Читать книгу Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe - Страница 7

Kapitel 2

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Es war kurz nach neunzehn Uhr, als ich das Gelände der Hollywood Sunrise Studios in Los Angeles endlich verlassen konnte. Hinter mir lagen elf harte Stunden und unzählige wiederholte Takes. Dieser Drehtag war einfach nur wahnsinnig anstrengend gewesen. Den ganzen Nachmittag lang hatten wir ausschließlich Szenen auf dem Drehplan gehabt, in denen es um extreme Konfliktsituationen und das kaputte Gefühlsleben der noch kaputteren Hauptakteure ging.

Obwohl ich unseren Regisseur Terry Gordon privat für einen total netten und sympathischen Typen halte, versteht er es hervorragend, uns Schauspieler während eines Drehtages regelmäßig in den Wahnsinn zu treiben. Szenen werden ’zig mal wiederholt, bis selbst dieser dauernörgelnde Perfektionist auf seinem Regiestuhl endlich zufriedengestellt ist. An diesem Freitag hatte ich ihn insgeheim bestimmt hundertmal verflucht, doch jetzt musste ich zugeben, dass es zwischen den endgültigen Takes und den Szenen, die ich persönlich als ungeduldige Regisseurin bereits akzeptiert hätte, riesengroße Unterschiede gab, die allesamt in den kleinen, aber wichtigen Details lagen.

Nein, Terry beherrschte sein Handwerk; das stand fest. Für alle in unserem Team war es nur eine Frage der Zeit, bis er die Kulissen unserer Daily Soap für immer verlassen würde, um seinen ersten großen Kinofilm zu drehen. Hollywood und die Hollywood Sunrise Studios waren mittlerweile seit über drei Jahren seine große, bunte Spielwiese, auf der er sich austoben konnte. Aber eigentlich war er schon an seinem allerersten Tag an unserem Set mit der Aufarbeitung unserer banalen, alltäglichen Serienprobleme völlig unterfordert. Ein Kollege hat einmal gesagt, dass Terry die Leiter des Erfolgs bereits vor dem Fenster der großen Studiobosse aufgestellt habe und nun ungeduldig darauf warten würde, dass ihm jemand Einlass gewährt und ein Drehbuch vorlegt, welches ihm den Aufstieg in die Riege der Starregisseure ermöglichen würde. Viel besser konnte man das wohl nicht ausdrücken.

Ich winkte Jim – dem alten Pförtner der Studios – zu und betrat die Vineyard Avenue. Die schwülwarme Luft schien extra auf mich gewartet zu haben, um mich auf meinem Heimweg zu begleiten. Müde blinzelte ich in die tief stehende Sonne. Ich war total geschafft. Seit acht Uhr morgens hatte ich in den klimatisierten Kulissen der Studios wieder und wieder meine Szenen gespielt, ohne die Hitze an diesem heißen Tag überhaupt wahrzunehmen. Es war jetzt Ende Mai. Die Sonne knallte schon seit Wochen unbarmherzig auf unsere Stadt herunter und ließ Menschen, Tiere und Vegetation gleichermaßen leiden. Da ich mich fast nur noch in den Studios aufhielt, sah ich allerdings immer noch aus, wie eine Mischung aus Vampir und Kellerzombie.

Dafür freute ich mich nun um so mehr auf das vor mir liegende Wochenende, das ausnahmsweise mal völlig drehfrei war. Die nächsten zwei Tage würde ich zusammen mit meinem Freund Peter am Strand von Santa Monica verbringen, wo man es bei einer angenehmen Meeresbrise gut aushalten konnte. Wir würden die Sonne genießen – wobei ich jedoch nicht braun werden durfte –, uns im Meer abkühlen und bei einem erfrischenden Drink die Texte für die nächsten Szenen lernen. Zwei Tage ohne den Stress der Studios; zwei Tage Erholung, bevor ich meine eigene Persönlichkeit wieder gegen die von Dana Burton eintauschen würde.

