Читать книгу La Liberación - Truk Reuen - Страница 9
31. August 1978 - Ein Städtchen am Südufer des Nicaragua See
ОглавлениеAm Stadtrand sammelten sie sich um sich neu zu formieren. Der Leutnant spähte mit seinem Feldstecher in das Städtchen. Er brummelte unzufrieden vor sich hin.
„Wo ist die Kaserne der Nationalgarde“, fragte die Ärztin.
„Am Ostrand der Stadt“, kam die Antwort.
„Und worauf warten wir“, fragte sie.
„Wir müssen aufpassen“, entgegnete der Leutnant. „Wie ich ihnen schon sagte hat die FSLN die Bürger bewaffnet und zum Widerstand aufgerufen. Es gibt offene Aufstände, und wenn wir mitten in eine Demonstration hineinlaufen wird uns auch kein Feuer retten“.
„Wenn sich die Bürger zu so etwas gefährlichen hergeben“, sagte Andrea Karst, „und mit Einsatz ihres Lebens um ihre Freiheit kämpfen, könnte es dann nicht sein, dass es Zeit für einen Wechsel ist“.
Der Blick des Leutnants ließ sie verstummen. Es hatte keinen Zweck. Idealisten waren schwer zu überzeugen und Fanatiker gar nicht.
„Wir bleiben in Deckung“, teilte der Leutnant der Gruppe mit.
„Wir gehen außerhalb der Stadt nach rechts bis wir fast bei der Garnison sind. Dann werden wir weitersehen“.
Mit sichtlich wenig Begeisterung ging die Gruppe im Schutz der Vegetation am Rand des Städtchens entlang in Richtung Osten. Immer wieder nahmen sie Positionen in guter Deckung ein und sondierten die Lage. Den drei Frauen kam es so vor als seien die Männer alles andere als Herren der Lage in ihrem eigenen Land. Es dauerte fast eine weitere Stunde bis sie in Sichtweite der Garnison waren. Es war 17:00 Uhr. In einer Stunde würde die Sonne untergehen. Die rückseitigen Mauern warfen schon lange Schatten durch die im Westen tief stehende Sonne. Der Leutnant richtete eine starke Stablampe auf einen der Wachtürme und blinkte ein Signal. Nach dem zweiten Versuch kam eine Antwort. Lang-lang-lang und lang-kurz-lang. Andrea kannte den Morse Code nicht und wusste nicht was es bedeutete, aber der Leutnant bedeutete ihnen sich vorsichtig zu der hinteren Mauer zu begeben. Geduckt und auf Deckung achtend rannten sie auf die Garnison von der Größe zweier Fußballfelder zu. Je näher sie kamen, desto deutlicher hörten sie den Lärm von der vorderen Seite der Garnison. Offensichtlich demonstrierte dort eine aufgebrachte Menschenmenge. Jetzt verstand sie, warum der Leutnant sie außen herum zum hinteren Bereich geführt hatte.
Als sie an der Mauer angekommen waren, kauerten sie sich in den Schatten bei den Büschen an der Mauer.
„Por aquí“, hörten sie nach einer Weile. „Vengan, rapido!“ Die Frauen folgten dem Leutnant der in Richtung der Stimme ging. Die Männer der Gruppe kamen sichernd nach. Sie gelangten zu einer kleinen Pforte mit eisenbeschlagener Tür die gut versteckt lag. Sie schlüpften durch die Öffnung und waren im Innern des Kasernenhofes.
Die Soldaten im Innern begrüßten ihre Kameraden mit derben Schulterschlägen. Als sie der drei Frauen Gewahr wurden gafften sie mit offenem Mund und machten lachend Späße die Andrea lieber nicht verstanden hätte. Die gesamte Gruppe nahm dankbar und ausgiebig das angebotene Wasser an und zum ersten Mal zeigte sich etwas wie Erleichterung in den Gesichtern der Männer und Frauen. Der Leutnant bedeutete ihnen zusammen zu bleiben und zu warten bis er Meldung erstattet hatte. Dann ging er in die Baracke vor der die Flagge wehte.
Nach dreißig Minuten erschien der Leutnant auf dem Vorbau der Baracke mit einem Mann in einer Uniform welche direkt aus der Reinigung zu kommen schien. Der Mann, ein Oberst und Garnisonskommandant litt offensichtlich nicht an Entbehrungen. Seine Uniformjacke spannte sich um einen mächtigen Bauch und sein Doppelkinn quoll über den sicherlich unbequemen Hemdkragen. Die Hose schlug um die Stiefel Falten weil sie viel zu lang war. Wahrscheinlich weil der Gürtel ständig unter den Bauch rutschte. Er war fast kahl und schien dies mit einem Seehundsbart wettmachen zu wollen der ihm bis über die Unterlippe ragte. Alles in Allem war er genau das was sich Andrea immer unter Sancho Panza vorgestellt hatte. Unwillkürlich musste sie bei dem Gedanken grinsen wie er wohl auf einem Esel aussehen würde. Der Oberst dankte den Männern überschwänglich und mit blumigen Worten für ihren heldenhaften Einsatz. Dann wandte er sich direkt an Andrea und sagte in fast akzentfreiem Deutsch.
