Читать книгу MAY BEE - Tomas Maidan - Страница 9
5. Doom
ОглавлениеAm Mittwoch schlichen sich per Mail die ersten Bestätigungen an. May setzte die Kaffeetasse ab, flog mit der Maus geübte Sturzflüge über dem Eingangsordner und freute sich über den Fortschritt, der sich in so vielen Zeilen dokumentierte. Es lief gut.
Ihre zügige Herangehensweise hatte sich ausbezahlt, dachte May und rückte das Foto von Lou neben dem Monitor gerade. Für die Assistenz hatte sich dieser Kollege namens Brunk gemeldet. May kannte ihn nicht. Er schien etwas jünger als sie zu sein, besaß aber einige Erfahrung in der Drogenfahndung. Außerdem hatte er ein hübsches Profilfoto: Kinnbart, hohe Stirn, ernsthafter Blick. May bestellte ihn auf halb elf.
Aus der Recherche kamen gleich sieben Dateien, die Informationen zu jenen Personen gaben, die sich auf dem Schloss befanden. Komische Leute, fand May, keine richtigen Verbrecher allem Anschein nach: Künstler, eine Musikerin, eine ehemalige Paketbotin. Informationen über die Baronin fehlten.
Die Tür öffnete sich, und wie aus dem Nichts stand plötzlich eine Gestalt im Raum. Noch bevor May den Blick vom Monitor lösen konnte, schlurfte der Mensch bereits neben ihren Tisch, hüstelte wie ein kleines, erkältetes Tier und griff nach Mays Becher.
»Hallo«, keuchte die Mischung aus Mensch und Eichhörnchen, »ist die Tasse noch frei? Bräuchte dringend einen Schluck.« Das Eichhörnchen sprach in einer weibischen Höhe.
»Äh, guten Morgen erst einmal«, nuschelte May und schubste sich mit dem Stuhl vom Tisch ab. Sie rollte fröhlich bis zum Fenster und beobachtete, wie sich der Mann auf ihren Tisch setzte. Ihr aufgeschlagenes Notizbuch verschwand unter einer Bundfaltenhose. Lous Bild wackelte besorgt. May observierte den Eindringling: Strubbelige Haare, Pickel, unsportliche Figur. Er wirkte wie ein verschlafener Teenager. Unter seiner Windjacke knitterte ein schwarzes Shirt auf dem Doom stand. Sein Gesicht wirkte schief. Immerfort schien er einen unsichtbaren Bienenschwarm zu beobachten.
»Mit wem habe ich denn das Vergnügen?« fragte May leichthin.
»Brunk«, fiepte er, »wir waren verabredet. Ihre rechte Hand für dieses Projekt in der Pampa. Mann, ist der kalt.« Er lutschte an Mays Becher. »Ich darf doch?«
May zuckte mit den Schultern. Auf dem Foto hatte er besser ausgesehen.
»Also, Brunk ist mein Nachname, aber du kannst Martin sagen, wir haben uns auf dem Seminar zur Rasterfahndung gesehen, schöne Scheiße war das, egal, und nun? Oberkommissarin? Sauber. Muss ja sein. Bin auch schon dabei.« Er begann, mit einem Finger in der Tasse zu rühren. In Mays Tasse.
»Ich war auf keinem Seminar zur Rasterfahndung.«
»Ach, egal, das war eh nichts. Am Ende zählen eh nur: Punkte, Punkte, Punkte. Und dann knallt es irgendwann doch. Krass.« Er trank ihren Kaffee. »Darf ich die Tasse nehmen?«
May atmete durch.
»Kaffee muss ja sein, ich kriege sonst echt die Krätze. Wann geht es denn raus, den Konsul ausbuddeln?« Er lachte wie ein Zwölfjähriger, der einen feuchten Neujahrs-Knaller gefunden hatte. Der Knaller war Mays Tasse.
»Vielleicht lebt er ja noch«, wandte May langsam ein.
»Unfug. Der Konsul ist hops. Schade, der war irgendwie schon okay. Er war mit meinem Onkel sogar mal im Urlaub.« Er biss sich einen Fingernagel ab und schob ihn sich zwischen die Zähne. May sorgte sich, ob er bereits die erste Seite ihrer Notizen mit dem Hintern zerwühlt hatte.