Mein Name ist Heather Simms. Ich bin siebzehn Jahre alt und rein zufällig zur Schauspielerei gekommen. Vor zwei Jahren war ich mal kurzfristig in unserer Heimatstadt San Diego bei einer Modenschau eingesprungen, um einer Freundin meiner Mutter einen Gefallen zu tun. Wanda Davenport ist die Chefin einer Modelagentur. Mum und ich waren eigentlich nur als Zuschauer dort, aber ein paar Minuten vor Beginn der Vorführung verstauchte sich eines der Models den rechten Knöchel. Man brauchte nun sofort ein junges Mädchen, das Teenagermode vorführte und kam dabei spontan auf mich. Ich dachte erst, die wollten mich auf den Arm nehmen, aber sie meinten es wirklich ernst. Optisch passte ich wohl recht gut in das entsprechende Anforderungsprofil: 1,71 groß, schlank, lange blonde Haare, blaue Augen und ein hübsches Gesicht. Zumindest sagten mir alle möglichen Menschen, dass ich hübsch sei. Ich selbst sah das viel nüchterner. Ich konnte ohne nachzudenken eine Liste mit zehn Punkten erstellen, die ich an mir überhaupt nicht mochte und die ich gerne sofort geändert hätte. Ich fand meine Nase zu breit, meine Ohren zu abstehend, meine Wangenknochen zu markant, meine Brüste zu klein, meinen Bauch zu dick…; naja, Gedanken, die sich wahrscheinlich viele Mädchen in meinem Alter machten. Trotz meiner so offensichtlichen 'Makel' verfügte ich aber auch zu jener Zeit bereits über ein recht gesundes Selbstbewusstsein. Aber mal so ganz spontan und ohne jede Vorbereitung vor wildfremden Menschen über einen Laufsteg schreiten und Mode präsentieren? Ich sträubte mich heftig gegen diese bescheuerte Idee, aber schließlich ließ ich mich von meiner Mum und Wanda doch noch zu einem Auftritt überreden. Eigentlich tat ich es nur Mum zuliebe.

Ich bekam eine ultraknappe Einweisung und stand plötzlich in legeren Kleidungsstücken der Freizeit-Kollektion auf dem Laufsteg. Ich weiß noch, dass mein Herz in diesem Moment wie wild hämmerte. Ich sah die vielen Menschen, die entlang des gut fünfzehn Meter langen Catwalk saßen und spürte die Panik in mir aufsteigen. Am liebsten wäre ich damals zur Hintertür hinaus gerannt, aber stattdessen hatte ich mich auf die Mitte des Laufsteges konzentriert und war mit langsamen Schritten losgegangen. Schon nach wenigen Metern hatte sich meine Verkrampfung etwas gelöst und ich bewegte mich – wie ich persönlich fand – für eine blutige Anfängerin recht locker. Als ich wieder hinter dem Vorhang verschwunden war, hatte die Freundin meiner Mutter mich begeistert in den Arm genommen und an sich gedrückt. Ich muss in diesem Moment wohl über das ganze Gesicht gestrahlt haben und hatte sofort gefragt, was ich als Nächstes präsentieren sollte. Nach zwei weiteren Läufen in eleganter Garderobe – viel zu elegant für einen Teenager mit Vorliebe für Jeans und Jogginghosen – und in moderner Bademode, war mein erster Auftritt als Model beendet. Anschließend war ich wohl wie auf Speed. Ich redete ununterbrochen, so aufgeregt war ich.

Doch dieser Abend hielt noch eine weitere Überraschung bereit: Hinter der Bühne war ein total seriös aussehender Typ im Anzug auf uns zugekommen, und hatte gefragt, ob wir ein paar Minuten Zeit für ihn hätten. Er war ein Mitarbeiter der Hollywood Sunrise Studios, der auf der Suche nach neuen Gesichtern verschiedene Großstädte durchkämmte. Er hatte uns erzählt, wie beeindruckt er von meinem Auftritt und meiner Ausstrahlung war und hatte mich zu einem Casting nach Hollywood eingeladen. Was sich anfangs wie ein Gag anhörte, entpuppte sich als ernst gemeintes Angebot. Die Hollywood Sunrise Studios planten zu jener Zeit eine neue Daily Soap und suchten hierfür geeignete Darsteller. Ich bekam die Visitenkarte des Schlipsträgers und versprach, über die Sache nachzudenken. Noch am selben Abend hatte in unserem Hause der Familienrat getagt. Ich ging damals noch zur Highschool und aus diesem Grund war Dad auch sofort gegen das Casting.

Ich heulte und jammerte, setzte meinen treuesten Dackelblick auf, diskutierte, zickte, flehte, bettelte. Ich wollte dahin – unbedingt. Nach schier endlosen Diskussionen hatten Mum und Dad schließlich nachgegeben und mir erlaubt, am Vorsprechen teilzunehmen. Denn in einer Sache waren sich beide wohl einig: Bei dieser Veranstaltung würden hunderte von hübschen Mädchen erscheinen und mindestens achtzig Prozent von denen würden sicherlich Erfahrungen als Schauspielerinnen oder Models vorweisen können. Sie wollten mir damals nicht meine Illusionen zerstören, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Studios sich ausgerechnet für ihre völlig unerfahrene Tochter entscheiden würden, sahen die beiden doch als verschwindend gering an. Umso überraschter waren sie auch, als ich knapp zwei Monate nach dem Casting eine weitere Einladung nach Hollywood erhielt. Ein aus zwei Produzenten und einem Regisseur bestehendes Team war sehr angetan von der – wie sie schrieben – ‘natürlichen, unverbrauchten Art des Mädchens aus San Diego’ und boten mir eine Rolle in der neu konzipierten Serie ‘Westside Blvd.’ an.

