Читать книгу Westside Blvd. - Entführung in L.A. - Torsten Hoppe - Страница 8

Kapitel 3

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Der dichte Nebel, der sich wie ein dunkler Schleier über alles niedergelegt hatte, lichtete sich nur ganz langsam. Verschwommene Konturen setzten sich zu durchgehenden Linien zusammen, erzeugten nach und nach ein düsteres, räumliches Bild. Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen und öffnete sie vorsichtig wieder. Eine beängstigende Dunkelheit umgab mich. Eine Dunkelheit, die es mir zwar gerade noch ermöglichte, die Formen einzelner Möbelstücke zu erkennen, meinen Orientierungssinn jedoch völlig überforderte. Ich lag auf der Seite und starrte auf einen leeren Sessel. Behutsam versuchte ich mich aufzurichten, doch das Zimmer fing augenblicklich an, sich zu drehen. Instinktiv legte ich die Hand über die Augen. Mein Herz begann zu rasen, während mein Kreislauf nur äußerst langsam in Schwung kam, um bereits einen kurzen Moment später in ein hyperaktives Bewegungsprogramm zu verfallen.

Ich versuchte, gleichmäßig zu atmen und mich selbst zu beruhigen. Wie in Zeitlupe nahm ich die Hand von den Augen und blickte mich in dem dunklen Raum um. Der Nebel in meinem Kopf war nun völlig verschwunden und auch die verschiedenen Gegenstände um mich herum hatten in meiner Wahrnehmung wieder eine feste Konsistenz angenommen. Ich setzte mich auf und verharrte für einen Moment bewegungslos. Während meine Augen sich ganz langsam ein wenig an die Dunkelheit gewöhnten, lauschte ich angestrengt nach irgendwelchen Geräuschen in meinem Umfeld. Doch nicht der kleinste Laut drang zu mir durch.

Was war geschehen? Wo zur Hölle war ich hier? Je klarer mein Kopf wieder wurde, desto stärker wurde auch die Panik, die mich gnadenlos wie eine Welle erfasste. Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was passiert war. Ich war im Studio gewesen. Wir hatten lange gedreht, ich wollte nach Hause gehen…; Verdammt, Heather, konzentrier dich.

Ich erinnerte mich daran, wie ich das Studiogelände nach einem anstrengenden Drehtag völlig erschöpft verlassen hatte und wie sehr ich mich auf das Wochenende gefreut hatte. Doch was war dann geschehen? Jemand schien aus meinem Gedächtnis eine kleine Ecke mit Hammer und Meißel herausgeschlagen zu haben.

Meine Erinnerungen endeten auf der Straße vor dem Studio und nun war ich plötzlich in einem dunklen Raum eingesperrt. Was war nur passiert? Hatte man mich niedergeschlagen? Ich spürte keinerlei Schmerzen und ein Abtasten meines Hinterkopfes ergab auch keine Hinweise auf körperliche Gewaltanwendung. Vielleicht hatte man mich auch betäubt; ich glaubte, mich an einen durchdringenden Geruch erinnern zu können, war mir dessen aber nicht sicher. Zumindest hätte es das starke Schwindelgefühl erklärt, das ich beim Erwachen verspürt hatte.

Mein Handy – verdammt, wo war mein Handy? Hektisch blickte ich mich in alle Richtungen um. Wo war meine Handtasche? Ich musste sie finden. Wenn ich mein Handy hatte, konnte ich Hilfe rufen; meinen Dad, die Polizei, die Homeland Security…; Gott, wo war meine Handtasche? Ich fiel auf die Knie und rutschte angespannt kreuz und quer durch den dunklen Raum. Ich wünschte mir eine Taschenlampe, um in jede verflixte Ecke dieses Zimmers leuchten zu können. In meiner Handtasche hatte ich eine kleine Taschenlampe…; tolle Idee, Heather. Nachdem ich unzählige Minuten lang erfolglos über den Boden gekrabbelt war, musste ich resignierend einsehen, dass meine Tasche nicht hier war. Keine Handtasche, keine Taschenlampe, kein Handy.

Ich erhob mich schwerfällig und lehnte mich gegen eine der Wände. Zum ersten Mal sah ich mir meine Umgebung bewusst an.

Der Raum, in dem ich mich befand, war ungefähr vier Meter lang und drei Meter breit. Die kahlen Wände waren grob verputzt. Es gab kein Fenster; das einzige spärliche Licht, das in den Raum hinein drang, fiel durch einen schmalen Spalt unter der schweren Holztür hindurch. Ich ging ein paar Meter zur Seite und setzte mich auf das alte, klapprige Bett, auf dem ich vorhin aufgewacht war. Knapp einen Meter entfernt standen ein alter Sessel, dessen dunkles Polster an mehreren Stellen aufgerissen war, ein ebenso mitgenommenes Sofa und ein kleiner Holztisch. Am anderen Ende des Raumes befand sich eine alte Kommode.

