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10. Wer A sagt muss auch B sagen

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Das Büro stand unter Wasser. Tatsächlich hatte Brunk es fertiggebracht, die Löschanlage auszulösen. Na gut, dachte May, ihr Goldjunge galt ja auch als Experte im Bereich ›Kommunikation‹ und war kein Techniker. Dafür musste man Verständnis haben.

May öffnete die Mailbox. Leer. Himmelherrgott, dachte sie, irgendwer würde ihr ja wohl bis morgen einen Typen schicken, der wusste, wie man ein Mikrofon einstöpselte. Sofort schrieb sie eine Mail an den technischen Stab, die genau diesen Inhalt in ein ebenso straffes wie dienstlich einwandfreies Wortgewand kleidete. Sie war schließlich eine Führungskraft und keine Blumenvase.

Dann rief Neville an. Er quatschte sofort drauflos, als wären sie alte Freunde. Ja, er sei menschlich verletzt gewesen, meinte er, und sie möge das bitte nicht persönlich nehmen, aber in solchen Dingen wäre er empfindlich. Dass May am Freitag nicht mehr vorbei gekommen wäre, hätte ihn tief enttäuscht. May hatte, während er all dies säuselte, ihre Kalligrafie auf die feuchte Tischplatte gemalt und an etwas Salziges gedacht. Diese Gurken-Meditation brachte es eh nicht richtig. Mit gebeiztem Herzen legte sie auf.

Was hatte sie zu verlieren? Wenn sie kein C3-Team zusammenbekommen würde, war es eben Essig mit der Konsul-Sause. Auch nicht weiter schlimm. Alles, was sie wollte, war Urlaub. Und den kleinen Lou zurück haben.

Sie sah die Nachrichten auf dem Schirm. Wie hieß dieser Fremde gleich? Hawel ... Tatsächlich fand sie drei Beiträge, die etwas über ihn erzählten: Dass sein Fall zu einer Verschärfung des Schießbefehls geführt hatte, erfuhr sie. Er schien keine Mission verfolgt zu haben. Kein Anschlag, nichts.

Es roch schrecklich. Das Wasser sickerte tief in das Polster, quietschte unter Mays Popo und dünstete den Sitzschweiß unzufriedener Berufsjahre heraus. May rief beim Fahrdienst an. Nein, noch war keine Fahrer disponiert, aber der große Transporter und, nein, der Kollege korrigierte sich: Ein kleiner Wagen sei reserviert. Der Zweitwagen des Kantinenbetreibers. Eventuell müssten sie noch die Paletten mit den Dosenbohnen ausladen. Und vorher sollte sie an die Tankstelle fahren, sagte man ihr, auftanken. Auch mal nach dem Ölstand schauen wäre gut. May notierte.

Dann rief sie beim Pförtner an und fragte, ob Martin Brunk im Hause sei. Ja, Herr Brunk sei da, bestätigte der Kollege, und May spürte sogleich Doom-mäßige Schmerzen durch ihren Magen trampeln. Aber es half ja nichts, sich lange mit dem Hin und Her zu befassen. Vielleicht hatte der Schnösel ja tatsächlich brauchbare Eigenschaften, sonst hätte er sich ja nicht so lange im Dienst halten können. Vielleicht war er im Einsatz ein ganz anderer Kerl. Vielleicht laborierte er nur privat an einer bipolaren Persönlichkeit. Vielleicht ... May seufzte. Wieder summte dieser Ohrwurm in ihr: May be, you're gonna be the one that saves me.

Manchmal fragte sich May, wie man eigentlich beurteilen konnte, ob jemand zur Polizei oder zu den Kriminellen gehörte. Typen wie Brunk oder Neville würde sie jede Schweinerei zutrauen, während jemand wie Tuh kurz davor stand, irgendwann ins Kittchen zu wandern. May massierte sich die Stirn.

Kettler kam rein. War er doch noch nicht beim Ballett.

»Uh, was ist hier denn los?« kicherte er.

»Ich dachte, du fühlst dich wohl, wenn es regnet?«

»Nee, nicht wirklich. Also, du sollst bei Milton antanzen. Das klingt alles übel. Zmich sagt, dass sie dir den Fall entziehen wollen.«

»Von mir aus gerne.«

»Hm, ja. So einfach wird das wohl nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich glaube«, sagte Kettler, »das ist ne größere Sache.«

»Ui.«

»Ja, weil: Es ist ja immerhin Bolaire, und da kann die Polizei von Kujai nicht einfach tatenlos bleiben.«

»Ja nun.«

»Da muss was etwas passieren. Milton sagt, wir dürfen jetzt nicht in blinden Aktionismus verfallen, aber es müsse einfach irgendwas passieren.«

»Verstehe.«

»Ja.«

»Also«, begann May einen sehr langsam buchstabierten Satz, »Milton möchte nicht, dass irgendjemand übereilte oder ungeplante Aktionen raus haut?«

»Genau.«

»... sondern: dass irgendwer einfach so irgendwann und irgendwie mal irgendwas macht?«

»Genau!« Kettler strahlte. Was konnte ein Bote von komplexen Botschaften sich mehr wünschen? May hatte offenbar die Botschaft gehört, verstanden und in ihrem Herzen eingebettet. Erleichtert wiederholte der glückliche Bote: »Es soll einfach irgendwas passieren. Und zwar dalli!«

»Alles klar, Kettlerino.« May nickte wie ein Offizier.