Nun war der Ärger in unserem Haus erst richtig losgegangen. Ich war fest entschlossen gewesen, die große Chance in der Traumfabrik wahrzunehmen und hatte daraufhin spontan die Schule abgebrochen. Eine Rolle in Hollywood …; welches Mädchen würde von so einer Chance nicht träumen? Dad hatte jedoch sein Einverständnis verweigert und so war es zu endlosen Streitigkeiten gekommen, bei denen keiner von uns bereit war, auch nur einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Ich wollte mir diese einmalige Gelegenheit aber auf keinem Fall kaputt machen lassen. Dad hatte seine Bedenken erst dann widerwillig abgelegt, als die Hollywood Sunrise Studios ihm zusicherten, mir mittels Privatlehrer die Möglichkeit eines Schulabschlusses zu gewährleisten. Als damals sechzehnjähriges Mädchen erhielt ich einen Ein-Jahres-Vertrag und bezog zusammen mit zwei anderen Mädels, die ebenfalls von der großen Filmkarriere träumten, eine Wohnung in der Nähe des Studiogeländes. Einfach nur cool.

Die Figur der Dana Burton, die ich in der Serie spiele, war ursprünglich als eine auf ein Jahr begrenzte Nebenrolle angelegt, doch nach ein paar Monaten war die Resonanz der Zuschauer auf mich und meinen Filmvater Richard Kent dermaßen positiv, dass unsere Szenen kontinuierlich ausgebaut wurden. Der helle Wahnsinn.

Richard Kent ist ein sehr erfahrener Bühnen- und Filmschauspieler – wobei ich gestehen muss, dass ich ihn bis dato überhaupt nicht kannte. Ich hatte seinen Namen noch nie gehört. Na ja, ich gehörte damals wahrscheinlich aber auch nicht zu seiner Zielgruppe. Richard ist der Hammer. Er ist so wahnsinnig gut. Wobei er in unserer Serie auch eine total coole Rolle bekam: Er spielt den völlig rücksichtslosen und korrupten Rechtsanwalt Frank Burton – meinen Vater, ein Riesenarschloch. Wenn ich heute einen gewissen Status in unserem Studio besaß, dann hatte ich das zu einem ganz, ganz großen Teil Richard zu verdanken. Er hatte mich im letzten Jahr immer unterstützt und mir so viele tolle Tipps gegeben, ohne die ich total aufgeschmissen gewesen wäre. Er polarisierte wahnsinnig und zog die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich. Ich denke, in seinem Sog und seinem Schatten konnte ich mich für eine Sechzehnjährige recht gut freischwimmen.

Viele Leute haben mir schon erzählt, dass ich ein großes Naturtalent sei. Ich wusste allerdings meistens nicht, ob sie das ehrlich meinten, oder ob sie nur freundlich sein wollten. Was ich jedoch wusste, war, dass die Anzahl meiner Fans in den vergangenen Monaten ganz schön angestiegen war. Sie schrieben mir Briefe, schickten mir Fotos und erzählten mir, ich wäre ein großer Star. War ich das wirklich? Eigentlich hatte ich bisher doch noch nicht viel erreicht. Ein Star war in meinen Augen jemand, der über Jahre oder Jahrzehnte in der Öffentlichkeit überzeugt hatte. Ich hingegen war noch ganz am Anfang; aber träumen durfte man ja…

Mittlerweile war mein Vertrag vorzeitig um ein weiteres Jahr verlängert worden und auch mein Dad war nach seinen anfänglichen Bedenken mächtig stolz auf mich. Ich mochte die Serie; in der Rolle der ebenso verzogenen, wie zickigen Dana Burton konnte ich mich so richtig austoben. Ich tauchte in eine völlig andere Welt ein. Und das Coolste war, dass ich bereits ein paar Angebote für kleinere Fernsehprojekte bekommen hatte.

