Читать книгу Kuhland - Toma Behlsum - Страница 9
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Оглавление‚Ich sollte vielleicht mal für eine Weile hier verschwinden’, sagt Jan. ‚Und mich dann komplett neu orientieren.’
‚Warum ziehen wir nicht ins Allgäu, dort ist es so schön, dass wir nie wieder weggehen werden. Dort wohnen wir dann mit vielen wilden Tieren, und mit Kühen. Der Himmel wird nachts dunkel sein und der Mond scheint hell, und die laute Natur wird die böse Welt draußen übertönen’, ruft Trisch, seine Frau.
‚Das klingt ja ganz schön’, sagt ihre Freundin, ‚aber genau dort ist die Mitte von nirgendwo.’
‚Mir doch egal’, sagt Trisch. Das sei außerdem eine dumme Übertragung aus dem Amerikanischen, in the middle of nowhere, ergänzt sie nach einer ganzen Weile, die beide damit zugebracht haben zu versuchen, eine Bestellung aufzugeben.
‚Da ist doch nichts‘, insistiert ihre Freundin, und ergänzt, dass von der Landschaft vor der Türe man schlecht einen Kulturkampf betreiben könne und nur in urbanen Lebensumfeldern herrsche Kampf, und nur so entwickle sich die Gesellschaft. Im Kuhland dagegen herrsche die idyllische Einfalt.
Trisch fragt in die Runde, vor wie vielen Generationen jeder einzelne denn dem Kuhstall auf Wiedersehen gesagt habe und erntet betretenes Schweigen.
Trisch und Jan und der Fox der Beiden sind mit einem befreundeten Ehepaar im Theatercafé, und nicht nur Trisch und ihre Freundin versuchen verzweifelt, eine Bestellung aufzugeben.
‚So würde es zum Beispiel niemals einem Landbewohner gelingen, auch nur eine Bestellung in einem Szenecafé aufzugeben, geschweige denn dort auch was zu bekommen. Ohne Kenntnis von sun tzu*, die Kunst des Krieges, um das strategische Vorgehen beim Bestellen von Speisen und Getränken unter unterschiedlichen erschwerten Bedingungen zu studieren, täte sich da nichts’, fährt die Freundin von Trisch fort.
‚Das kann doch nicht so schwer sein’, sagt Trisch und hebt zum hundertsten Mal die Hand, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen. Die Bedienung aber schaut durch ihre Hand einfach hindurch.
‚Es gibt nämlich in städtischen Gebieten fünf Arten von Bedienung, was bei der Bestellung zu berücksichtigen ist’ führt die Freundin weiter aus, ‚erstens echte professionelle Bedienungen, wobei es natürlich wie in allen Berufen gute und schlechte Bedienungen gibt, was aber keine Rolle spielt, und zweitens Inhaber und Service eines Cafés in Personalunion.
‚So weit so gut’, sagt Trisch, ‚aber beides kommt auch in Kuhland vor.’
‚Ja, aber dann gibt es noch Bedienungen, die eigentlich gar keine sind, aber welche spielen, vorzufinden beispielsweise in Grand Hotels, Beatniks, die Bedienungen so verkörpern, ganz so wie sie es in einem Off-Broadway Stück spielen würden. Das sind dann die Besten überhaupt. Weit verbreitet sind allerdings auch solche, die ängstlich vermeiden, dass sie jemand für Bedienungen hält. Sie bringen nur deswegen den bestellten Kaffee und das Bier, weil sie durch widrige Umstände in ihrer Biografie in die Verlegenheit gebracht wurden, Dinge zu tun, die ihnen zutiefst zuwider sind, wie etwa Kaffee oder Bier zu bringen.’
‚Und was sind dann das hier für welche?’
‚Letztendlich gibt es neuerdings Bedienungen, und diese hier zählen dazu, die auf die Frage, ‚Sind Sie hier die Bedienung’? antworten würden, das wüssten sie auch nicht, die Frage habe sich ihnen irgendwie nie gestellt. Der worst case.’
Trisch murmelt jetzt wieder was von Amerikanismen, die Freundin fährt aber ungerührt fort:
‚Davon haben die vom Land ja keine Ahnung. Deshalb fahren die Bewohner von Kleinstädten auch immer mit einem kundigen Reiseleiter im Omnibus als Gruppenreise in die Großstadt.’
Auch die Freundin von Trisch hat während ihres Vortrages ununterbrochen versucht, die Aufmerksamkeit der Bedienung zu bekommen, einer blonden jungen Frau mit wachsblonden Haaren, die zu einem dicken Zopf geflochten sind, und die dadurch aussieht wie die Madonna, die Madonna in katholischen Kirchen, nicht die Sängerin.
Der Foxterrier von Trisch hat sich derweil an den Nachbartisch gesetzt.
‚Auf dem Land heißt es immer nur, Kollege kommt sofort, oder: ich sag’s dem Kollegen oder der Kellner ruft gleich: Kollege’ sagt der Mann der Freundin, um auch etwas gesagt zu haben.
Trisch überlegt, ihrem Hund zu folgen. Jan steht auf und flüstert der Madonna etwas ins Ohr und bereits 20 Minuten später hat Jan einen Martini Cocktail und die anderen alle Kaffee und Kuchen, einmal Nusskirsch, einmal Engadiner Nuss und einmal Zitronentarte. Der Kuchen ist ganz ökologisch und schmeckt hervorragend, da oft die Qualität von etwas steigt, je schwerer es zu erlangen ist.
Die nächsten Tage verbringt Trisch mit packen, und Jan fährt voraus und mietet derweil ein Haus. Es liegt am Ende eines finsteren Tobels*, und die Finsternis überträgt sich auf das Haus. Das ehemalige Kleinbauernhaus ist vor etwa 40 Jahren von einem deutsch-amerikanischen evangelikalen Pfarrer renoviert worden, der einige Jahre darin gewohnt hat, bis es der Familie zu dumm geworden ist, die unter die Bettdecke kriechende Feuchtigkeit aus dem Tobel und die Schläge des Pfarrers für jedes noch so kleine Vergehen oder vielmehr natürlich Versündigen, und sie sich in alle Winde zerstreut hat. Da wollte auch der Pfarrer nicht mehr bleiben und verschwand ebenfalls. Seitdem hat das Haus alle paar Jahre den Besitzer gewechselt.
‚Schlechtes Karma’, sagt der jetzige Vermieter in seltener Offenheit zu Jan.
‚Egal’, sagt Jan, ‚wir bleiben nicht lange.’
Jan ist überrascht, wie entspannt er plötzlich ist. Er war über 20 Jahre im, wie er es nennt, Transportgewerbe tätig, zuerst hat er Kulturgüter illegal über die Grenze gebracht, und zwar in beide Richtungen, je nach Auftraggeber, später, als der Kulturgütertransfer abnahm, andere Sachen. Damit ist jetzt Schluss. Er befindet sich im Übergang zu einem neuen Leben.
*sun tzu, auch sunzi, Meister Sun, ein chinesischer Militärstratege, 500 v.Chr.
*alemannisch für ‚enges Tal’