Ich erhob mich langsam und bewegte mich auf wackligen Beinen zur Tür. Mein Körper zitterte, als ich das Ohr gegen das kalte Holz presste. Von draußen war kein Geräusch zu hören. Ich legte die Hand auf die Klinke und drückte sie vorsichtig herunter. Mit dem Gewicht meines Körpers drückte ich gegen die Tür, doch diese bewegte sich keinen Zentimeter.

»Verdammt«, seufzte ich und erschrak über den zittrigen Klang meiner eigenen Stimme. Für einen kurzen Moment überlegte ich, um Hilfe zu rufen, doch ich verwarf den Gedanken wieder. Irgendjemand hatte mich hier eingesperrt und die Vorstellung, dass dieser Mensch hier auftauchen und mir etwas antun würde, weckte tiefstes Unbehagen in mir.

Meine Augen hatten sich mittlerweile recht gut an die Dunkelheit gewöhnt. Ich lehnte mit dem Rücken an der Tür und sah mich ängstlich um.Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte doch niemandem etwas getan, was sollte das alles nur bedeuten? Je mehr ich über das nachdachte, was mir nun zustoßen könnte, desto unsicherer wurde ich. Was hatte man mit mir vor? Meine Familie war nicht reich und auch ich selbst hatte in meiner kurzen Schauspielerkarriere keine Reichtümer angehäuft; eine Erpressung machte dementsprechend nicht wirklich viel Sinn. Ich hatte doch auch keine Feinde, die mir so etwas antun würden. Mit langsamen Schritten ging ich zu dem alten Bett zurück. Meiner Wirkung auf Jungs war ich mir allerdings schon bewusst und der Gedanke, dass dies der Grund für die Entführung sein könnte, löste eine regelrechte Panik in mir aus. Ich legte mich auf das Bett und starrte mit zitterndem Körper die Decke an, während die ersten vereinzelten Tränen meine Wangen herunter rollten und auf das Laken des Bettes tropften.

Ich ging davon aus, dass ich eine Zeit lang bewusstlos gewesen war, aber wie lange ich wirklich weggetreten war, konnte ich beim besten Willen nicht einschätzen. Wie spät war es wohl? Ohne Fenster und Blick ins Freie war es mir unmöglich, die Tageszeit zu bestimmen, und meine innere Uhr schien derbe aus dem üblichen Trott geraten zu sein. Aber auf jeden Fall würde man mich bereits vermissen. Meine Freundinnen hätten sich bestimmt schon Sorgen gemacht und meinen Vater angerufen. Wahrscheinlich war die Polizei bereits auf der Suche nach mir. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man mich hier finden würde. Ich atmete tief durch. So ein Schwachsinn…; niemand wusste, wo ich war, niemand würde mich hier finden…; als ich registrierte, wie naiv diese ganzen Gedanken waren, konnte ich die Tränen endgültig nicht mehr zurückhalten.

Ein entferntes Geräusch ließ mich zusammenfahren. Mein Kopf wirbelte herum, meine Augen starrten dem Eingang des Raumes entgegen. Kein Laut war zu hören. Ich hielt den Atem an. Wenn niemand kam, könnte mich auch niemand befreien; aber wenn die Person kam, die mich hier eingesperrt hatte, dann…; nein, diesen Gedanken wollte ich nicht zu Ende denken.

Ich wollte den Blick gerade abwenden, als der feine Lichtstrahl, der unter der Tür hindurch fiel, plötzlich unterbrochen wurde. Das Licht war nicht ausgegangen, aber irgendetwas befand sich nun zwischen der Lichtquelle und mir. Der dunkle Schatten bewegte sich und wurde immer schmaler. Jemand näherte sich von außen der Tür. Ich setzte mich mit einer ruckartigen Bewegung auf, wischte mir mit dem Ärmel meines T-Shirts die Augen ab und rutschte verängstigt zum Kopfende des Bettes zurück. Der Schatten zweier Füße war vor der Tür nun zur Ruhe gekommen. Mein Körper begann zu zittern und ich umklammerte mit beiden Armen meine angezogenen Beine. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf dem abgedunkelten Spalt unter der Tür. Ich hörte meinen rasenden Herzschlag, spürte den schnellen, stakkatoartigen Rhythmus in meiner Brust.

Das klickende Schließgeräusch des Schlosses ließ mich zusammenfahren. Die Klinke wurde langsam heruntergedrückt und die Tür öffnete sich wie in Zeitlupe. Helles Licht durchflutete den kleinen Raum und zeichnete im Türrahmen den bedrohlichen Schatten eines Mannes ab. Die Gestalt stand regungslos da und beobachtete mich. Ich wollte schreien; schreien so laut ich nur konnte, doch ich brachte keinen Ton heraus; meine Kehle war wie zugeschnürt.