»Er erwartet dich um elf. Bis dahin solltest du die Sache in eine vernünftige Form gebracht haben. Soll ich Brunk rüberschicken, damit ihr das Konzept gemeinsam durchgehen könnt?«

May schwieg. Es roch wirklich nicht gut hier. Dann sagte sie: »Nee, lass mal. Er hat bereits ein sehr gutes Konzept vorgelegt. Ist vielleicht kein lupenreines C3, sondern eher so, na ja, C7 bis C5000, aber wir finden da schon zusammen.«

»Gut.« Kettler sah sie an, wie ein Hund, dem man Wasser auf die Wurst geschüttet hatte. »Also, ich drücke mal die Daumen.«

»Prima.«

»Du rufst mich an, wenn ich was für dich tun kann?«

»Geh mal lieber arbeiten jetzt.«

Auch wenn May selten Angst vor Menschen hatte, fielen ihr die Schritte zu Miltons Büro schwer. Der Geier begrüßte sie mit leisem Gurren: »Calla, wie weit sind Sie?«

»Tja.«

»Tja?«

»Ich glaube, man müsste mal ein paar grundsätzliche Dinge überdenken.«

»Die wären?«

»Wir haben Personalmangel.«

»Sie haben Personalmangel. Und nicht nur das, wenn ich mal so direkt einsteigen darf. Bei ihnen mangelt es nämlich an einer ganzen Menge, wenn ich die Eindrücke der letzten Tage filtere. Sie sind der Mangel in Person, wissen Sie das eigentlich? Ja, da sehen Sie mich an. Wieso bekomme ich von ihnen eigentlich keine vernünftige Antwort? Eine Katastrophe ist das, was Sie hier anbieten, Calla. Eine richtige Katastrophe.« Er zeigte auf einen Stapel von Papieren. »Wissen Sie, was das ist? Das sind die Beschwerden, die mir seit Beginn ihres Einsatzes auf den Tisch geflattert sind. Verstehen Sie? Die Kollegen haben den Kanal voll. Voll von ihnen. Mittlerweile ist es mir völlig egal, was Sie dort veranstaltet haben. Wenn ich das richtig verstanden habe«, er seufzte mit einem Widerwillen, der sich offenbar schwer bändigen ließ, »wollten Sie einen Flohzirkus aus den Ressorts machen. Nicht nur Frau Zmich, auch den Brunk haben Sie schon völlig durcheinander gebracht. Mensch Calla, wissen Sie eigentlich, dass der Mann bereits als Abteilungsleiter gehandelt wird? In zwei Wochen ist das ihr Chef! Und Sie wollten den zusammenfalten, wie einen Schuljungen ... Frau Calla, wirklich, das geht so nicht. Dicke Backen machen, damit erreicht man bei uns gar nichts, das sage ich ihnen jetzt mal unter uns. Sie haben - vor Zeugen - diesen Fall übernommen und bereits erste Aktivitäten dazu entwickelt. Das ist ein irreversibler Vorgang, wissen Sie das überhaupt? Wer A sagt, muss auch B sagen. Und ich sage ihnen jetzt mal klipp und klar, was das in ihrem Fall heißt: Sie fahren morgen da raus. Punkt sechs Uhr rollt ein blitzsauberes C3-Team vom Hof. Den Rest organisieren Sie. Es ist ihr Fall. Sie persönlich haften. Genau diesen Zusammenhang habe ich auch bereits der Kommission mitgeteilt. Man beobachtet Sie kritisch. Äußerst kritisch. Sie finden den Konsul, ganz gleich, ob Sie ihn komplett oder nur ein Ohrläppchen herschaffen. Und wenn wir den Drecksack eingetütet haben, dann wird es mir persönlich ein Vergnügen sein, ihn eigenhändig in die Mülltonne zu schippen. Haben wir uns da verstanden?«

May sah an die Wand. Sie dachte über den Zusammenhang zwischen den Worten hören und verstehen nach. Ja, sie hatte alles gut gehört. Sie nickte und griff die Pranke, die er ihr zum Abschied entgegen streckte.

Als sie ging, hatte ihr Frau Rosely im Vorzimmer eine kleine Metallplatte mit golden-roter Kennzeichnung in die Hand gedrückt. Ein Indiz, das direkt auf den Konsul verwies. Eine Kopie seines persönlichen Ordens. Dann ging May mutlos hinaus. Als sie über den Gang schlurfte, hörte sie das Brummen der Lüftungsanlage.