„Señorita, man sagte mir, sie haben sich da oben wie ein Profi und Kriegsveteran verhalten und meinen Männern das Leben gerettet. Die Nationalgarde wird ihnen das nicht vergessen.“
„Coronel“, antwortete die Ärztin mit einem gleichgültigen Schulterzucken, „ich habe vielleicht mein eigenes Leben und das meiner Kolleginnen gerettet“.
„Ihre Männer waren nur zufällig davon betroffen. Und wenn sie es mir danken wollen, dann bringen sie uns schnell nach Managua in die Deutsche Botschaft“.
„Bien, wir werden später darüber zu reden haben. Nun sollten sie alle essen und trinken, sich säubern und ausruhen. Capitan, bringen sie die Damen zur Baracke 4 und stellen sie Wachen auf. Ich möchte unter keinen Umständen, dass ihnen ein Leid geschieht.“
Baracke 4 war eine kleine Truppenunterkunft aus rohen Holzbrettern die in den Fugen mit Lehm zugeschmiert waren. Es gab Hochbetten für 25 Mann. Die Frauen waren erstaunt, dass man ihnen die gesamte Unterkunft überlassen hatte. Vielleicht war die Garnison so schwach belegt oder die Truppen bereits dezimiert. Das Wasser in den Duschen war unbeheizt aber die Duschen waren sauber. Die Frauen wollten gar nicht mehr aufhören sich von dem Wasser berieseln zu lassen.
Auf dreien der Betten lagen je eine tarnfarbene Khakihose und ein olivgrünes T-Shirt. Als die Frauen angekleidet waren sahen sie aus wie Mitglieder einer Militäreinheit. Die Hosen waren offensichtlich für Männer geschnitten und passten entsprechend schlecht. Die Haare waren zwar gekämmt aber noch nass vom Duschen.
Sie traten vor die Baracke wo sie die Wachen in Empfang nahmen. Einer der Männer führte sie zu der kleinen Kommandobaracke. Der Oberst empfing sie und bat sie mit ihm zu Abend zu essen.
Sein Büro wurde von einem etwa zwei auf zwei Meter großen Tisch dominiert auf dem offenbar Truppenbewegungen und Frontverläufe eingezeichnet waren. Es schien als hielt sich der Oberst für einen großen Strategen. Genaueres war nicht zu erkennen, da der Tisch mit einem Tuch abgedeckt war. An der Wand hinter dem Schreibtisch aus Metall hingen ein paar Auszeichnungen und Fotos. Als Blickfang und als einziges mit einem Holzrahmen versehen konnte man den Oberst an der Seite des Präsidenten erkennen. Dieser hatte gönnerhaft den Arm um den Soldaten gelegt.
Als sie an einem weiteren, kleineren Tisch Platz genommen hatten, servierte eine Ordonanz gekühlten Tee und eine Suppe die herrlich duftete und außer Reis auch einige Fleischstücke enthielt. Ausgehungert löffelten die Frauen die Suppe. Danach gab es gebratenes Huhn mit Reis, schwarzen Bohnen und Avocado Püree, und sie fragten sich unwillkürlich ob alle Soldaten hier so nahrhaft mit Essen versorgt wurden. Den angebotenen Wein lehnten sie ab, aber als der Nachtisch bestehend aus Bananen, Ananas- und Wassermelonenstücken angeboten wurde, ließen sie sich nicht zweimal bitten.
Andrea Karst kaute auf einem Stück Ananas und fragte: „wann werden wir freikommen, Coronel?“
„Verehrte Frau Doktor“, antwortete der Oberst gestelzt, „das ist eine Entscheidung die nicht einmal ich treffen kann.“
„Wenn nicht sie, wer dann?“ fragte Andrea. Der Oberst schien sichtlich geschmeichelt.
„Höhere Ränge weit über mir. Vielleicht sogar El Presidente selbst.“
„Wann kommen wir dann nach Managua?“ Ute hatte sich in das Gespräch eingeschaltet.
„Das Land wird im Moment bestreikt und es sind überall Aufständische in den Straßen“, entgegnete der Offizier. „Im Moment müssen sie mit meiner bescheidenen Gastfreundschaft Vorlieb nehmen.“
„Erlauben sie mir die Frage“, fuhr er fort, „warum sie in mein Land gekommen sind?“
„Wir sind Mitglieder einer medizinischen Hilfsorganisation“, antwortete Anna, „wir wollten den Opfern helfen.“
„Allen Opfern oder nur denen auf Seiten der Sandinisten?“, fragte der Oberst lauernd.
„Der ärztliche Hilfe Eid gilt allen Menschen die Hilfe brauchen, ohne Ansehen der Person“, antwortete die Ärztin.
„Wir haben hier ein kleines Lazarett“, sagte der Oberst. „Wären sie bereit den Menschen dort zu helfen?“
Alle drei Frauen stimmten ohne nachzudenken sofort zu.
„Schön“, schloss der Oberst zufrieden, „dann begrüße ich sie ab morgen früh als neue Mitglieder des Medizinischen Corps der Nicaraguanischen Nationalgarde.“