Читать книгу Kuhland - Toma Behlsum - Страница 16
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ОглавлениеDie beiden Bulgaren auf der Baustelle deuten auf ein Foto von zwei friedlich äsenden Hirschen in der Bildzeitung und fragen Karl Heinz, warum hier zwei friedlich äsende Hirsche abgebildet sind, weil sie die Schlagzeile nicht lesen können, dass es sich hierbei um zwei Killerhirsche handelt, kurz vor oder kurz nach einem Angriff.
'Nix verstehe dies Bucke-Stabe' sagen sie dann.*
Karl Heinz erklärt ihnen, dass es sich hier um Killerhirsche handelt, legt die Bildzeitung weg und übergibt ihnen stattdessen die Zeichnung mit dem vom ihm vorgesehenen Deckenaufbau in F90.*
‚Geben alles zu Scheff’, sagen sie daraufhin gut gelaunt, ‚kommte morgen’, und drehen das Radio lauter.
Während Brigitte fm4 oder Zündfunk bevorzugt, acidhouse, hardcorereggae, dubstep, noisecore und so, hört Karl Heinz am liebsten klassische Musik. Trotzdem kennt er sich wegen der vielen Baustellenbesuche ebenfalls gut mit der Hitparade aus, Shakira, Grönemayer, PUR oder Silbermond sind beileibe keine Fremdwörter für ihn*. Mit Befremden muss er sich wieder einmal anhören, wie Christina Aguilera lustig trällert, während es auf seiner Baustelle aussieht wie Deutschland 1945 und es angebrachter wäre, Zarah Leander sänge ‚Es wird einmal ein Wunder geschehen’ oder ‚Davon geht die Welt nicht unter’. Karl Heinz findet, dass es auf seinen Baustellen oft aussieht wie in ihm persönlich.
Er unterdrückt den Impuls, dem Ghettoblaster, wie er seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts nur noch auf Baustellen vorkommt, einen Fußtritt zu verpassen und führt ins Büro zurück um Brigitte zu bitten, den Chef der Baufirma anzurufen.
Obschon Brigitte in ihren Entscheidungen sehr spontan ist, sie hat ja auch Karl Heinz damals schon nach 14 Tagen geheiratet, ist sie vorsichtshalber ohne Erklärung nochmals mit ihm nach Hause gefahren, sieht sich dort aber letztlich in ihrem Vorhaben bestätigt. Trotzdem geht sie wie immer zur Arbeit in Karl Heinz’ Büro.
Brigitte ruft also die Baufirma an und teilt danach Karl Heinz mit, dass sie sich scheiden lassen wollte. Sie hatte nicht den Mut, ihm das zu Hause zu sagen, oder tut es aus Rücksicht auf seine angeschlagene psychische Verfassung nicht, im Büro erscheint ihr die Atmosphäre neutraler.
Am nächsten Tag lässt sie sich ihre Rentenversicherung ausbezahlen, etwa 9.000.—Euro, mehr Geld besitzt sie nicht, und auch von ihrem Mann kann sie keines erwarten, sie haben keine Ersparnisse und die Miete für die Dachterrassenwohnung, die schließlich Brigittes Idee war, ist hoch, auch wenn sie nur 78 qm hat. Zwar hatte Karl Heinz einmal 260.000.--, DM damals, von dem Verkauf einer Immobilie aus der ehemaligen DDR erhalten, diese aber dem Mann von Brigittes Schwester Evi gegeben. Er war Anlageberater, versprach hohe Zinsen. Kurz darauf verschwand der Mann aus Evis Leben und mit ihm auch das Geld von Karl Heinz und Brigitte.
Brigitte beschließt, Karl Heinz noch nichts von ihrer geplanten entgültigen Abreise zu sagen, sondern unter Hinterlegung eines Zettels auf seinem Schreibtisch einfach abzureisen. Sie begründet dies seinem Partner gegenüber damit, dass sie ihm nicht die Laune verderben wolle. Der Partner runzelt daraufhin die Stirn, kümmert sich aber nicht weiter darum. Er hat zu tun: den Abschluss des Umbaus eines Fahrradkellers in eine Schulküche zu planen oder vier Fluchttreppen an einem alten Bürogebäude.
‚Auf Wiedersehen’ sagt sie zu ihm gewohnheitsmäßig aber nicht sehr präzise. Er nickt.
Auf dem Bahnhof von Kempten trifft sie dann aber doch wieder auf ihren Mann, der mit demselben Zug hergefahren war, da er bald nach ihrer Abreise ins Büro gekommen war und den Zettel gelesen hat.
Keiner der beiden hat den anderen im Zug bemerkt. Brigitte fragt Karl Heinz, was er hier wolle. Dieser antwortet, er wolle reden, worauf sie erwidert, reden könnten sie immer noch. Daraufhin fährt Karl Heinz mit dem nächsten Zug wieder heim. Kurz darauf kommt Franz, der sich verspätet hatte, um sie abzuholen, ohne Karl Heinz zu begegnen.
Karl Heinz fährt noch mit dem Nachtzug zurück, am frühen Morgen kommt er am Bahnhof an und geht direkt vom Bahnhof auf die Baustelle, dort ist aber niemand, die Baustelle friedlich und leer. Sie sieht noch genau so aus wie die, die er gestern verlassen hat. Er ruft jetzt selbst den Chef der Baufirma an, um zu fragen, wann denn die Arbeiten weitergehen. Baufirmen sind aber ebenso unergründlich wie Asiaten, sie achten stets darauf, ihr Gegenüber nicht zu brüskieren; sie werden daher nie mit einem klaren ‚Nein’ antworten, um keine negativen Schwingungen hervorzurufen. Sie sagen gerne und oft ‚Im Prinzip’, um zu umschreiben, dass sie nicht im Traum daran denken. ‚Im Prinzip nächste Woche’ heißt daher ‚Nächste Woche auf keinen Fall’. Wenn jemand etwas nicht weiß, wird er das nicht zugeben, um nicht das Gesicht zu verlieren, und wird antworten ‚Ganz sicher vielleicht’.
Karl Heinz überlegt lange, ob er in Zukunft statt ins Allgäu nicht lieber zu einem japanisches Kirschblütenfest fahren soll, dann zuckt er resigniert die Schultern, geht nach Hause und legt sich hin.
*Radio Charivari, Antenne Bayern, Bayern 3, Radio Today. Sender, Programmformat nach eigener Aussage AC, Adult Contemporary ist, also Zielgruppe 20 – 50 Jahre.
*Bei uns gibt es keine Extrabuchstaben für zh, ts, ch, sh, sht, yu und ya, dafür aber die Buchstaben c, q, v, w und x. Das heißt, x gibt es im Bulgarischen schon, aber das bedeutet h. Klein g bedeutet d, h ist n, p ist r, c ist s, c + g ist der selbe Buchstabe und schaut aus wie ein komisches r. Aber keine Angst, a, o, s, und t schreibt man hier wie da a, o, s und t, alles halb so wild.
*Feuerbeständig