Читать книгу MAY BEE - Tomas Maidan - Страница 8
4. Vorbereitung
ОглавлениеGlatte zwei Stunden vor Dienstbeginn kam May am nächsten Tag ins Büro und begann sofort, am Computer zu arbeiten. Solide Vorbereitung war das A und O von strukturierter Arbeit. Ihre Laune blühte früh am Morgen immer prächtig, das war ihre Prime-Time. Und so umschmeichelte sie sämtliche infrage kommenden Ressorts mit präzise formulierten Mails: Fahrdienst, Tontechnik, Personenschutz, Team-Assistenz. Zehn Kollegen müsste man ja wohl zusammentrommeln können, dachte sie, für einen Ausflug ins Grüne. May würzte alle Anfragen mit professioneller Freundlichkeit.
Während sie für den Personenschutz bereits konkrete Vorstellungen hatte - Tim und Lowski, mit denen sie bereits zusammengearbeitet hatte - war ihr der Bereich Technik völlig fremd. Da sollten tatsächlich Leute mit versteckten Kameras neben ihr stehen? Gott! Normalerweise untersuchte May Tatorte, da gab es eingeschlagene Scheiben, aufgebrochene Schubladen und geschwätzige Nachbarn zu besichtigen, aber es kamen niemals versteckte Kameras zum Einsatz. May war Polizistin und keine Spionin. May Bond, im Auftrag ihrer Dicklichkeit ... Lachhaft. Was immer diese Baronin dort draußen auf dem Kerbholz hatte - man musste mit extrem unfreundlichen Reaktionen rechnen, sollten Mikrofone bemerkt werden. May seufzte. Ziemlich heikel das Ganze. Und man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, Milton wäre es sehr recht gewesen, sollte May ebenso wie der Konsul von ihrem Landausflug nicht zurückkehren.
Sie überflog die erste Antwort. »... aber leider, mit Bedauern ... in diesem Quartal ausgelastet ... Weitergabe an Ressort Inneres ... nicht möglich.« May setzte ein Häkchen. Zur Kenntnis genommen.
Wenn man wenigstens etwas über dieses Schloss in Erfahrung bringen könnte. May öffnete das Programm fürs Archiv und las: staatliche Enteignung vor 90 Jahren, kurzzeitige Nutzung als agrarwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Kornlager, dann Aufgabe wegen Plünderungen ... Über zwei Dekaden schien das Gebäude keinen rechtmäßigen Besitzer besessen zu haben. Sperrvermerk durch das Ministerium. May fraß die Informationen wie Eiskugeln in sich hinein. Nur glücklich wurde man damit nicht.
Aber dafür ein bisschen neugierig. Offensichtlich kontrollierten dort Leute vom Castiglione-Clan gewisse Lieferungen für die Stadt, das verstand May sofort. Sie blätterte durch die Datenbank. Natascha Mitral, 25 Jahre alt, wegen Drogenbesitz in die Fahndung geraten, kein Konsum, Kurierdienste für Morris Heito, Cousin von Sandra Castiglione-Heito. May schob das Bild der schwarzhaarigen Frau beiseite und sah die Nächste: Anna, Nachname unbekannt, flüchtig. Vermutlicher Aufenthaltsort: Residenz Heito, auf dem Tempelgelände. Alle, der hier aufgelisteten Personen standen mit der Familie Heito-Castiglione in Kontakt. Alle hielten sich wie ein Bienenschwarm an die alte Madame gekuschelt. Die merkwürdige Sandra Castiglione ... Sie war keine Unbekannte in der besseren Gesellschaft von Kujai. Jeder wusste, dass ihre Brüder lupenreine Verbrecher waren, während sie das Schöne und Gute der Sippschaft repräsentierte. Die Regierung ließ ihr den Spaß, solange man sich in einigen Geschäften ergänzen konnte.
