Читать книгу Kuhland - Toma Behlsum - Страница 15
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ОглавлениеEs klopft an der Türe, Franz macht sie auf und vor ihm steht Karla. Franz weiß nicht, was für ein Gesicht er jetzt macht, er hat in solchen Situationen keinen Spiegel zur Hand. Es ist leider nicht gesellschaftskonform, immer einen Spiegel bei sich zu tragen, mit dem man in überraschenden Situationen seinen Gesichtsausdruck kontrollieren und gegebenenfalls auch weiterentwickeln kann. Oder notfalls auch korrigieren, falls der Gesichtsausdruck unangemessen geraten ist. Franz und Karla haben sich fast 20 Jahre nicht mehr gesehen, aber natürlich erkennt er die Frau mit den großen braunen Augen und den langen glatten braunen Haare, die man aber nicht sieht, weil sie so ein albernes weißes Häubchen trägt, und die patenter und robuster wirkt als er sie in Erinnerung hat, sofort wieder.
Karla lacht und sagt ‚Überraschung’! und die Sommersprossen tanzen auf ihrer Nase.
Franz und Karla haben zusammen Kunst studiert, Karla hat im Alter von 17 Abitur gemacht, mit 1,0, und dann nicht, wie alle erwarteten, Medizin studiert. Franz war damals schon fast 30, ohne Abitur, dafür mit abgeschlossener Schreinerlehre. Sie waren oft zusammen gesessen, fühlten sich in der Gesellschaft des anderen wohl und haben viel gelacht.
Dann war Karla plötzlich weg, ausgebrochen, hatte, wie Franz später von einer ihrer Schwestern zufällig erfahren hatte, unterwegs einen Buschpiloten kennen gelernt, Walt mit Namen, und war mit ihm nach Alaska gezogen, vor allem, weil er etwas hatte, das sie noch nicht kannte, er wusste Antworten, die keine weiteren Fragen zuließen, auf die es noch nicht einmal Fragen gegeben hätte, Antworten, die scheinbar entgültig waren. Die Freiheit des Denkens plötzlich nicht mehr reduziert auf eine reichlich zusammenhanglose Aneinanderreihung mehr oder weniger beliebiger Fakten und Begriffe, zusammengehalten nur durch einen wechselnden eingängigen Refrain.
Nach Fairbanks, Alaska waren sie nach Little Rock, Arkansas gezogen, der Bedarf an Buschpiloten war da aber überschaubar. Aus einer Laune heraus begann Walt zu predigen und bald hatten sie eine kleine Anhängerschar um sich versammelt und drehten Filme, die allgemein als Pornofilme klassifiziert wurden und auch welche waren. Nach einem weiteren Schub in ihrer Entwicklung kauften sie sich eine Farm und gründeten die härteste Sekte, die es in den USA, dem Land der harten Sekten, bis dahin je gegeben hat.
Und jetzt steht Karla wieder vor ihm.
‚Ich bin davongelaufen, wie man so schön sagt’, sagt sie. Franz sagt darauf ‚komm doch rein’, dann schließt er die Türe, es ist Anfang August, und es regnet schon wieder. Später, nach einer Brotzeit, wird Karla dann noch genauer, sagt, dass dem Prediger irgendwann mal die Antworten ausgegangen sind, auf die es keine Fragen gegeben hat, dass die härteste Gemeinde der Welt sich in eine Wohngemeinschaft von Magersüchtigen, Depressiven und Latentselbstmordgefährdeten verwandelt habe, und sie sich erst noch damit zurechtfinden müsse.
‚Die Enzyklika zur Empfängnisverhütung wird jetzt auf Kirchentagen zwischen zwei von der Kirchenleitung veranstalteten Hardrockkonzerten verkündet, bei mindestens einem davon spielt ein Pater Elektrogitarre. In Tracht, oder Mönchesuniform, oder Kutte, oder wie man halt sagt’ sagt sie. ‚Damit war der Prediger überflüssig geworden‚ und an die Stelle von 12-stündigen sexuellen Tätigkeiten sind 12-stündige Streitereinen getreten.’
Franz fragt, ob sie das Gefühl habe, gescheitert zu sein.
‚Nein’ sagt Karla. Punkt. Karla ist nicht der Meinung, dass der Erfolg die Qualität des Handels bestimmt, daher strebt sie auch nicht nach Erfüllung von Zielvorgaben, wie man gerne sagt, und deshalb ist sie nicht gescheitert.
‚Du hast Kinder’? fragt Franz zusammenhanglos.
‚Eine unüberschaubare Zahl eigener und angenommener Kinder, so von Fünf bis Ende Zehn. Stück.’
Von Mitte Null bis Ende Zehn also, denkt sich Franz, und bittet sie, ihr Mietauto hinter dem Haus zu parken.