Читать книгу Kuhland - Toma Behlsum - Страница 14
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ОглавлениеFranz ist normalerweise guter Dinge, auch deshalb, weil er nun nicht von sich sagen kann, dass seine großen Erfolge der Vergangenheit angehören, aber jetzt sitzt er bei geöffneter Studiotüre in seiner Werkstatt und studiert die Informationsbroschüre über die Käsestraße. Er hat den Auftrag, eine Skulptur dazu zu entwerfen, und als Franz auf der letzten Seite angelangt ist, ist er verzweifelt. Der Verein Käsestraße hat 3.000 Euro dafür bereitgestellt, für das komplette Werk wohlgemerkt, einschließlich des Honorars für den Künstler. Die Broschüre ist grafisch so miserabel, dass die 3.000 Euro besser angelegt wären in einen neuen Käsestraßenführer.
Franz steht aber durchaus zu seiner Provinz. Es ist nämlich nicht so, dass es auf dem Land keine Kultur gibt, es gibt sie sehr wohl, nur anders. Aber woran es halt manchmal ein wenig hapert ist die Umsetzung. Und die jährliche Große Westallgäuer Kunstausstellung ist ein ebenbürtiges Pendant zum Westallgäuer Käsestraßenführer.
Manchmal kommen dann Zugereiste und möchten gerne einen Kulturverein gründen, ‚um das vorhandene Potenzial besser zu nutzen’. Sie laden sich dazu lauter Leute ein, von denen sie glauben, mit denen wäre so etwas zu machen, tragen ihr Konzept vor und blicken danach in betretene Gesichter. Normalerweise sind die Leute auf dem Land fröhlich und nett, wer also betretene Gesichter lieber hat, der versuche, einen Kulturverein zu gründen. Das Experiment scheitert so kläglich wie erwartet. ‚Kultur’, sagen dann die in der Provinz dafür zuständigen Rentner, ‚Kultur, das sind wir’, und dann basteln sie in ihrer Freizeit, die von morgens bis abends dauert, munter bunte Blumen für das jährliche Stadtfest. ‚Sowie bestenfalls’, fügen sie an, ‚noch die Hobbybildhauer, die kostenlos kleine Skulpturen für entlegene städtische Brachflächen fertigen, die Hobbyfilmer, die kostenlos kleine Filme drehen, die Hobbyliteraten, die kostenlos Lesungen mit Allgäukrimis abhalten. Aber nur wenn wir sie lassen’.
Franz weiß, dass auch der Käseverein keine Kunst will, niemand im Käseverein hat eine Ahnung von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, wenn die Käsestraße Kunst in Auftrag gibt, dann, um sich zu dekorieren und die Menschen daran zu erinnern, mal wieder Käse zu essen. Franz könnte sich dafür vorstellen: ein großes Stück Käse, aus Bronze, und Bruce Willis, auch aus Bronze, schießt Löcher in den Käse, das käme gut an. Er schaut sich gerne Filme mit Bruce Willis an. Oft wird Bruce Willis schlecht gemacht von ‚ernsthaften Menschen’, die bekritteln, dass die Welt keineswegs nur schwarz oder weiß ist, wie ‚der’ das immer darstellt, sondern vielmehr aus lauter helleren bis dunkleren Grautönen bestünde. Hier auf dem Land aber stehen die Leute noch alle hinter Bruce Willis, das zeigt schon das Kinoprogramm der Krone Lichtspiele, aber darüber hinaus leider auch der Vergleich zwischen den Käsestraßenführern vom hier und dem benachbarten Vorarlberg: reines schwarz-weiß. Während der Westallgäuerische Führer die Rolle der Übeltäter verkörpert, so übel kommt er daher, dass das völlig uncoole Wort altbacken gerade recht kommt, und Franz sich an die Zeit erinnert fühlt, als noch die Bay City Rollers ‚die Hitparaden stürmten’, ist der von Vorarlberg gut, frisch und munter. Dabei ist es keineswegs so, dass das Vorarlberg bekannt wäre für die Infragestellung alter Werte wie Familie und dümmlichen Frohsinns. Das Landesparlament in Vorarlberg setzt sich denn auch zusammen aus der konservativen ÖVP, dann kommt lange nichts, und dann, irgendwann mal, die rechtsradikale FPÖ, die SPÖ und die Grünen. Bayern hat nach einer Legislaturperiode mit Zweidrittelmehrheit der konservativen CSU, einer Koalition aus CSU und der wirtschaftsliberalen FDP nun wieder CSU allein. Die beiden Länder geben sich also nichts nach.
Vorarlberg hat aber eine weltweit anerkannte Architektur, es werden ständig ein- wie mehrtägige Studienreisen Architektur Vorarlberg veranstaltet, Architektur und Kultur wie das Kunsthaus Bregenz sind wichtige Faktoren in der Tourismusindustrie geworden. Die Ausstellungen von Eliasson, Sindy Sherman, Jenny Holzer, Tony Oursler etc werden überregional in ganz Europa in den Feuilletons besprochen. Ins Allgäu veranstaltet verständlicherweise niemand Studienreisen zum Thema Kunst und moderne Architektur, sonst wäre er ganz schnell insolvent, und es locken auch nicht Olafur Eliasson, Sindy Sherman, Ai Weiwei oder Jenny Holzer Einheimische wie Besucher an. Zur Ankurbelung des Tourismus werden vielmehr jedes Jahr ein paar weitere Heimatmuseen eröffnet und dabei gleichzeitig darüber geklagt, dass aus unerfindlichen Gründen die Besucherzahlen in den 1a Heimatmuseen zurückgingen und dass Vorarlberg gerade für Touristen, die mehr auszugeben gewillt sind, attraktiver sei als das Allgäu. Franz hat keine Ahnung, warum das alles so ist, aber irgendwas läuft hier schief. Er stellt sich vor, wie Bruce Willis einmal die Bösen auf der Käsestraße langsam sterben lässt, während er im Abspann in Vorarlberg in die Sonne reitet.