May schaute aus dem Fenster. Sie fühlte sich auf eine unerklärliche Weise ausgelaugt. Hinter dem Parkplatz ragten die Hochhäuser grau und verschwommen in die Höhe. Die Stadt staubte dreckig vor sich hin. Wie groß sie war. Und ein kleiner Kater lief da ganz alleine irgendwo rum ... Vielleicht saß er eines Tages wie selbstverständlich wieder vor ihrer Tür? So etwas kam vor. Bestimmt hatte er Hunger und würde vielleicht den Weg zurückfinden? Ihre Straße war mit Abstand die schönste in der Gegend. May seufzte. Dann besäße sie zumindest zu Hause endlich wieder etwas, worauf sie sich freuen könnte - eine Art Gegengewicht zur Arbeit. Etwas Reines, Kluges und Ehrliches, wie dieser Kater, war doch das einzig Wahre auf der Welt.
Der Bildschirm klingelte. Ein Kollege namens Martin Brunk schrieb, alles ginge in Ordnung. Aha. Brunk - wer war das?
May massierte ihre Schläfen. Es war doch sonderbar, dass sämtliche Hinweispfeile in der Frage nach dem Schloss auf die Familie Castiglione zeigten - aber über eine Baronin Tanabe, die aus diesem Zirkel hervorgegangen war, sich nirgends etwas fand. Wer immer Tanabe war, sie musste wie ein Kuckucks-Ei im Herzen von Castigliones Reich gelegen haben, bis sie entschlüpfte und zur Hauptperson an einem anderen Ort, aber mit der gleichen Truppe wurde. Und dort draußen putzte der Kuckuck jetzt seine Federn.
Wieder klingelte der Schirm. Mail von Ressort 29: »Tim und Lowski haben Urlaub. Vertretung muss einzeln beantragt werden.« May strich ihre Augenbrauen glatt, sie juckten. Ohne Tim und Lowski war die Sache natürlich Essig. May blies verbrauchte Büroluft aus, stand auf und holte ihre Sporttasche aus dem Schrank. Sie musste einen Weg finden, diese schleierhafte Trübnis zu überwinden, die sie ergriffen hatte, seit sie mit dem Fall Bolaire betreut wurde. Ermattet ging sie aus dem Büro. Wo war bloß der Schwung vom Morgen hin?
Vielleicht stimmte es, wenn einige sagten, May wäre ein kleines bisschen verfressen. Ja, Schokolade, Eis und Honig hatten in ihrer Griffweite keine große Lebenserwartung. Aber May fand, dass einerseits ihre Figur ziemlich okay war, und dass es andererseits schlimmere Eigenschaften bei einem Menschen gab, als ein gewisser Appetit auf Essbares. Gut möglich, dass sie sogar ähnlich verfressen wie Lou war, aber sie beherrschte dafür eine andere Sache wie eine Eins, und diese Fähigkeit wog so manche Schwäche mehr als auf: May war ziemlich gut in Kata - und Katas waren ziemlich gut gegen Kopfschmerzen. Also ging May in die Sporthalle und schlüpfte in ihren Karate-Anzug. Sofort besserte sich ihre Laune und eine kühle Ruhe ergriff ihren Geist.
Kata gehört ebenso zum Karate wie Kumite, der eigentlichen Kampfdisziplin. Nur handelte es sich bei Kata eben tatsächlich um weit mehr als eine Art von Gymnastik, wie Idioten wie Schmit glaubten. Eine Kata stellt eine Bewegungsabfolge ohne realen Gegner dar, eine Art gedankliche und körperliche Vorbereitung auf - ja, wie sollte man das beschreiben? May dachte darüber nach, während sie den schwarzen Gürtel anlegte. Eine Vorbereitung auf: alles. Den nächsten Tag, den nächsten Widerstand, die nächste Sekunde. Eine Vorbereitung auf das Leben. Eine Übung, welche die gesamte Existenz des Übenden körperlich und geistig formte. Natürlich stellte Kata auch eine Vorbereitung auf einen Konflikt und auf den möglichen Kampf dar. Einen Kampf, den man vermeiden musste. Lerne zu siegen, bevor du kämpfen musst.
May führte ihre Kata aus. Und alles wurde besser. Und es verschwanden auch einige Kalorien auf beinahe magische Weise.