Читать книгу Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe - Страница 19

Kapitel 12

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Pamela Simms saß auf dem Sofa ihres Wohnzimmers und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab. Die frühe Morgensonne erhellte den geschmackvoll eingerichteten Raum. Pamela und John Simms hatten die ganze Nacht über kein Auge zugemacht, die Sorge um ihre Tochter hatte sie gnadenlos um den Schlaf gebracht. Nachdem sich der Entführer bis kurz vor Mitternacht nicht gemeldet hatte, waren die beiden in ihr Schlafzimmer gegangen. Doch schon nach kurzer Zeit war ihnen klar geworden, dass die Stille der Nacht eine unangenehme Begleiterscheinung mit sich führte: Nachdem sie sich zur Ruhe gelegt hatten, befreiten sie ungewollt ihre Phantasie von den Fesseln des wachen Bewusstseins.

Gedanken kreisten durch ihre Köpfe, malten schreckliche Bilder und erzeugten leidvolle Geräusche. Ohne es verhindern zu können, durchlebte ihre Tochter in ihren von Angst durchsetzten Gedanken mehrmals schreckliche Stunden, in denen sie gequält, gefoltert, vergewaltigt und getötet wurde. John Simms versuchte, diese Bilder zu vertreiben; es war doch schließlich möglich, das alles gut ausging. Doch wie eine in der Fremde ausgesetzte Brieftaube, kehrten auch die bösen Gedanken schnell und zielstrebig zu ihrem Stall zurück und bohrten sich gnadenlos in die Köpfe der besorgten Eltern.

Die beiden waren schließlich zurück ins Wohnzimmer gegangen und hatten Sergeant Haggerty, der für die Nachtschicht im Hause Simms eingeteilt worden war, Gesellschaft geleistet. Sie hatten sich fast die ganze Nacht hindurch über belangloses Zeug unterhalten und dabei ein wenig von der Ablenkung gefunden, die ihnen in ihrem Schlafzimmer verwehrt geblieben war.

John Simms brachte ein Tablett herein und stellte es auf den Tisch. »Der Kaffee ist ziemlich stark, ich hoffe es ist Ihnen recht, Sergeant.«

Tom Haggerty streckte sich und gähnte herzhaft. »Er kann gar nicht stark genug sein. Eine Koffeinbombe ist genau das, was ich jetzt brauche.«

Pamela Harris holte drei Tassen aus dem Schrank und verteilte sie auf dem Tisch. »Es tut mir leid, dass Sie sich ganz umsonst die Nacht um die Ohren geschlagen haben.«

Sergeant Haggerty winkte energisch ab. »Das gehört zu meinem Job, M’am. Und abgesehen davon hatte ich ja nette Gesellschaft.«

John Simms stellte ein paar aufgebackene Brötchen, sowie Konfitüre, auf den Tisch und setzte sich auf das Sofa. »Bedienen Sie sich, Sergeant. Ich habe im Moment keinen Hunger, also schlagen Sie ruhig zu.«

»Danke, Sir. Das wäre aber nicht nötig gewesen.«

»Früher haben wir am Wochenende immer zusammen mit unseren Töchtern gefrühstückt; das war irgendwie schon ein Ritual. Wir haben am Esstisch gesessen und uns über Gott und die Welt unterhalten. Bei uns wurde morgens keine Zeitung gelesen, oder ferngesehen; bei uns gab es wirklich noch Familienleben. Angie und Heather übertrafen sich manchmal gegenseitig in puncto Albernheit. Es ging dabei um alle möglichen Themen: Schule, Arbeit, Freunde, Kino, aktuelle Ereignisse aus den Nachrichten ...; Heather liebte es besonders, kontrovers zu diskutieren. Wenn es eine mehrheitlich vertretene Meinung gab, dann konnte man sicher sein, dass unsere Jüngste den gegensätzlichen Standpunkt vertrat. Sie konstruierte ganz spontan logische Beweisketten für abstruse Meinungen, hinter denen sie eigentlich überhaupt nicht stand; die sie aber vehement vertrat, weil sie wusste, dass sie Angela und mich damit auf die Palme bringen konnte.«

Zum ersten Mal seit langer Zeit legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

»Wir haben bei unseren Diskussionen alle unheimlich viel Spaß gehabt und am Ende immer zusammen gelacht. Manchmal hat sich Heather bei ihren Beweisführungen total verzettelt, aber sie ist ihrer Linie trotzdem treu geblieben und hat uns mit den irrationalsten Argumenten den letzten Nerv geraubt, bis sie selber aus dem Kichern überhaupt nicht mehr rauskam. Als die Mädchen älter wurden, wurden auch unsere Wochenenddiskussionen seltener. Die beiden waren abends mit Freunden weg oder feierten Partys…; wenn sie am nächsten Tag irgendwann aus den Federn gekrochen kamen, dann war es eher Zeit zum Mittagessen als zum Frühstücken. Als dann auch noch Jungs in ihr Leben traten, bekamen wir unsere Mädels nur eher sporadisch zu sehen. Zeit für Spaßdiskussionen blieb da nicht mehr. Wir waren immer noch eine Familie, die felsenfest zusammenhielt, aber die Prioritäten verliefen doch in unterschiedliche Richtungen. Haben Sie Kinder, Sergeant?«

Tom Haggerty schluckte lächelnd ein Stück Brötchen herunter. »Oh ja, sieben Mädchen…«

John Simms sah ihn mit großen Augen an und entlockte dem Sergeant damit ein Schmunzeln.

