Читать книгу Häuser des Jahres 2021 - Katharina Matzig, Wolfgang Bachmann, Udo Wachtveitl - Страница 16
ОглавлениеFreundliche Festung
Anerkennungen
von Wespi de Meuron Romeo Architekten BSA
in Klingnau (CH)
Auf beinahe quadratischem Grundriss steht das kleine Haus robust und sicher am Hang. Der Blick fällt gerahmt ins Tal, innen zeichnet das durch die vorgelagerte Betonschicht fallende Licht malerische Sonnenflecken.
Klingnau liegt im unteren Aaretal im Schweizer Kanton Aargau, rund vier Kilometer südlich der Grenze zu Deutschland. Das historische Städtchen thront auf einem Schotterhügel und bietet Blick ins untere Aaretal, auf den Stausee, in den Schwarzwald und bei guten Sichtverhältnissen bis in die Berner Alpen. Die Klingnauer Weine dokumentieren auch kulinarisch die guten klimatischen Verhältnisse. Die architekturbegeisterte Bauherrschaft, die hier 729 Quadratmeter Grund bebauen wollte, hatte klare Vorstellungen, wie ihr Haus ausschauen sollte und entschied sich nach intensiver digitaler wie analoger Suche für das Büro wespi de meuron romeo architekten bsa aus dem mehr als 200 Kilometer entfernten Caviano im Tessin, an der schweizerisch-italienischen Grenze. Berühmt ist das Büro für „freundliche Festungen, die auf einzigartige Weise mit der Natur verschmelzen“, wie Kollegen beschreiben. Und auch im letzten Jahr überzeugten Markus Wespi, Jérôme de Meuron und Luca Romeo unsere Jury mit einem Haus in Ascona, für das sie eine Anerkennung erhielten. Die Bauherren überzeugte, „dass wir viel mit den Materialien Bruchstein, Glas und Beton arbeiten, die Liebe zum Detail in unseren Bauten und dass wir jeweils wenig in die Natur eingreifen“, erinnert sich Jérôme de Meuron. Ihren Prinzipien blieben die Architekten auch bei diesem Haus treu: Der Aushub beschränkt sich lediglich auf eine Geschosshöhe, die bestehende Topografie wurde kaum verändert, das Haus steht tatsächlich wie eine kleine, Geborgenheit stiftende Festung im Hang über der steil abfallenden Felswand.
Die 111 Quadratmeter Wohnfläche verteilen sich ökonomisch auf zwei Ebenen mit annähernd quadratischen Grundrissen. Auch die Außenhülle kommt ohne Einschnitte oder Vorsprünge aus. Leicht nach Südwesten verdreht öffnet sich das Haus auf beiden Geschossen vollverglast zur Aussicht auf den historischen Dorfkern. Gelenkt und gerahmt werden die Blicke durch kleine und große, quadratische und beinahe quadratische Öffnungen, teils als Fenster, teils als Einschnitt ausgebildet. Der grob gewaschene Betonfilter dient als Sonnenschutz und zeichnet im Inneren malerische Reflektionen auf die hellen, naturgrau verputzten Wände. Als zweite, auf Abstand gerückte Schicht entstehen zudem Großzügigkeit und Tiefe. Die nordseitigen Fassaden hingegen sind weitgehend geschlossen und garantieren die gute Energiebilanz.
Erschlossen wird das Haus im Obergeschoss, der Weg vom Parkplatz an der östlichen Grundstücksgrenze führt durch den Garten, vorbei an einer alten Eiche, an grünen und gepflasterten oder bekiesten Plätzen. Bereits von der breiten, verglasten Eingangszone fällt der Blick ins Tal. Ein Block, zentral platziert, nimmt die Garderobe sowie einen Sanitärraum auf, er gibt der Treppe Halt und der Sitzbank für den Esstisch. Die Küchenzeile steht mittig, drum herum wird komfortabel gewohnt. Das Erdgeschoss ist den Privaträumen vorbehalten.
