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Kapitel 2

Mit einem mulmigen Gefühl betrat Linda den gläsernen Fahrstuhl. In diesem Hotel bestand fast alles aus Glas. Hoffentlich hatten die Zimmerwände wenigstens etwas Blickdichtes. Als sich die Fahrstuhltüren schlossen, hielt Linda sich an einer verchromten Stange fest und sah durch zwei dicke Glasscheiben auf das Meer, das durch die Sonne blendete. Gerade wollte sie ihre Sonnenbrille aufsetzen, als Jason sich zu ihr beugte und zuraunte: »Die brauchst du gleich nicht mehr.«

Sie blickte ihn an und er zwinkerte. Sein leichter, süßer Parfumduft gepaart mit der männlichen Note seines Haars ließ sie erschaudern. Und schon setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Er fuhr nach unten direkt in die Unterwasserwelt hinein. Es wurde deutlich dunkler und unheimlicher. Doch im Meer um das Hotel waren sämtliche Scheinwerfer aufgestellt, sodass es an Licht nicht fehlte.

»Traumhaft«, sagte Megan. »Findest du nicht auch, Mum?«

Linda kämpfte noch mit den Gedanken an Jasons Duft und der Beklemmung, die sie überkam, je weiter sich der Fahrstuhl in die Tiefe senkte. »Ja, ja ... schön ...«

»Alles in Ordnung, Mrs Briscoe?«, fragte Jason und legte ihr einen Arm um die Schultern.

Linda fühlte sich nicht ernst genommen und entzog sich seiner Umarmung. Jason schmunzelte in sich hinein und stützte sich dann mit beiden Händen an der Chromstange ab, während er seufzte.

Lindas Herzschlag ging immer schneller, ihr Atem beschleunigte sich, Hitze stieg ihr ins Gesicht, Schweiß trat ihr auf die Stirn, Druck bildete sich in ihren Ohren. Der Fahrstuhl hielt und Linda stürmte hinaus, schwankte und fiel. Jason war sofort an ihrer Seite und wollte sie hochziehen, doch ein Blick in ihr Gesicht, ließ ihn zurückschrecken. »Mein Gott, Linda, was ist mit dir?«

Sie konnte nicht antworten, stieß stoßweise Luft aus, bunte Punkte tanzten vor ihren Augen, sie rang nach Luft. Sie hörte, wie Jason nach Hilfe rief. Nach einer für Linda undefinierbaren Zeit spürte sie eine kühle Hand in ihrem Nacken und eine beruhigende Stimme, die ihr von weit her sagte, dass alles in Ordnung sei und sie ganz ruhig und langsam atmen sollte. Es wären alle bei ihr. Wie durch ein Wunder beruhigten diese Worte, die immer wieder an ihr Ohr drangen, sie tatsächlich. Ihr Atem ging nicht mehr im Halbsekundentakt und ihr Herzklopfen verlangsamte sich. Die Stimme hörte auf zu reden, stattdessen beantwortete sie Jasons Frage, was sie, Linda habe, mit einem einzigen Wort: »Panikattacke.«

»Shit! Na, das fängt ja gut an!«, stieß er hervor.

»Hör auf, Jason!«, fuhr Megan ihn an. »Mum, geht es dir gut?«

»Ja, ich glaube schon ...« Linda sammelte sich und blickte langsam zu ihrem Helfer hoch, der noch immer seine Hand in ihrem Nacken hatte und sie somit stützte.

»Vielen Dank, Mr ...?«, sagte Megan.

»Parker«, half der Mann ihr auf die Sprünge. »Mein Name ist Bruce Parker. Ist das Ihre Mutter?«

Megan nickte.

»Danke, Mr Parker«, fand nun auch Linda ihre Sprache wieder. Sie zuckte zusammen, als sie ihm ins Gesicht blickte. Er hatte eine lange Narbe auf der rechten Wange. Er sah damit aus wie ein Pirat.

»Pirat, was?!«, sagte er mit einem Lächeln.

Langsam nickte Linda. Dann wurde sie sich bewusst, dass das sehr taktlos war. »Nein, ich ... es ist nur ... also, vielen Dank!«

Er lächelte. »Gern. Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf die Beine.« Mit festem Griff zog er sie hoch.

Jason war sofort an ihrer anderen Seite. »Vielen Dank. Wir kommen nun allein klar.« Er nahm Linda in den Arm, mit der anderen Hand zog er seinen Koffer und suchte die Zimmer, während er über die Schulter sagte: »Schatz, könntest du bitte den Trolley deiner Mutter nehmen.«

Linda versuchte, zu ihrem Helfer zurückzublicken, doch Jason hielt sie so fest im Arm, dass es nicht möglich war. Was war nur mit ihm los?

Schließlich erreichten sie zwei nebeneinanderliegende Zimmer. Linda war froh, dass der Flur wie ein ganz normaler Hotelflur aussah. Zwar hingen überall Unterwasseraufnahmen in Rahmen an den Wänden, aber das machte ihr keine Angst. Sie durfte nur nicht daran denken, wie tief sie nun unter der Wasseroberfläche waren.

Jason zog die Zimmerkarte durch den Schlitz an der Tür und drückte die Klinke hinunter. »Voilà, dein Zimmer.« Er ließ Linda an sich vorbeigehen. Ihr verschlug es den Atem. Das Zimmer war ganz schlicht gehalten, nur weiß und hellgrau, Leuchtstoffplatten rechts und links der Wände erhellten dezent das Zimmer, kleine Lämpchen in hellgrün gaben dem Ganzen einen lebendigeren Touch. Doch das Highlight waren mehrere nach außen gerundete Scheiben vom Boden bis zur Decke, die direkt aneinander lagen. Sie gaben den Blick frei in eine faszinierende Unterwasserwelt. Korallen, in Orange, Grün und Blau angestrahlt, dazwischen tummelten sich bunte Fische in ihren schillerndsten Farben.

»Mein Gott ...«, stieß Linda hervor, »... ist das schön!« Langsam ging sie zur Scheibe und legte eine flache Hand darauf. Sie war angenehm kühl und durchströmte sie mit einem Gefühl von Ehrfurcht, Verzauberung und Frieden.

»Wir gucken dann mal unser Zimmer an. Es liegt direkt neben deinem«, sagte Jason.

»Ja, ja ... macht nur«, raunte Linda ohne sich umzudrehen. Sie hörte, wie die Tür ins Schloss gezogen wurde. Ihre Hand lag noch immer auf der Scheibe. Das Bild veränderte sich ständig. Immer wieder zogen die Fischschwärme davon und es kamen andere. Das Seegras an den Seiten wiegte sich leicht hin und her. Auch in deren Mitte saß ein kleiner Unterwasserscheinwerfer und beleuchtete die Szenerie.

Linda ging einen Schritt zurück und ließ sich auf ihrem Bett nieder. Es stand direkt frontal zur Wasserfront. Wenn sie lag, sah sie immer in die Meereswelt. Sie blickte zu den Seiten. Es gab aber auch Vorhänge. Doch sie würde sie nicht zuziehen, wäre ja schade um den einmaligen Blick. Erschöpfung machte sich in ihr breit und Linda ließ sich nach hinten sinken. Langsam schloss sie die Augen. Sie dachte an den Mann mit der Narbe, an seine kühle Hand in ihrem Nacken und seine unglaublich schöne Stimme ...

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