»Aber Martin, noch ist die gesamte Mission ja völlig unklar.«
Er blies das Abgekaute in die Tasse. »Egal«, unterbrach er. »Ist doch sowieso egal, was man hier für ein Gespaddel mitmacht. Bisschen Erfahrungen machen, die ganz linken Touren abchecken. Je schneller man die derben Kracher hinter sich hat, desto besser. Wir fahren da raus und laden uns von der Oma zum Tee ein. Wenn sie Kandis hat, umso besser. Ganz entspannt würde ich die Sache angehen.« Er tanzte mit den Schultern. »They call me mellow yellow. Mein Eindruck ist sowieso, dass die meisten von diesen Leuten total entspannt sind, wenn man das richtige Level findet.«
»Das richtige Level?« May verzog den Mund zu einem nickenden Schmollen. Es hätte Anerkennung unter Handwerkern bedeuten können, wäre es ernst gemeint gewesen. »Und du kannst auf dem richtigen Level mit denen reden?«
»Ja, easy. So ein Dealer ist auch nur ein Mensch.«
May stand auf. »Also, noch ist die Zusammensetzung meines Teams nicht abgeschlossen. Dir ist schon klar, dass es am besten wäre, wenn ich Leute dabei hätte, die ich schon kenne?«
»Ja ja, schon klar. So förmlich würde ich die Sache nun aber nicht sehen. Kannste froh sein, wenn da überhaupt jemand mitkommt. Milton ist ja auch keiner, der sich für Klein-Klein interessiert.«
»Klein klein?«
»Ja, es geht schließlich um den dritthöchsten Minister des Landes. Da ist kein Klöntrupp gefragt. Da braucht der keine Noobs.«
»Sondern?«
»Irgendwas Dynamisches. Weißte doch, wie die sind. Nicht viel Schnabbeldidu, sondern Zack, auf den Punkt. Und wenn es dumm läuft, in Deckung gehen und das große Aufgebot schicken.«
»Na ja, also, erst mal müssen wir ein C3-Team bilden, damit ein mittelgroßes Aufgebot die Lage sichten kann.«
»Ein was?«
»C3, so nennt man doch den Zirkus. Zehn Leute, plus ich.«
»Ach so, ja klar, kenn ich, große Truppe, da kann ich natürlich moderieren, falls es da zu Schwierigkeiten kommt. Wollt ich eh noch sagen: Ich sehe meine Rolle eher im moderativen Bereich.«
»Martin, was redest du denn da?« Sie sah ihn waagerecht an. »Moderativer Bereich? Was soll denn das heißen? Wir werden dort mit völlig unberechenbaren Personen zu tun bekommen. Die lagern dort Koks, Waffen und eine Politiker-Leiche. Und du quatschst mich hier mit moderativem Dingsbums voll? Redest du immer so?«
»Nee, nee«, näselte er, »das hast du falsch verstanden, mit dem moderativen Bereich. Da schließe ich die Zielpersonen ausdrücklich mit ein. Investigation durch zielgeführte Gesprächsführung nennt man das. Nie von gehört?«
May sah ihn an. Sie setzte noch einmal ihr Handwerker-Gesicht auf, bei dem sie sich immer fühlte, als wäre sie eine Gurke, die den Prozess des Wachstums beobachten sollte. Der Kerl tickte nicht ganz sauber, dachte sie und schwieg ein Gurkenschweigen.
»Erst, wenn ich Signale gesetzt habe«, erzählte Brunk, »die meinem Gegenüber vermitteln, dass ich die gleichen Lebenswerte wie er teile, dass ich mich in seiner Realitätenwelt befinden tue, also, dass ich einer bin wie er, erst dann, äh«, er starrte angestrengte in die Glühbirne, »dann ist er bereit, mir zu folgen. Führung heißt, Gefolgschaft durch Ähnlichkeit herstellen. Und so setzen wir an, um die Informations-Cluster, die er uns preisgeben wird, durch Synchronifikation zu triggern.« Sein Fingernagel verschwand in der Zahnlücke.
»Interessant«, log May.
»Hochinteressant ist das«, rief er und rutschte vom Tisch. Mays Notizbuch war endgültig zerrissen. Lous Foto wackelte bestürzt.
May wollte neue Mails lesen, doch das Verhalten von diesem Bübchen ging ihr nun deutlich gegen den Strich. Normalerweise kannte sie solche Typen als Kunden - und nicht als Kollegen.
