Читать книгу La Liberación - Truk Reuen - Страница 11
1. September 1978 - Geheimes Camp der Sandinisten bei Morrito, Nicaragua
ОглавлениеDer Scharfschütze watete durch einen kniehohen Bachlauf gegen die Strömung. Er hielt seine Waffe quer über die Schultern hinter dem Kopf und stützte seine Unterarme darauf. Es war ein mühsamer Weg zum Camp, aber es war der Einzige bei dem man nicht mit der Machete in die Natur eingreifen musste. Das Camp lag an der Quelle des Baches komplett umgeben vom Dschungel. Kein von Menschenhand gehauener Pfad im Regenwald konnte die Position verraten. Der einzige natürliche Zugang war der Bachlauf. Um das Camp herum standen Urwaldriesen die ihre Gipfel in fast 60 Metern Höhe vereinten. Eine weitere Tarnung war fast nicht notwendig. Das Camp war weder aus der Luft, noch vom Boden zu erkennen.
Der Wachtposten kannte den Scharfschützen. Er war etwas Besonderes im Camp. Immer arbeitete er alleine. Er hatte keine Freunde und redete nicht viel. Er war offensichtlich ein reinblütiger Ureinwohner. Olivenfarbene Haut, schräg stehende Augen und von kleinem Wuchs. Es gingen Gerüchte um, dass er den Misquitos angehörte und dass sein Großvater noch das Herz seiner Feinde gegessen habe. Man ließ ihn in Ruhe. Oft verschwand er für Tage um dann plötzlich aufzutauchen und La Comandante Meldung zu machen. Der Posten verzichtete darauf das Passwort einzufordern und ließ ihn passieren.
La Comandante war eine Frau. Ihr Alter war nicht abzuschätzen, obwohl sie noch sehr jung war. Sie war schlank und der Krieg hatte ihr einen verhärmten Gesichtsausdruck gegeben. Ihr schwarzes Haar trug sie kurz geschnitten. Um den Hals knotete sie das rot-schwarze Halstuch der Aufständischen und die Khakiuniform war schmucklos und ohne Rangabzeichen. Am Gürtel trug sie eine großkalibrige Colt Automatik und sie wusste sie zu gebrauchen. Sie war eine der Anführerinnen des Angriffs auf den Nationalpalast und eine hohe Funktionärin der FSLN. Sie hatte es geschafft 60 gefangene Mitkämpfer zu befreien. Sie war eine Heldin der Revolution.
Der Scharfschütze kam im Camp an und ging sofort zu seinem Zelt. Er reinigte sorgfältig seine Präzisionswaffe, entfernte die Tarnung von den Metallteilen und dem Zielfernrohr, und verstaute sie in einem mit Schaumstoff ausgeschlagenen Holzkoffer. Erst dann machte er sich auf um Bericht zu erstatten.
Im Laufe des Berichtes legte er einen Beutel mit Schmuck, Uhren und drei Pässen vor die Kommandantin auf den Tisch.
„Das hatte der Sargente der Garde bei sich als ihn die Kugel traf“, berichtete er.
Die Kommandantin blätterte in den Pässen.
„Das ist gut, Paco“, lobte sie. „Die Nationalgarde hat veröffentlicht, dass wir die Zivilisten abgeschlachtet haben und die Frauen entführten. Somoza führt einen schmutzigen Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Vielleicht können wir jetzt wirkungsvoll dementieren“.
Paco zuckte mit den Schultern. Politik interessierte ihn nicht. Er würde heute ausruhen und sich morgen wieder auf die Suche nach Regierungstreuen machen.
Als der Scharfschütze seien Bericht beendet hatte und die Kommandantin alleine war suchte sie eines der Dokumente heraus und sah gedankenverloren in den Pass. Dann griff sie nach dem Feldtelefon und drehte die Kurbel. Sie erreichte die nächstgelegene Relaisstation.