Aber ich musste auch erfahren, dass der vermeintliche Traumjob seine Schattenseiten besaß. Eigentlich war ich immer ein totaler Familienmensch gewesen und schon nach recht kurzer Zeit hatte ich meine Eltern und meine Schwester Angela wahnsinnig vermisst. Abends hatte ich regelmäßig in meinem Bett gelegen und geheult. Ich wollte das Leben einer Erwachsenen führen und hatte schnell gemerkt, dass ich in vielerlei Hinsicht doch noch ein Mädchen war. Ein kleines Mädchen, dem seine Mummy fehlte; wie uncool…

Terry Gordon hatte natürlich auch schnell gemerkt, dass mit mir irgendwas nicht stimmte – war nicht so schwierig, da ich ständig meinen Text versaut hatte. Er hatte daraufhin mit den Studiobossen gesprochen und prompt war meinen Eltern eine Wohnung in Westwood – nicht weit entfernt vom Filmgelände – angeboten worden. Nach anfänglichem Zögern hatte sich Dad von der Central Bank, bei der er arbeitete, von Detroit nach Los Angeles versetzen lassen und war mit Mum, meiner Schwester Angie und all unseren Habseligkeiten in die Stadt der Engel gezogen. Als mein Vater mir die vom Familienrat einstimmig getroffene Entscheidung mitgeteilt hatte, wollte ich die ganze Welt umarmen. Ich war so unbeschreiblich glücklich, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen.

Ich hatte damals allerdings trotzdem beschlossen, auch weiterhin in meiner mittlerweile lieb gewonnenen Wohngemeinschaft wohnen zu bleiben.

Irgendwie musste ich damals schließlich einen Weg finden, Schritt für Schritt selbstständiger zu werden. Aber nun hatte ich ja auch die Möglichkeit, meine Familie jederzeit zu besuchen; und davon machte ich in der Folgezeit reichlich Gebrauch.

Mittlerweile hatte ich meinen Privatlehrer gegen einen Schauspiellehrer eingetauscht und mich vollkommen auf eine Zukunft in Hollywood konzentriert. Da der straffe Drehplan die Möglichkeit des ganztägigen Besuchs einer Schauspielschule nicht zuließ, hatte ich seitdem viermal die Woche abends am Kurs eines ehemaligen Schauspielers teilgenommen.

Dad hat immer gesagt, ich wäre eine verdammte kleine Perfektionistin, die mit nichts zufrieden sei. Wahrscheinlich liegt er damit nicht ganz verkehrt. Im Nachhinein machte ich mir oft Vorwürfe, warum ich etwas nicht besser hingekriegt hatte; auch wenn alle anderen sagten, dass es absolut okay gewesen wäre. Abends ständig in einen Schauspielkurs zu rennen, war wahrscheinlich auch so eine Perfektionismus-Geschichte. Als wären die Drehtage nicht schon stressig genug gewesen. In den letzten Wochen hatte ich nachts, wenn ich völlig erschöpft in meinem Bett lag, unzählige Male das nachhaltige Verlangen gespürt, alles hinzuschmeißen. Doch ich hatte die Zähne immer wieder zusammengebissen und eisern durchgehalten.

An den Wochenenden erholte ich mich zusammen mit Peter – der ebenfalls an dem abendlichen Schauspielkurs teilnahm – von dem Stress der Dreharbeiten und versuchte neue Energie zu tanken. Der recht gut gefüllte Terminkalender einer ambitionierten Nachwuchsschauspielerin ließ zwar nicht wirklich viel Spielraum für eine Beziehung, aber da Peter aus derselben Branche kam, funktionierte es doch irgendwie.

Ich warf einen Blick auf die Uhr und streckte mich. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schien sich zu Wort zu melden, um sich über meine mangelnde Fürsorge zu beschweren. Ich war völlig fertig. Erschöpft ging ich die Straße entlang und freute mich bereits auf ein heißes Bad in meiner Wohnung. Wie in Trance trottete ich den alltäglichen Weg entlang, den meine Füße mir vorgaben. Ich war so sehr in meine Gedanken versunken, dass ich die schnell näherkommenden Schritte in meinem Rücken erst gar nicht wahrnahm. Meine Augen waren auf den Boden gerichtet und folgten meinem Schatten, der sich mit der Geschmeidigkeit einer senilen Greisin über den Asphalt quälte. Mit langsamen und kantigen Bewegungen kroch der dunkle Fleck über den Bürgersteig.

Irritiert blieb ich stehen, als der Schatten vor meinen Füßen plötzlich größer und breiter wurde. Eine schwarze Hand, die nicht mir gehörte, griff seitlich über die Schulter und verschmolz mit dem Schatten meines Kopfes. Ich spürte den starken Druck, der im nächsten Moment auf meinem Mund und meiner Nase lag, ich nahm einen penetranten Geruch wahr, der bei jedem Atemzug meinen Körper durchströmte. Die Welt begann sich vor meinen Augen zu drehen. Ich ruderte wild mit den Armen, versuchte mich aus der unsichtbaren Umklammerung zu befreien, aber meine Kräfte schwanden mehr und mehr. Eine seltsame Leichtigkeit überkam mich, dann wurde es schließlich schwarz um mich herum.

Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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