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c) Feministisch-theologische Hermeneutik
ОглавлениеGrundzüge feministischtheologischer Hermeneutik
Gleiches gilt für die Hermeneutik der feministischen Theologie, welche Bibelauslegung und Theologie aus dem Blickwinkel der Geschlechterdifferenz betreibt. „Frauenerfahrung“ ist ein Schlüsselbegriff dieser Erfahrungstheologie. Daneben sind „Erinnerung“, „Erzählung“ und „Solidarität“ hermeneutische und fundamentaltheologische Grundkategorien feministischer Theologie (106). Tatsächlich hat die traditionelle Theologie den Blick auf bestehende Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau sowie auf patriarchale Strukturen im theologischen Denken wie auch in den biblischen Traditionen weitgehend verstellt. Insofern gehen von der feministischen Theologie und ihrer Hermeneutik emanzipatorische Impulse aus, welche die Theologie nur zu ihrem Schaden ignorieren kann.
Was die Bibelauslegung betrifft, so lassen sich verschiedene Formen feministischer Lektüre unterscheiden (93; 264: 130ff.). Zum einen fördert feministische Theologie die historisch-kritische Erforschung der Rolle der Frau in der Bibel bzw. in der Geschichte Israels und in der Geschichte des Urchristentums (104). Untersuchungen zu biblischen Frauengestalten wie zur Stellung der Frau im alten Israel und im ältesten Christentum bilden ein wichtiges Korrektiv gegenüber einer männerdominierten Auslegungsgeschichte der Bibel. Sie sind auch systematisch-theologisch und praktisch-theologisch von größter Bedeutung. Man denke nur an die Frage der Frauenordination, an die Gleichheit von Mann und Frau, an den Wandel der Geschlechterverhältnisse in Familie, Sexualität und Gesellschaft.
Weiter reicht jedoch das Anliegen einer feministisch-theologischen „Hermeneutik des Verdachts“ (106; 107), die sich bis zur „Hermeneutik der Verurteilung“ (264: 131) steigern kann. Damit ist gemeint, daß biblische Texte nicht mehr nur von patriachalischen Interpretationen befreit werden sollen, sondern daß ihre theologischen Gehalte überhaupt einer fundamentalen Sachkritik unterzogen werden, mit dem Ergebnis, daß christliche Glaubensgehalte entweder überhaupt verworfen oder zugunsten einer synkretistischen Religiosität umgeformt werden. Solche Entwicklungen sind freilich auch Gegenstand innerfeministischer Kritik.
Der Begriff des Sexismus
Eine feministisch-theologische Hermeneutik des Verdachts rezipiert die theoretischen Annahmen des allgemeinen Feminismus, die sich auf den Begriff des Sexismus bringen lassen. Der Begriff des Sexismus ist demjenigen des Rassismus nachgebildet (87). Er bezeichnet „die soziale Konstruktion derjenigen Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft, die auf der angenommenen Überlegenheit eines Geschlechts über das andere beruht“ (Mary Ann Tolbert). Der gesellschaftliche Druck, sich entsprechend den konventionellen Geschlechterrollen zu verhalten, impliziert die negative moralische Bewertung abweichenden sexuellen Verhaltens, insbesondere der Homosexualität, sowie im Patriarchat eine sich bis zur Gewalt steigernde Frauenfeindlichkeit.
Eine sexistische Sichtweise führt die Geschlechterdifferenz und bestehende Ungleichheiten auf biologische Ursachen zurück. Aus ihnen wird die Behauptung abgeleitet, daß sich Frauen und Männer auch in ihrem Empfinden, Denken und Handeln fundamental unterscheiden. Jedem Sexismus liegt ein doppeltes Konstrukt zugrunde, nämlich dasjenige von klar abgegrenzten gesellschaftlichen Geschlechterrollen (gender), die wiederum auf das Konstrukt von naturgegebenen biologischen Geschlechtern (sex) zurückgeführt werden. Als Sexismus läßt sich also die jeweilige Ideologie bezeichnen, die entweder eine patriarchale oder eine matriarchale Gesellschaftsform und ihre Machtverhältnisse legitimiert.
Tatsächlich ist Sexismus seinem Wesen nach ein ideologiekritischer Begriff. Darin besteht freilich auch seine Problematik, weil die ihn verwendenden feministischen Theorien ihrerseits auf mögliche ideologische Voreingenommenheiten überprüft werden müssen. Manche feministischen Theorien der Geschlechterdifferenz operieren selbst mit biologistischen Grundannahmen, die denen des kritisierten Sexismus strukturell vergleichbar sind. In hohem Maße hypothetisch und ideologieanfällig sind auch die verschiedenen Theorien über die evolutionsgeschichtlichen oder die historischen Ursprünge der Geschlechterungleichheit.
In der feministischen Theologie und ihrer Hermeneutik spielt die Sexismus-Kritik exegetisch wie systematisch-theologisch eine zentrale Rolle. Der Sexismus-Vorwurf betrifft nicht nur die Ekklesiologie und die traditionelle Gotteslehre, sondern hat auch weitreichende Konsequenzen für die Sündenlehre. Wird Sünde mit männlichem Sexismus gleichgesetzt, gelten Frauen weniger als Täter denn als Opfer des Bösen. Nach Rosemary Radford Ruether bedeutet die „Monopolisierung von Macht und Privilegien seitens der Männer der herrschenden Klasse […] auch eine Monopolisierung der Möglichkeiten des Bösen.“ Zwar seien Männer wie Frauen zum Bösen fähig, „aber nicht alle gleichermaßen für das Böse verantwortlich“ (100: 217).
Kritik an der feministischen Theologie
Die dahinter stehende Vorstellung von einer Frauen immer schon zugänglichen unmittelbaren religiösen Erkenntnis, zu welcher die Männer erst befreit werden müssen, läßt sich freilich ihrerseits als „sexistisch“ kritisieren, trägt sie doch unverkennbar ideologische Züge, die christlicher Theologie zuwiderlaufen. Scharf formuliert Elke Axmacher: „Die Behauptung der Vereinbarkeit von nur partiell zugänglichem Wissen mit allgemeiner Verbindlichkeit dieses Wissens ist ein wesentliches Kennzeichen totalitärer Denkweisen“ (58: 8). Nicht nur die Bibelexegese, sondern auch Dogmatik und Ethik geraten dabei unter die Herrschaft einer Ganzheitsvision (58: 13ff.), bei der Natur, Göttlichkeit und Weiblichkeit zu einer Trias verschmelzen. Geschichte, die grundlegende Bezugsgröße aller Hermeneutik, wird zur „Wunschphantasie“ (77: 33ff.). Wie für die Theologie der Befreiung gilt auch für die Hermeneutik der feministischen Theologie, daß sie selbst zum Gegenstand der Ideologiekritik und einer Hermeneutik des Verdachts gemacht werden muß, damit ihre produktiven Einsichten für die Theologie insgesamt fruchtbar gemacht werden können (75; 76).