»Sag mal, Martin: Wie lange bist Du im Dienst der Zentrale?«
»Ich?« Er hatte einen Kugelschreiber gefunden, mit dem er sich auf die Nasenspitze klopfte. May schwieg und legte den Kopf ein paar Grad über jenen von Frau Zmich bekannten Winkel schief. »Zwei Jahre«, sagte Brunk. »Direkt von der Akademie zur Zentrale. Noten waren so lala, aber mit Power kann man was rausreißen.«
»Gut, gut, dein Profil hatte ich ja gesehen. Kennst Du denn die Gegend da draußen? Das Schloss liegt mitten in der Tundra.«
Die Tür flog auf und Frau Zmich walzte herein. »Tschuldigung, wenn ich störe, Frau Calla, nur ganz kurz: Die Sache mit den Technikern, die besprechen wir in der 16-Uhr-Konferenz, ja?«
May betrachtete Zmichs tiefbraune Schicht aus Bräunungscreme. Eine parfümierte Kampfmaske für den Krieg im Vorzimmer. Herabsetzung war ihre Königsdiziplin.
»Eins sage ich ihnen aber jetzt schon, im Guten«, ratterte Zmich, »im Bereich V läuft das so nicht. Ihr Vorgehen, Frau Kollegin, die Leute auf Zuruf abziehen zu wollen, das sind wir hier nicht gewöhnt. Da läuft bereits eine Beschwerde gegen Sie.«
May wollte etwas erwidern, doch Zmich war schneller: »Darüber werden wir in aller Ruhe auf der Konferenz sprechen. Von Querkommunikation unter vier Augen halte ich nämlich gar nichts. Und das sagen übrigens alle. Von B bis D redet man nämlich so manches über Sie, um das ganz klar zu sagen. Milton hat auch schon gesagt, dass, na ja, ich sage mal lieber nichts dazu.« Sie drehte sich zur Tür. »So, ich muss. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber so geht das nicht.«
Fort war sie.
Der Mann, der Martin hieß, hatte den Blitzauftritt offenbar kaum bemerkt. Er versuchte ungerührt, mit dem Kugelschreiber etwas ins Innere von Mays Kaffeetasse zu schreiben.
»Martin, was um alles in der Welt tust du da?«
»Nichts, nichts ... Ich war nur in Gedanken.«
»Gut. Dann würde ich vorschlagen, wir machen jetzt Folgendes: Wir machen uns jetzt beide ein paar Gedanken. Und zwar jeder alleine in seinem Büro. Abgemacht?«
»Abgemacht.« Er schlurfte zur Tür, ließ den Kugelschreiber fallen und schnatterte: »Wir treffen uns dann Dienstag um elf?«
May wollte ihm etwas sehr Ärgerliches antworten, als das Telefon klingelte. Das Vorzimmer von Milton war dran. Der Einsatzplan sollte Freitag bis 11 Uhr vorliegen. Detaillierte Angaben über Ausstattung und personelle Bestückung waren gefordert. May nickte zu all den Dingen, die Frau Rosely ihr diktierte. Selbstverständlich hatte May bereits ihren Plan skizziert: Sichtung des Geländes, Erfassung der Personen, zeitgleiche Überprüfung der Informationen. Defensive Grundausrichtung. Beim ersten Anzeichen von Gewalt wollte May sofort den Rückzug antreten. May notierte, was Rosely runterrasselte und legte leise auf.
Dieser Martin bereitete ihr Kopfzerbrechen. Auch, dass sie noch keine Zusagen von Videotechnikern bekommen hatte, war problematisch, aber, dass sich aus der Abteilung V jemand mit einer Beschwerde gegen sie wenden würde, erschien ihr völlig hirnrissig.
May brummte vor sich hin. Lou tat das manchmal auch. Ein Kater ist ein Resonanzwesen. Eigentlich wäre sie nicht traurig gewesen, wenn der ganze Quatsch komplett ausgefallen wäre. Von Gefahr im Verzug konnte sowieso nicht die Rede sein. Frederick Bolaire war offensichtlich an seine Dealer geraten, und die hatten ein paar Rechnungen ohne Skonto beglichen. Vermutlich stand er längst mit Betonsocken im Ententeich, und die Frösche quakten zufrieden.
May erschrak, als sie sah, wie viele Mails hereingestürzt waren. Über fünfzig Antworten, du lieber Himmel, so etwas hatte sie noch nie erlebt. »... wegen Terminverzögerung, nicht fristgerechtem Bearbeitungsstatus, Aufsichtsbeschwerde gegen Kommissariat Calla. Personalabteilung prüft rechtliche Schritte, charakterliche Defizite. Neubewertung der Gefahrenlage.« May atmete tief durch.