Urteil der Jury
von Udo Wachtveitl
Meisterschaft zeigt sich an der sicheren Hand vor allem dort, wo man sich nicht mehr auf Überkommenes, auf Notwendigkeiten gar, berufen kann. Wer wacker allen Regeln folgt und allgemein Bewährtes zu seinen Leitplanken macht, der wird nie ganz fehlen; zur Meisterschaft aber bedarf es zusätzlich des unfehlbaren Instinkts auch dort, wo auf die Frage „Warum?“ nur noch geantwortet werden kann: „Weil’s gut so ist! Siehst du es nicht?“
Zur Anschauung mag hier die südwestlich vorgelagerte, nach Lage und Ausrichtung als Schokoladenseite zu betrachtende Filterfassade aus Waschbeton des Hauses in Klingnau dienen. Freilich lassen sich auch für deren Gestaltung einige übliche Verdächtige als gute Gründe anführen. Sie organisiert den Blick nach draußen, macht aus einer platten Draufsicht vielfältig inszenierte Dioramen, sorgt für maßvolle Beschattung und ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Ihre Trutzburganmutung ist provokante Antithese zu den feinen Innenräumen und der sie begrenzenden leichten Vollverglasung, intendierter Pflanzenbewuchs erobert schon teilweise das Zwischenreich und erweitert die von innen nach außen gestaffelten Raumqualitäten abermals … all das ist richtig.
Wie aber nun die 15 Öffnungen angeordnet sind, wie sie sich einem schnell ablesbaren Schema verweigern und wie sie dennoch eine lockere, stimmige Ordnung erzeugen, das – zum Beispiel – ist meisterlich. Das Thema der lockeren Ordnung auch in so einem Detail wie der Gehwegpflasterung widergespiegelt zu finden, macht uns nur umso gewisser, dass hier Könner am Werk waren.
Die steile Hanglage mit instabilem Baugrund stellte eine besondere Herausforderung dar. Das kompakte Haus auf beinahe quadratischem Grundriss schiebt sich eingeschossig in die bestehende Topografie, sie wurde so wenig wie möglich verändert. Auch ein alter Baum beim Parkplatz konnte erhalten werden: wirtschaftlich und landschaftsarchitektonisch die ideale Lösung.
Das Budget der Bauherren war begrenzt. Auf eine anspruchsvolle Gestaltung wollten sie jedoch nicht verzichten: Klein und fein ist heute ihr Haus.
Die Innenräume des Sichtbetonbaus wurden naturgrau verputzt, die gesamte Außenhülle besteht aus grobem gewaschenen Beton, der teilweise bepflanzt wird.
Querschnitt
Grundriss Erdgeschoss
Längsschnitt
Grundriss Obergeschoss
Hersteller: Außenwand & Fassade: K. Vögele Hoch + Tiefbau AG, Leuggern (CH) | Fenster: Ernst Keller AG, Klingnau (CH) | Türen, Tore & Beschläge: Fischer Schreinerei & Innenausbau GmbH, Kleindöttingen (CH) | Bad, Sanitär & Armaturen: Emporio, Via tortona Gessi | Küche & Küchenarmaturen: Fischer Schreinerei & Innenausbau GmbH, Kleindöttingen (CH)
Beteiligte Unternehmen: Ausführungsplanung und Bauleitung: weberbuess Architekten FH/SIA, Basel (CH), www.weberbuess.ch
Maßstab
M 1:200
1Eingang
2Kochen
3Essen
4Wohnen
5Garderobe/WC
6Schlafen
7Arbeiten
8Bad
„Architektur – zeitlos selbstverständlich, verwoben mit Baukultur und Ort, mehr Entdeckung als Erfindung, aus altvertrauten Stimmungen Neues schaffen, Atmosphäre, Licht und Schatten – das mögen wir.“
Markus Wespi, Jérôme de Meuron,
Luca Romeo
Wespi de Meuron Romeo
Architekten BSA, Caviano (CH)
Anzahl der Bewohner:
3
Wohnfläche (m2):
111
Grundstücksgröße (m2):
729
Standort: Klingnau (CH)
Zusätzliche Nutzfläche (m2): 26
Bauweise: Sichtbeton
Fertigstellung: 03/2018
Architekturfotografie:
Monica Spezia (Living Inside srl),
Mailand (I)
Lageplan