Wer A sagt, muss auch B sagen ... Vielleicht half ihr der nichtssagende Klang, ihren Ohrwurm zu vertreiben. Plan B. May be ... Das Brummen lief zu Hochtouren auf wie ein Bienenschwarm in der Mittagshitze. May be - you’re gonna be the one that saves me.

Irgendwie bräuchte sie jetzt mal jemanden, der sie ein kleines bisschen retten könnte.

Im Büro gärte das Aroma aus feuchtem Papier und schlechter Laune so intensiv, dass der Geruch den Weg durch Mays Nase übersprang und sich stattdessen direkt in ihrem Kopf einnistete. Sie würde Milton zeigen, dass sie sich mit den Gegebenheiten arrangieren könnte. Sie würde diesen Brunk eben mitschleppen. Sie würde zeigen, dass sie auch mit widrigen Bedingungen umgehen konnte. May schwor sich, dass sie den verdammten Konsul ausbuddeln würde, ganz egal, was für Flaschen man ihr schicken würde.

Bis zum Nachmittag stöberte sie im Archiv, telefonierte mit allen möglichen Kollegen, achtete dabei stets auf die Balance aus innerlichem Gurkengefühl und äußerlicher Honigwelle. Zwischendurch wischte sie Pfützen auf und streichelte das wellige Foto von Lou. Mit viel Glück hatte es die Sitzattacken von Brunks Hintern und auch das Wasser überstanden. Es war nicht alles schlecht.

Sie las den ganzen Tag lang in den Akten, telefonierte und notierte. Als sie gegen Abend wieder etwas Mut geschöpft hatte, bimmelte eine weitere Mail auf dem Schirm: Brunk war gekündigt worden, fristlos. Er hatte in der Mittagspause die Tür von Miltons Vorzimmer aufgebrochen, dann sämtliche Schubladen durchwühlt, und beim Hinausgehen einem Kollegen derart heftig in den Bauch geboxt, dass der Mann ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Kein Bargeld, aber einen tragbaren Computer hatte Brunk an sich gerissen. Jetzt war er flüchtig. Der arme Kokser, dachte May, er brauchte wohl wirklich sehr dringend das Geld.

Noch einer weniger. Das war doch alles ein Witz, dachte May und griff nach einem Bonbon. Jeder hatte sehen können, dass bei dem Typen eine Schraube locker war. Als »Goldjunge« wurde er gehandelt ... Und sein Onkel wollte ihn zum Abteilungsleiter machen! May lutschte. Hier hatten wirklich alle einen Knall. Würden in Kujai wenigstens die Gesetze der Marktwirtschaft funktionieren, dann hätte sie den Kerl zumindest an einen Zirkus verkaufen können.

Beim Kauen überlegte May, ob vielleicht die telefonischen Eigenschaften zu Tuh funktionierten. ›Huhu Tuh‹, dachte sie ziemlich laut, ›hier spricht die Zentrale für Mufflaune. Bitte melden!‹

Keine Antwort. Irgendwie bekam May Appetit auf Zitrone. Wie in Trance brütete sie über weiteren Mails, zögerte jedoch, noch ein einziges Ressort anzuschreiben. Nur Neville meldete sich noch einmal am Telefon, pünktlich, wie eine mit Schleim geölte Eieruhr. Er wolle »nicht so sein«, raunte er, und er würde May »noch eine Chance geben«, und man sähe sich dann »morgen um elf Uhr« auf dem Hof. May seufzte. Sechs Uhr sollte Abfahrt sein - und der einzige Kollege, der zugesagt hatte, war ein Playboy, der fünf Stunden zu spät kommen wollte. Hatte sie es hier nur mit Irren zu tun? Der vernünftigste Mensch im Umkreis von fünfhundert Metern schien der Lutschbonbon in ihrem Mund zu sein. Und der war nun auch alle.

May überflog die Gebietskarte. Völlig unwegsames Gelände. Wie sollte ein Wagen aus der Stadt dort eigentlich hinkommen? Sie fragte sich, ob der ölwechselbedürftige Dosenbohnen-Twingo mit Gummistiefeln ausgestattet war. Ob da überhaupt jemand dran gedacht hatte? Na ja, genau genommen, war sie diejenige, die dafür bezahlt wurde, über so etwas nachzudenken. May zoomte das Bild größer. Keine Straßen. Man würde mit dem Wagen das Gebäude nicht erreichen können, denn ein Arm des alten Torfkanals schnitt die Zufahrt bereits zwanzig Kilometer zuvor ab. So wie es aussah, existierte überhaupt keine befahrbare Straße dorthin. Zwischen den Bauernhöfen lagen Bereiche voller Sümpfe.

May rieb sich die Schläfen. Die Bonbonschale empfing ihre Finger mit hämischer Leere. Draußen warf die Sommersonne einen desinteressierten Abenddunst durch die Häuserschluchten, und als Mays Unbehagen endgültig in eine magenkneifende Verzweiflung umgeschlagen war, stand sie auf, warf die Lederjacke über und lief die Treppe hinab.

Wieso meldete Tuh sich nicht auf ihre telefonischen Anfragen?

MAY BEE

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