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d) Vielfalt und Verbindlichkeit

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Das Problem der Verallgemeinerbarkeit theologischer Erkenntnisse

Die heutige Vielfalt kontextueller Theologien verschärft das Problem der Verallgemeinerbarkeit theologischer Erkenntnisse. Es geht dabei um das alte Problem aller Hermeneutik, wie sich das Individuelle und das Allgemeine, das Konkrete und das Universale zueinander verhalten. Der Kritik und dem hohen moralischen Anspruch einer Hermeneutik des Verdachts haben sich dabei auch die verschiedenen kontextuellen Theologien selbst zu stellen. Sie weisen leider keineswegs nur evangeliumsgemäße Wege der Befreiung, sondern zeigen streckenweise auch „ein schon apokalyptisch anmutendes Bild heilloser Zerfledderung und Auflösung in religiös verbrämte Interessen-und Identitätsreflexionen“ (225: 1106).

Daß mit der Kontextualisierung der Theologie keineswegs die Preisgabe des christlichen Universalitätsanspruchs gegeben sein muß, zeigt das Beispiel der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Sie erhebt vielmehr den Anspruch, in einem begrenzten sozioökonomischen und soziokulturellen Kontext Einsichten gewonnen zu haben, die für die gesamte Christenheit relevant sind. Partikular sei lediglich, wie Leonardo Boff erklärt, die jeweilige theologische Sprache, nicht jedoch die universale Wahrheit Gottes (64: 132). Gleichwohl erhebt die Theologie der Befreiung den Anspruch, eine Theologie für die ganze Kirche zu sein. Sie will ausdrücklich „keine Reflexion nur für eine bestimmte Region sein: für einen geographischen Ausschnitt der Kirche oder für ein eingegrenztes inhaltliches Thema des Glaubens. Sie betrifft die ganze Kirche“ (65: 130). Wenngleich kontextuell gebunden, sieht doch die Theologie der Befreiung ihren „Endzweck“ darin, daß „alle Theologien, je auf ihre Weise, Befreiungstheologien“ werden müssen; „andernfalls werden sie überhaupt keine christliche Theologie mehr sein“ (66: 111). Hieraus leitet sich das universale Sendungsbewußtsein lateinamerikanischer Befreiungstheologen ab: „Ex peripheria lux et salus Ecclesiae“ (66: 130).

Das Beispiel der Befreiungstheologie läßt freilich auch die Gefahr erkennen, den universalen Wahrheitsanspruch christlicher Theologie im Zeichen ihrer Kontextualisierung gegen den Absolutheitsanspruch partikularer theologischer Einsichten und Anliegen einzutauschen. Selbstkritisch räumen Leonardo und Clodovis Boff ein, daß in der „Verabsolutierung der Theologie der Befreiung, durch die die Gestalt anderer Theologien mindergeachtet wird, sowie Überbetonung der sozio-ökonomischen Gestalt der Armen im Sinne des Evangeliums“ für die lateinamerikanische Befreiungstheologie durchaus eine Versuchung besteht (66: 80). Die Gefahr der Verabsolutierung partikularer Erfahrungen der aus ihnen gewonnenen theologischen Einsichten bedroht letztlich jede Form von kontextueller Theologie.

Das Wahrheitsproblem in der Theologie

Um so mehr ist es erforderlich, das Wahrheitsproblem im theologischen und hermeneutischen Diskurs, gerade auch im Gespräch zwischen unterschiedlichen Kontexttheologien, wachzuhalten und neu zu durchdenken. Daß die von der Botschaft des Glaubens bezeugte und von der Theologie zu erfragende Wahrheit jeden endlichen sprachlichen Ausdruck übersteigt, darf nicht mit theologischer Sprachlosigkeit und dem Ende theologischer Kommunikationsmöglichkeiten verwechselt werden. An die Stelle des prinzipiell für jeden Menschen offenen und herrschaftsfreien „hermeneutischen Dialogs“ (502) träte dann eine „Hermeneutik“ des Rechthabens.

Eine fragwürdige Antwort auf die Herausforderungen des Pluralismus liegt im Fundamentalismus. Evangelikale und charismatische Kirchen und Theologien sind weltweit auf dem Vormarsch. Mag der Fundamentalismus auch in der volkskirchlichen Situation, von welcher z. B. die deutschen evangelischen Landeskirchen noch immer ausgehen, keine befriedigende Lösung darstellen, so besteht gleichwohl die Notwendigkeit einer „Wiedergewinnung des Positionellen“ (85), d. h. einer Form von Verbindlichkeit, welche den Pluralismus nicht dementiert oder bekämpft, sehr wohl aber zu seiner Kritik fähig ist und zum kritischen Umgang mit ihm befähigt.

In der Wiedergewinnung von Verbindlichkeit liegt die große Herausforderung angesichts des „Abschieds vom Prinzipiellen“ (42), der zur Signatur des modernen Pluralismus gehört. Sofern das prinzipielle Denken mit irgendeiner metaphysischen oder nachmetaphysischen Abschluß- oder Supertheorie verwechselt wird, muß sich auch die Theologie von ihm lösen. Sofern aber der Anfang gemeint ist, mit dem alle Theologie immer wieder anzufangen hat (59: 130), fragmentarisch und vielstimmig, darf sich Theologie von ihm keinesfalls verabschieden, es sei denn um den Preis ihrer Selbstauflösung.

Einführung in die theologische Hermeneutik

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