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Polizeigebäude Santa Chiara, Venedig

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Die kleine, enge Zelle im Kellergeschoss des Polizeigebäudes von Venedig wirkte düster und abstoßend. Durch das winzige Fenster in der dunkelgelb getünchten Wand fiel nur wenig Sonnenlicht ins Innere. Die graue Tür aus Stahl war geschlossen. Brian saß auf der Pritsche, die in die Wand eingelassen war, und hatte die Beine angewinkelt. Es roch nach Moder und Schimmel. Er horchte auf, als draußen auf dem Gang dumpfe Schritte hallten. Geräuschvoll wurde ein Schlüssel in das Schloss gesteckt. Es knackte laut, dann wurde die Tür aufgeschoben, und das Gesicht eines Mannes erschien im Türspalt.

»Signore Saint-Claire, andiamo!«, sagte der Mann, der eine blaue Uniformjacke über dem weißen Hemd trug. Seine Geste war eindeutig.

Draußen schien die Junisonne, und Brian musste die Augen zusammenkneifen, als er aus dem dunklen Kellergewölbe in den sonnendurchfluteten Flur trat. Durch die langen Gänge führten ihn zwei Polizisten in den zweiten Stock. In einem Büro erwartete ihn der Zivilbeamte, der schon am frühen Morgen in seinem Zimmer gestanden hatte.

»Haben Sie ausgeschlafen, Signore Saint-Claire?«, fragte der Zivilist und wies mit einer Geste auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

Brian setzte sich, während sich die beiden uniformierten Beamten neben der Tür platzierten.

»Ich möchte jetzt endlich wissen, weswegen ich hier bin«, sagte Brian bestimmt. »Warum halten Sie mich fest, und wo sind meine Begleiter?«

Der Polizeibeamte in Zivil lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er grinste. Brian musterte den dunkelhaarigen, drahtigen Mann. Er schätzte ihn um die fünfzig. Auf dem Schreibtisch entdeckte er ein Namensschild: Commissario Di Salvio.

»Ich hoffte, ich könnte das von Ihnen erfahren«, antwortete der Kommissar. »Damit würden Sie mir eine Menge Arbeit ersparen.«

»Italien ist doch ein Rechtsstaat, wenn ich mich nicht täusche. Also, was wollen Sie von mir?«

Das Lächeln des Polizisten gefror. Er richtete sich auf und beugte sich über den Schreibtisch. »Kennen Sie Leon Rainders?«

»Natürlich kenne ich Leon«, antwortete Brian. »Wir sind hierhergekommen, um im Auftrag unseres Magazins über eine Illumination zu berichten. Er gehört zu meinem Team.«

»Und genau deswegen sind Sie hier«, sagte der Polizist. »Wir haben Leon Rainders gegen vier Uhr in der Frühe in der Chiesa San Zulian ertappt, als er sich daranmachte, sakrale Gegenstände zu entwenden. Und nun sagen Sie, er gehört zu Ihrem Team.«

Brian schüttelte den Kopf. »Das ist doch Blödsinn.«

»In den letzten Wochen hatten wir zahlreiche Einbrüche in Kirchen und Museen unserer Stadt. Es wurden Werte in Millionenhöhe gestohlen. Wir wussten von Anfang an, dass eine Organisation dahinterstecken muss.«

Brian riss die Augen auf. »Sie glauben doch nicht, dass wir …«

»Dann nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, weswegen ich anderer Meinung sein sollte. Was hat Ihr Komplize um vier Uhr früh in der Kirche verloren?«

»Haben Sie schon von den Tränen der Mutter Gottes gehört?«, fragte Brian.

Der Kommissar schüttelte den Kopf.

Brian erzählte ihm die Geschichte mit der Marienerscheinung, die zwei Kindern angeblich widerfahren sein sollte.

Der Kommissar hatte die Arme vor seinem Körper verschränkt und hörte interessiert zu.

»Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, wollten wir Messungen vor Ort durchführen, aber der verantwortliche Geistliche lehnte das ab. Deshalb ist Leon wohl in der Nacht in die Kirche eingestiegen. Ich wusste nichts davon, aber Leon neigt oft zu unkonventionellen Methoden«, beendete Brian seinen Bericht.

»Und diese abenteuerliche Geschichte soll ich Ihnen glauben?«

»Rufen Sie in unserer Redaktion an, die Telefonnummer finden Sie in meinem Notizbuch. Außerdem kann Ihnen Padre Francesco bestätigen, dass ich ihn in dieser Angelegenheit aufsuchte. Es stand sogar in der Zeitung. Wir haben den Artikel in unserem Gepäck. Sie haben doch sicherlich bereits alles durchsucht.«

»Man könnte auch sagen, Sie haben den Coup sehr gut eingefädelt, für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte.«

Allmählich platzte Brian der Kragen. Er hatte den Eindruck, er konnte erzählen, was er wollte, der Polizist hatte längst sein Urteil gefällt. »Ich möchte mit einem Anwalt reden!«, sagte er.

Der Polizist grinste erneut. »Wir sind ein Rechtsstaat«, antwortete er. »Ihnen wird Gelegenheit gegeben, ein Telefonat zu führen. Aber erst, wenn etwas Licht in diese Angelegenheit gedrungen ist.«

»Ich habe das Recht auf einen Anwalt«, beharrte Brian, »und zwar sofort! Außerdem möchte ich wissen, wohin Sie Gina und Leon gebracht haben.«

»Bei Verdunklungsverdacht kann ich Sie vierundzwanzig Stunden festhalten. Ich muss lediglich den Ermittlungsrichter informieren, und das ist bereits geschehen. Und was Ihre Freunde betrifft, die sind ebenfalls hier.«

Brian schaute resigniert zu Boden.