„Wir brauchen ein Treffen des Komitees“. „So schnell wie möglich“, sagte sie. „Wir haben hier eine Situation die unserer Sache weltweite Bekanntheit verschaffen könnte. Ich brauche die Entscheidungsträger, spätestens morgen.“
Nachdem sie aufgelegt hatte ließ sie durch die Ordonnanz vier ihrer besten Leute rufen. Die drei Männer und eine Frau hatten sich durch mehrere erfolgreiche Spezialoperationen verdient gemacht. Die Revolution hatte sie zu kompromisslosen Kämpfern gemacht obwohl sie im Privatleben Lehrerin, Bauern und Buchhalter waren.
Die Gruppe spürte die Anspannung der Kommandantin und wartete geduldig bis sie anfing zu sprechen. Der Buchhalter, ein drahtiger Mittvierziger und Führer der Gruppe, setzte sich im Reitersitz mit der Lehne nach vorne auf einen Stuhl. Die Anderen standen hinter ihm und warteten.
„Die Nationalgarde”, begann die Kommandantin, „hat am Rio San Juan ein Lager einer Hilfsorganisation niedergemetzelt“.
„Sie versucht nun, uns diesen Überfall in die Schuhe zu schieben um die Öffentlichkeit und die Weltpresse weiter gegen uns aufzubringen. Außerdem haben sie einen costa-ricanischen Arzt und einen Fahrer getötet. Und sie haben eine Ärztin und zwei Krankenschwestern der Hilfsorganisation ‚Doctores de Corazon‘ entführt. Es würde mich nicht wundern wenn bald jemand eine Lösegeldforderung in unserem Namen stellen würde. Paco hat eins der Schweine erschossen, und der hatte den Schmuck und die Pässe der Frauen bei sich. Es sind tatsächlich zwei Deutsche und eine Spanierin, wie die Presse behauptet. Was die Weltpresse aber nicht verlauten lässt, ist, dass die Ärztin die Tochter des Inhabers der ‚Global Print Media Group‘ ist“.
Sie machte eine Pause und die vier schauten sich ungläubig an.
„Natürlich kann ich mich irren“, fuhr sie fort, „aber der Name und Vorname stimmt, das Alter passt und der Beruf“.
„An so viele Zufälle glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Gardisten keine Gelegenheit hatten die Pässe anzusehen. Somit wissen sie gar nicht welches Vögelchen ihnen ins Haus geflattert ist“.
„Und wenn das stimmt, Genossen“, sie machte eine Kunstpause, „dann ist euch klar, dass dies pures Dynamit ist, oder?“
Die vier redeten alle durcheinander.
„Genossen“, unterbrach die Kommandantin, „Genossen, überlegt!“
„Der Vater dieser Frau ist das Sinnbild des Kapitalismus. Er könnte ohne Probleme zehn oder zwanzig Millionen Dollar Lösegeld bezahlen. Er könnte uns aber auch durch eine geeignete Berichterstattung eine Welle weltweiter Sympathie bescheren.“
Der Buchhalter fragte, „wie kommen wir ins Bild, Comandante?“
„Ich will wissen wo die Frauen sind“, sagte die Kommandantin. „Fragt Paco wo genau er den Gardisten erschossen hat. Ich vermute, die Frauen sind in der nächstgelegenen Garnison. Im Moment ist es zu gefährlich für die Nationalgarde sich im Land zu bewegen. Unsere Septemberoffensive steht unmittelbar bevor, und das ist natürlich auch zu Somoza durchgesickert. Ich bin fast sicher, dass die Frauen noch immer in unmittelbarer Nähe gefangen gehalten werden. Ihr müsst eine Aufklärungsaktion vom Feinsten durchführen. Ich will wissen wo sie sind, und ihr dürft euch auf keinen Fall in Kampfhandlungen einlassen. Alles sehen, aber nicht gesehen werden.“
„Und dann“, fragte die Frau, was tun wir wenn wir wissen wo sie sind?“
„Dann“, sagte die Kommandantin, „dann will ich diese Garnison auslöschen und die Frauen da raus holen.“