Es vergingen schier endlose Sekunden in denen weder ich, noch der Mann im Türrahmen, sich bewegten. Ich wagte kaum zu atmen. Krampfhaft versuchte ich, jede noch so kleine Bewegung zu vermeiden; als wäre ich unsichtbar, solange ich nur reglos verharrte. Schließlich machte der Mann einen Schritt nach vorne und betrat den Raum. Ich schlug die Hände vor das Gesicht und begann schrill und hysterisch zu schreien. Die Frequenz des Schreies schmerzte in meinen eigenen Ohren und ließ den Laut noch gequälter erscheinen. Sämtliche Muskeln in meinem zitternden Körper waren völlig verkrampft, mein Herz schien fast zu platzen. Ich erwartete jeden Moment seine Hände auf meinem Körper zu fühlen und seinen keuchenden Atem zu spüren, als die Tür mit einem lauten Knallen in ihr Schloss flog.

Ich erschrak und vergaß dabei sogar für einen Moment, zu schreien. Ich riss die Hände vom Gesicht weg und starrte zur Tür. Es war wieder dunkel um mich herum. Von außen wurde ein Schlüssel im Schloss herumgedreht. Meine Augen fixierten den Schatten, der sich nun wieder unter dem Türspalt abzeichnete. Als dieser sich von der Tür entfernte, atmete ich tief durch. Ich hatte die Arme wieder um meine zitternden Beine geschlungen, das Rasseln meines Herzens schien den gesamten Raum vibrieren zu lassen.

Eine beruhigende und zugleich auch beängstigende Stille breitete sich um mich herum aus. Allmählich gewöhnten sich meine Augen wieder an die Dunkelheit und mit jeder Kontur des Raumes, die zu mir durchdrang, verschwanden die Visionen der Angst mehr und mehr in den hinteren Regionen meines Bewusstseins. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so allein gefühlt. Die selbstsichere Heather mit dem stets so ausgeprägten Selbstbewusstsein hatte in Panik die Flucht angetreten und ein verunsichertes, junges Mädchen in einem dunklen Gefängnis zurückgelassen. Eine Seite an mir, die ich so nicht kannte – und die ich auch nie kennenlernen wollte…

Mein Blick fiel auf den kleinen Holztisch neben dem Sessel, auf dem der fremde Mann einen Teller abgestellt hatte, der mit einer Art Kunststoffglocke abgedeckt war. Unschlüssig starrte ich den Teller an, dann fiel mein Blick wieder zur Tür. Das matte Licht, das durch den schmalen Spalt hindurch schien, wurde von keinerlei Hindernissen beeinträchtigt. Ich war allein.

Meine Augen wanderten zurück zu dem alten Tisch. Langsam lösten meine Arme die Umklammerung meiner angezogenen Beine und ich rutschte bis an die Bettkante vor. Nach einem erneuten Blick zur Tür stand ich auf und ging mit unsicheren Schritten auf den Tisch zu. Meine Hand zitterte, als ich sie in Richtung des Plastikdeckels ausstreckte. Kurz bevor ich die dunkelgraue Glocke berührte, ballte ich die Hand zur Faust und zog sie ruckartig zurück. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment befürchtet hatte. Dies war kein Kinofilm, hier sprangen mit aller Wahrscheinlichkeit keine Monster vom Teller.

Nach einigen Sekunden wagte ich einen zweiten Versuch. Vorsichtig berührte ich mit den Fingern den Griff des Deckels und hob ihn an. Ich legte den ihn zur Seite und starrte auf den mit drei Wurst- und Käsesandwiches gefüllten Teller. Ich atmete tief durch, ohne den Blick abzuwenden. Dann schleuderte ich den Teller mit einer ruckartigen Bewegung vom Tisch. Das Porzellan zerbrach mit einem klirrenden Geräusch und verteilte seine Scherben zwischen den Sandwiches. Erschrocken drehte ich den Kopf zur Seite und starrte zum wiederholten Male die Tür an. Verdammt, warum musste ich jetzt solchen Krach machen?

Ich hielt den Atem an und lauschte, doch alles blieb ruhig. Mit langsamen Schritten ging ich zurück zu meinem Bett und legte mich auf das Laken. Ich war völlig unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen; mit leeren Augen blickte ich minutenlang die Decke an. Je länger ich in meinem Gefängnis dalag, umso größer wurde das Angstgefühl, das sich wie ein tonnenschweres Kleidungsstück an meinen zitternden Körper schmiegte.

Westside Blvd. - Entführung in L.A.

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