»Wie heißt Ihre Zeitschrift?«, fragte der Kommissar

Brian schaute auf. »Das Magazin gehört zur Harbon-Gruppe. Es nennt sich ESO-Terra

»Habe ich noch nie gehört.«

»Es erscheint nur in den USA.«

Der Kommissar nickte. »Und womit befasst sich Ihr Magazin?«

Brian war nahe dran, die Geduld zu verlieren.

»Ich bin ausgebildeter Psychologe und beschäftige mich mit Grenzwissenschaften. Übersinnlichem, besser gesagt. Es gibt zahlreiche übernatürliche Phänomene, für die es keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Meine Aufgabe ist es, den Wahrheitsgehalt solcher Wahrnehmungen zu prüfen und darüber zu berichten.«

»Und Sie glauben an solchen Unsinn?«, entgegnete der Polizist.

Auf Brians Gesicht zeigte sich ein unterdrücktes Lächeln. Der Mensch auf der anderen Seite des Schreibtisches schien nur an sich selbst zu glauben. »Niemand hat bislang Atome gesehen, und dennoch kann man ihre Existenz beweisen. Vor fünfhundert Jahren glaubte man, die Erde sei eine Scheibe, und doch ist sie rund. Natürlich gibt es Scharlatane, die Geschichten erfinden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber darüber hinaus gibt es Phänomene, die experimentell nachweisbar sind, aber noch stehen wir am Anfang, was die wissenschaftlichen Methoden betrifft.«

»So, was für Phänomene beispielsweise?«

»Haben Sie schon von Psychokinese gehört?«, fragte Brian.

Der Kommissar schüttelte den Kopf.

»In einer Reihe von Experimenten wurde nachgewiesen, dass durch Geisteskraft Einfluss auf die Bewegung von Materie ausgeübt werden kann. Im Fall, den wir aktuell untersuchen, handelt es sich wie gesagt um eine Illumination; andere Beispiele sind das Déjà-vu, die Präkognition oder die Hellseherei.«

Der fragende Blick des Kommissars sprach Bände.

»Das zweite Gesicht«, erklärte Brian. »Präkognition ist die Fähigkeit, Dinge vorherzusehen. Das ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen.«

Der Kommissar schmunzelte. »Das kenne ich«, sagte er. »Als meine Frau am letzten Sonntag eine Panna Cotta zubereitete, wusste ich bereits vorher, dass sie misslingt.«

Erneut fühlte Brian Wut in sich aufsteigen. Wieder einmal saß er einem dieser Ignoranten gegenüber, die an nichts anderes glaubten als an das, was sie mit eigenen Augen sehen und mit ihrem beschränkten Horizont erklären konnten. Was sollte er noch sagen.

Das Telefon klingelte. Der Kommissar nahm den Hörer ab. Er sprach flüsternd und mit abgewandtem Oberkörper, sodass Brian nichts verstehen konnte. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, schaute er Brian mit durchdringenden Augen an.

»Offenbar sind Ihre Angaben richtig.« Der Kommissar griff in eine Schublade und zog ein schwarzes Etui hervor. Er öffnete es und präsentierte die sechs kleinen und mit Flüssigkeit gefüllten Fläschchen darin, die in unterschiedlichsten Farben schimmerten. »Können Sie mir erklären, was das ist?«

Brian begutachtete das Etui. »Ich nehme an, das gehört Leon. Er ist Chemiker, und bei dem hier handelt es sich wohl um seine Analyseausrüstung.«

»Er trug es bei sich, als wir ihn verhafteten«, erklärte der Kommissar.

»Dann fragen Sie ihn doch selbst«, entgegnete Brian.

»Ich wollte es aber gern von Ihnen wissen«, sagte der Kommissar. »Ihr Freund hat mir übrigens die gleiche Antwort gegeben. Sie scheinen sich wohl gut abgesprochen zu haben.«

»Und was geschieht jetzt mit uns?«, fragte Brian.

Der Kommissar runzelte die Stirn. »Es bleibt immer noch der Tatbestand des Einbruchs. Außerdem traue ich Ihnen nicht.«

Brian beugte sich vor. »Ich lag in meinem Bett und schlief. Sie haben mich doch selbst schlafend angetroffen. Was werfen Sie mir also vor?«

»Ich sagte Ihnen doch, wir halten Sie für Kunstdiebe, die sich auf sakrale Gegenstände spezialisiert haben.«

»Mir ist egal, wofür Sie mich halten«, sagte Brian, der an sich halten musste, um sein Gegenüber nicht anzubrüllen. »Ich habe Ihnen erklärt, weswegen wir hier sind. Sie haben keinerlei Beweise für Ihren Verdacht. Ich bestehe darauf, augenblicklich einen Anruf zu führen, ansonsten werden Sie noch lange an mich denken.«

»Sie drohen mir?«

»Das ist keine Drohung, das ist ein Versprechen!«

Der Kommissar überlegte. »Angenommen, ich gestatte Ihnen das Gespräch, wen würden Sie anrufen?«

Brian griff nach einem Kugelschreiber, der auf dem Schreibtisch lag, und riss einen Notizzettel von dem daneben liegenden Block. Er schrieb die Telefonnummer auf und sagte: »Das ist unser Chefredakteur in Cleveland. Sie können es ruhig überprüfen und auch mithören, das stört mich nicht im Geringsten. Selbstverständlich bezahle ich den Anruf.«

Kommissar Di Salvio nickte stumm und schob Brian das Telefon zu.

Die dritte Ebene

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