Читать книгу Kleine Helfer für die Altenpflege: Ich geh nach Hause! - Uli Zeller - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Präsenzkraft Petra erzählt: „Neulich war ich bei Herrn Ludwig im Zimmer. Ich habe ihm beim Waschen geholfen. Dann saß Herr Ludwig im Badezimmer. Er ließ den Kopf hängen. ‚Ich habe so viel vergessen‘, klagte er. So kann er sich nicht mehr daran erinnern, dass ich ihm eben die Haare gekämmt habe. Aber er weiß noch genau, dass er am Tag seiner Hochzeit eine Fliege getragen hat. An diesem Morgen sagte Herr Ludwig zu mir: ‚Wissen Sie was, Schwester? Früher war ich auch mal wer!‘ Ich hatte noch viel Arbeit und kümmerte mich um die anderen Bewohner – aber immer wieder kam mir Herr Ludwig in den Sinn. Schließlich ging ich noch einmal in sein Zimmer und sagte: ‚Wissen Sie was, Herr Ludwig? Sie sind heute auch noch wer!‘“ Soweit Präsenzkraft Petra.
Ja, Herr Ludwig ist auch heute noch wer – obwohl ihm der Vorhang Demenz den Blick versperrt.
Demenz gleicht tatsächlich einem Vorhang: Häufig ist er zugezogen und versperrt so den Blick auf die eigene Vergangenheit. Das möchte ich mit folgender Geschichte erklären: Neulich war Herr Wagner auf der Autobahn unterwegs. Er fuhr zu einer Hochzeit. Deshalb baumelte sein Anzug hinter ihm an der Halteschlaufe vor dem Fenster des Rücksitzes. Der Anzug versperrte also etwas ungeschickt den Blick durchs hintere Fenster. Vor Herrn Wagner fuhr ein Lastwagen. Er schaute in den Rückspiegel und zur Seite und setzte den Blinker nach links. Da der Anzug im Weg hing, sah er beim Blick über die Schulter kein Hindernis und wollte auf die Überholspur ziehen. Da blendete es ihm 3-mal aus dem Rückspiegel entgegen – Lichthupe. Dann hörte Herr Wagner es hupen und ein blauer Audi rauschte auf der Überholspur an ihm vorbei.
Demenz – das äußert sich ein bisschen wie dieser Anzug, der im Weg hängt. Demenz ist wie ein Vorhang, der den Blick versperrt. Manches ist dadurch nicht sichtbar. Manches wird nicht erkannt. Oft klappt der Blick über die Schulter noch ohne Probleme. Das, was vor langer Zeit war, sieht man noch deutlich. Aber die jüngste Vergangenheit ist verloren gegangen. Herr Ludwig sieht sich noch als junger Mann am Tag seiner Hochzeit. Aber er kann sich nicht mehr daran erinnern, dass Petra ihm vor ein paar Minuten die Haare gekämmt hat. Der Blick zur Seite ist nicht mehr möglich. Der Vorhang Demenz hängt im Weg. Im Laufe einer Demenz wird dieser Vorhang immer mehr Teile der Vergangenheit verdecken. Der Blick in alle Richtungen wird zunehmend versperrt. Dennoch kann es sein, dass der Vorhang an einer Stelle auch wieder zur Seite rutscht und ein Blick auf Dinge möglich wird, die zuvor verborgen waren. Ganz unabhängig davon, welche Teile eines Lebens vom Vorhang Demenz gerade freigegeben werden und welche Teile verhängt sind: Herr Ludwig und alle anderen Menschen mit Demenz sind auch heute noch wer. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schreibe ich dieses Buch. Ich erzähle von meinem Alltag in der Betreuung im Altenheim und lade Sie dazu ein, mich zu begleiten. Dabei werde ich 111 Tipps formulieren und selber wohl am meisten lernen. Und vielleicht hilft mein ein oder anderes Aha-Erlebnis auch Ihnen weiter.
Jede einzelne Kolumne in diesem Buch ist für sich alleine lesbar. Ebenso kann man nur einzelne Tipps lesen. Aber natürlich ergänzen sich die Kolumnen und Tipps gegenseitig und beleuchten den Umgang mit Menschen mit Demenz aus unterschiedlichen Perspektiven.
Weitere Kolumnen von mir, mit Tipps und Gedanken zum Thema „Demenz“, finden Sie jede Woche neu unter dem Titel „Uli & die Demenz“ auf der Internetseite von .
Ihr Uli Zeller
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