Die Tür öffnet sich, und schon wieder schob Frau Zmich sich herein. Sie ging an einem Mann vorbei, der ebenfalls hereinkam und den May nicht kannte. Er trug einen Overall. May winkte mit der Hand, als müsse sie einen überquellenden Hefeteig vor dem Blasenschlagen bewahren. Sie drückte die unsichtbare Blase zärtlich nieder und übte ein Bäckerinnen-Lächeln.
Der Mann im Overall kam an ihren Tisch, legte ein Blatt Papier darauf und verschwand. Zmich starrte sie dabei mit betonfarbiger Ungeduld an und sagte: »Frau Calla, so geht das wirklich nicht. Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht?«
»Ich? Habe mir etwas gedacht?«
»Gar nichts haben Sie sich gedacht«, korrigierte Zmich, »als Sie hier Kommandos durch die Abteilungen geschickt haben.«
May sah auf die Tabelle, die der Mann ihr hingelegt hatte. Sie zeigte den laufenden Monat und eine Liste von Namen, die jeweils eine Zeile anführten. Ein Dienstplan. Während Frau Zmich ihre gräulichen Blicke auf May tröpfeln ließ, studierte May die Verfügbarkeit der Fahrer. Rote Linien markierten darauf die Ausfalltage. May verstand: Rot war Trumpf.
»Calla, ich würde ihnen raten, ihr Team jetzt endlich zu benennen«, schnaufte Zmich. »Nehmen Sie doch Amtshilfe aus dem Ressort Vier in Anspruch.«
May blickte skeptisch auf. »Ressort Vier? Haben die nicht irgendwie mit der Reinigung zu tun?«
»Gebäudemanagement. Da finden Sie jemanden. Vor allem können die sich nicht beschweren, weil die nicht fest angestellt sind, sondern auf eigene Rechnung arbeiten. Das sind Profis.«
»Na ja, ich dachte, das wären alle Kollegen, aber bitte schön, gerne kann ich fragen, ob einer von den Hausmeistern Lust hat, sich von einem Drogendealer abknallen zu lassen.«
»Na, wenn Sie meinen, dass Sie hier mit lockeren Sprüchen besser zurechtkommen: viel Spaß. Aber sehen Sie zu, dass die Sache läuft. Die Polizei von Kujai ist kein Karnevalsverein.«
Steile These, dachte May und versuchte, innerlich wieder die Ruhe der Gurke zu finden. May fühlte sich grün.
»Und eins möchte ich ihnen noch raten«, sagte Zmich. »Sie sind gut beraten, wenn Sie Brunk die Assistenz geben. Er wirkt vielleicht ein bisschen hitzig, aber das legt sich. Er kann gut mit Menschen.«
May ließ die Kinnlade sinken. »Genau den Eindruck hatte ich ganz und gar nicht.«
»Nun«, sagte Zmich mit rekordverdächtigen drei Zentimeter Kopfschräglage, »vielleicht kann er nicht gut mit Menschen wie ihnen«, sie machte eine unverschämte Bedeutungspause, »aber er kann gut mit der Kundschaft.«
»Was? Was kann er gut mit der Kundschaft?«
»Kommunizieren. Strategische Kommunikation. Er knüpft Kontakte. Sie werden sehen, er kann Türen öffnen. Ein Goldjunge.«
May beschloss, eine Stelle an der Wand so lange anzusehen, bis sie bis zwanzig gezählt hätte oder in einem innerlichen Gurkenwald ruhen würde.
»Also, holen Sie sich schleunigst Rat ein, Frau Kollegin. Etwas Erfahrung wird ihnen nicht schaden.« Zmich ging. Endlich.
May guckte sich die Wand sehr genau an. Keine Wertung vornehmen, dachte sie, das war wichtig. Das Ding an sich sehen. Die reine Betrachtung. Die Wand war weiß wie der Bart des Konfuzius. Sie stand drei Meter vor ihr. Die Tapete besaß eine Struktur, die völlig uninteressant war. Die Struktur war ruhig wie eine Gurke. Man konnte sie ansehen. Man konnte sie lange ansehen. Man konnte sie so lange ansehen, bis der innere Wutpegelausgleich bei irgendeiner endlos hohen Nummer angekommen war. Und wenn man ganz genau und lange genug in die uninteressanten Rillen in der ruhigen Tapete gestarrt hatte, dann konnte man darin mit etwas Fantasie die Pfoten von einem kleinen, dicken Kater erkennen.