Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 44
Hotel Orion, Venedig
ОглавлениеGina saß mit Brian im hoteleigenen Restaurant beim Abendessen, als Leon auftauchte. Den Rest des Tages hatten die beiden damit zugebracht, in der Umgebung die Menschen nach dem Wunder in der Kirche zu befragen. Sie hatten die unterschiedlichsten Erzählungen der Geschehnisse erfahren. Doch in einem waren sich die Menschen einig, sie glaubten, dass tatsächlich eine Marienerscheinung stattgefunden hatte und die Kinder die Wahrheit sagten. Nicht wenige – darunter Geschäftsleute und Ladenbesitzer – spendeten spontan eine größere Geldsumme zur Erhaltung der Kirche, nachdem der alte Paolo Parrotta ihnen das Wunder verkündigt hatte. Weiter hatten Gina und Brian in Erfahrung gebracht, dass die Kirchenrenovierung von der zuständigen Kirchenverwaltung zwar ebenfalls als notwendig erachtet wurde, jedoch aufgrund der Bedeutung des Bauwerks eher nachrangig eingestuft und auf das nächste Jahr verschoben worden war. Paolo Parrotta, in dritter Generation als Kirchendiener der Chiesa San Zulian tätig, musste diese Nachricht zutiefst getroffen haben. Diese Kirche war sein Leben. Er hegte und pflegte sie, als gäbe es für ihn nichts anderes auf der Welt.
»Er hat den Kindern Wort für Wort eingetrichtert«, sagte Gina voller Überzeugung. »Die Sache stinkt zum Himmel. Bestimmt hat er auch die Tränen auf das Marienbild gemalt. Er will das Geld für die Renovierung zusammenbekommen. Das ist alles. Ein einziger großer Schwindel, und dieser Pater Francesco weiß davon.«
»Einem echten Idealisten ist so etwas natürlich zuzutrauen«, pflichtete Brian ihr bei. »Aber trotzdem müssen wir an eine Analyse herankommen. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, unbeaufsichtigt in die Kirche zu gelangen.«
»Selbst zum Pinkeln bleibt er in der Nähe«, fügte Leon hinzu. »Aber mir wird schon etwas einfallen. Ich habe heute zumindest ein paar Tests an den Wänden durchführen können. Teilweise sind die Farbschichten erst vor kurzer Zeit aufgetragen worden.«
»Sei vorsichtig, damit der Alte keinen Verdacht schöpft«, erwiderte Gina.
»Keine Angst, er hält mich für einen großen Maler mit Zukunft«, sagte Leon.
Brian blätterte in Leons Skizzen. »Also wenn du mich fragst, dann solltest du vielleicht wirklich die Branche wechseln.«
Leon fühlte sich sichtlich geschmeichelt. »Ich war drei Jahre auf der Kunstakademie. Dort gab es die schönsten Mädchen, und man konnte den ganzen Tag vor einer leeren Leinwand verbringen und sich von den Strapazen der Nacht ausruhen. Aber dann hat mir mein Vater den Geldhahn abgedreht. Die meisten berühmten Maler seien erst nach ihrem Tod bekannt geworden, meinte er. Und bis dahin hätten sie sich durchs Leben geschnorrt …«
»Womit er nicht unbedingt falschliegt«, sagte Gina.
»Im Schnorren war ich jedenfalls schon zu meiner Akademiezeit ein echter Spezialist.«