»Ich weiß, was Sie gerade denken; das muss schlimmer sein, als einen Sack voll Flöhe zu hüten. Was soll ich sagen; Sie haben absolut recht. Wir wollten unbedingt einen Jungen, aber irgendwie haben wir es nicht hingekriegt und schließlich die weiße Fahne geschwenkt und aufgegeben. Nein, im Ernst: Meine Frau und ich kommen beide aus Großfamilien. Ich habe sieben Geschwister, meine Frau Hannah sechs. Wir kennen es nicht anders, als ein volles Haus zu haben, und so stand für uns von Anfang an fest, dass wir zumindest ein halbes Dutzend vollmachen würden. Als krönenden Abschluss der Familienplanung bekamen wir vor zwei Jahren Zwillinge. Ich wohne mit acht Frauen zusammen; glauben Sie mir, da macht man manchmal ganz schön was mit.«

»Oh das kann ich mir vorstellen. Ich wusste in den letzten Jahren bei nur drei Frauen schon manchmal nicht, wo mir der Kopf stand.«

John Simms blickte mit schrägem Kopf zu seiner Frau hinüber und erntete ein leichtes Lächeln. Die Traurigkeit in den Augen seiner Frau holte ihn jedoch abrupt wieder in die Gegenwart zurück. Er atmete tief durch und trank einen Schluck Kaffee, der schon lange nicht mehr heiß war. Sergeant Haggerty bemerkte sofort, dass die Wirklichkeit den Familienvater wieder eingeholt hatte und erwiderte nichts mehr. Er griff nach einem weiteren Brötchen und bemühte sich, in dieser schwierigen Situation als Gast in einem fremden Zuhause nicht allzu sehr zu stören.

Pamela Simms stand am Fenster und blickte gedankenverloren hinaus. »Da kommt Peter.«

Peter Warren parkte seinen alten, rostigen Dodge vor dem Haus und stieg aus. Er sah die Mutter seiner Freundin am Fenster stehen und winkte ihr mit einem gequälten Lächeln zu. Peter war vierundzwanzig und lebte seit fünfzehn Jahren in Los Angeles. Er hatte vor drei Jahren seine Lehre als Elektrotechniker abgeschlossen und war später über mehrere Umwege in den Filmstudios und schließlich bei der Schauspielerei gelandet. Er besaß längere Zeit keine festen Engagements, wurde aufgrund seiner Wandlungsfähigkeit vom Studio jedoch gerne für die verschiedensten kleineren Rollen eingesetzt.

Als zwei Monate zuvor eine Nebenrolle in ‘Westside Blvd.’ neu besetzt werden musste, hatte Heather die Produzenten und den Regisseur so lange genervt, bis sie Peter die Rolle anboten. Die Studiobosse kannten Peter Warren und seine Arbeiten, wodurch es für sie kein großes Risiko war, ihrem Nachwuchssternchen den Wunsch zu erfüllen. Zur Zeit wurde Peters Gesicht von einem mittelprächtigen Vollbart verunstaltet, den er für eine anstehende Rolle in einem Film über das Mittelalter benötigte. Bis dahin waren noch einige Wochen Zeit, sodass das unförmige Gestrüpp in seinem Gesicht noch ausreichend Gelegenheit hatte, sich in Form und Dichte zu entwickeln.

Mit schnellen Schritten legte er die wenigen Meter bis zur Tür zurück, wo John Simms ihn erwartete.

»Hallo, Mr. Simms. Haben Sie schon etwas von Heather gehört?«

John Simms schüttelte den Kopf. »Nein, Peter. Sonst hätte ich dich auch schon angerufen. Das hatte ich dir doch versprochen. Komm rein; möchtest du mit uns frühstücken?«

»Nein danke, Sir. Ich kriege keinen Bissen herunter. Hallo, Mrs. Simms. Sergeant.« Er ging auf Pamela Simms zu und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Sie wird bald wieder da sein.«

Heathers Mutter nahm ihn in den Arm und drückte ihn an sich. »Ich hoffe es, Peter. Ich hoffe es.«

Sie löste sich von ihm und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab. Dann wand sie sich wieder an den Sergeant, der noch immer mit seinem Frühstück beschäftigt war. »Glauben Sie, er wird wieder anrufen?« Ihre Stimme klang leise und ängstlich.

Tom Haggerty spülte das Brötchen mit einem kräftigen Schluck Kaffee herunter. »Natürlich, M’am. Er wird sich auf jeden Fall melden. Er will uns irgendetwas mitteilen, sonst hätte er gestern nicht angerufen.«

»Aber warum hat er gestern denn nichts gesagt?«

Der Sergeant schüttelte den Kopf, als sie ihn mit großen, fragenden Augen anstarrte. »Die Frage kann ich Ihnen beim besten Willen nicht beantworten. Aber ich bin mir ganz sicher, dass er wieder anrufen wird.«

Sie setzte sich zu ihm auf das Sofa und schüttete sich mit zitternden Händen eine Tasse Kaffee ein.

Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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