilich ganz anders aussieht: Es gibt dort viele wilde Tieren, die einen belästigen werden und ängstigen, vor allem die Kühe. Der Geruch von Heu und Gülle ist alles andere als betörend. Der Himmel ist nachts dunkel und die Wälder sind schwärzer als schwarz, auch wenn der Mond scheint, und die laute Natur wird die Welt draußen übertönen.
‚Vielen Dank’, sagt Brigitte laut. Karl Heinz schaut nicht auf. Er erwartet keine Begründung. Brigitte begründet nicht, sie ist mit Karl Heinz zusammen, um mit ihm zusammen zu sein, wenn sie intellektuellen Austausch wollte, wäre sie woanders. Karl Heinz hat die unscheinbare Frau auch deshalb sofort geheiratet, weil er nichts von ihr erwartet hat, außer einen Menschen bei sich zu Hause, der nichts von ihm erwartet, auf dass es dann zwei sind, weil zwei sind besser als einer. Karl Heinz überlegt noch, was er machen soll, wenn Brigitte nicht mitfahren will, da sagt Brigitte für ihn und auch für sie selbst überraschend ‚na gut.’
Also fahren sie in diesem Sommer ins Allgäu in Urlaub. Brigitte nimmt sich vor, ihre ganz alte Freundin Trisch zu besuchen, die da jetzt irgendwo wohnt. Mehr nimmt sie sich nicht vor. Niemals liest sie Reiseführer oder macht Tagesausflüge. Wenn sich ihr fremde Orte schon ungefragt und unerbeten erschließen wollen sollen die sich anstrengen, wenn die fremden Orte aber kein Interesse an Brigitte haben, ist ihr das auch recht.
Karl Heinz und Brigitte mieten eine Ferienwohnung in einer Ferienhausanlage ein paar hundert Meter entfernt am Waldrand in einem kleinen Weiler im Rothachtal. Der Weiler hat alles was so ein Weiler haben muss, einen Dorfplatz mit Brunnen und Anger, ein Kaufhaus genannter Kolonialwarenladen und dazu eine Bäckerei, eine Turnhalle, zwei Wirtschaften mit Landwirtschaft, etwa 10 Bauernhäuser, die Kirche mit Friedhof und dem Pfarrhaus, von wo aus an einem Feuerwehrlöschteich vorbei ein Stichweg zur Volksschule mit Schulhof für 2 Klassen, Klasse 1-4 und 5-8, und 2 darüber liegenden Lehrerwohnungen führt, und dahinter sind Wiesen mit Kühen drauf. Karl Heinz ist begeistert. Dass von den zehn Bauernhäusern nur mehr zwei Landwirtschaft betreiben und vier in Ferienwohnungen umgebaut wurden und die anderen vier gleich an Fremde verkauft wurden, im Pfarrhaus schon lange kein Pfarrer mehr wohnt, die Kaufhausbesitzerin mittlerweile 82 Jahre alt ist und das Kaufhaus einen monatlichen Umsatz von etwa 300 Euro macht, es Volksschulen und auch Kombiklassen von vier Jahrgangsstufen schon lange nicht mehr gibt, in der Schule also auch keine Schüler und Lehrer mehr sind, sondern eine Ferienwohnung der ‚Gemeinschaft der freien Kindergärten Karlsruhe’ stört ihn nicht, im Gegenteil, keine allzu große Belästigung durch den Gestank von Kühen, und christlich ist Karl Heinz auch nicht.
Karl Heinz erkundet zu Fuß und im Auto die Gegend, und erledigt unterwegs die Einkäufe. Brigitte sitzt auf dem Balkon und schaut in die Berge oder bei Regen sitzt sie auf dem Bett und schaut in den unvermeidlichen Fernseher. Hier belästigen sie auch keine wilden Tiere.
Am letzten Abend ihres Urlaub lernen sie in einer Gastwirtschaft Franz, einen 57 Jahre alten Maler kennen. In einem Anflug von Fraternisierung mit Einheimischen lädt ihn Karl Heinz zum Essen ein, und weil Franz das Ganze irgendwie peinlich ist, und er sich denkt, dass die Touristen vielleicht dann noch eines seiner Bilder kaufen werden, will er sich revanchieren und lädt die beiden danach noch zu sich nach Hause ein. Die einfache und gemütliche Wohnung und der große schwere Mann mit dem wirren mausgrauen Haar, der nicht viel sagt, sondern meistens nur ruhig und gelassen dasitzt und Bier trinkt, das gefällt Brigitte. Als Karl Heinz kurz den Raum verlässt, fragt Brigitte Franz, ob sie nicht zu ihm ziehen könne. Franz sagt verdutzt zu, er ist ein freundlicher Mann, den man problemlos um einen Gefallen bitten kann, auch wenn er nicht versteht, warum und wieso. Karl Heinz meint dazu später zu Brigitte, sie müssten reden, aber sie entgegnet, sie wüsste nicht worüber.