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c) Hermeneutik des Unverständnisses und Sünde im Verstehen

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Einverständnis und Unverständnis

Der Begriff des Verstehens bedarf im theologischen Kontext einer Differenzierung: Es gibt einerseits die gläubige Annahme der Glaubensbotschaft, andererseits die „Sünde im Verstehen“ (269: 83ff.; vgl. 111: 35,37). Sofern das Verstehen des Glaubens, sein Erkennen, ein Erkanntwerden und Anerkennen Gottes wie seines Urteils über das Selbst des Menschen ist, meint Verstehen als neues Selbstverständnis das Einverständnis mit der Botschaft des Glaubens. Dieses Einverständnis kann aber nicht, wie Peter Stuhlmacher unterstellt (268: 205ff.), zur Voraussetzung des Verstehens der Glaubensbotschaft oder ihrer literarischen Gestalt, der Bibel, gemacht werden. Zunächst herrscht überhaupt kein angemessenes Vorverständnis, sondern ein Unverständnis, das nicht etwa nur aus der historischen Abständigkeit der ältesten christlichen Quellen, sondern aus dem sachlichen Widerspruch des Menschen gegen den Inhalt ihrer Verkündigung resultiert (300: 44ff.). Theologische Hermeneutik hat nicht nur unter den Bedingungen unserer Gegenwart und ihrer Gottesvergessenheit, sondern grundsätzlich davon auszugehen, daß das Lebensverhältnis des Menschen zum biblischen Evangelium grundlegend gestört ist (112: 298f.).

Glaube und Skepsis

In diesem Punkt gibt es einen Zusammenhang zwischen theologischer Hermeneutik und Sündenlehre, die auch als Hamartiologie bezeichnet wird (hamartίa [griech.] = Sünde). Eine hamartiologisch begründete Hermeneutik des Unverständnisses ist nicht mit jener Theorie des Unverständnisses zu verwechseln, die Odo Maquard als Interpretationstheorie der Code-Knacker kritisiert hat (41: 134ff.). Unterscheidet man mit Luther zwischen der äußeren und der inneren Klarheit der Schrift, so liegt das Unverständnis des Unglaubens auf der Ebene der inneren Klarheit (claritas interna). Die Botschaft des Glaubens provoziert Verstehen ebenso wie Unverständnis. Auch deshalb ist zwischen einem äußerlichen Verstehen im Sinne einer sachgerechten Interpretation der Glaubensbotschaft und einem innerlichen Verstehen im Sinne der Applikation oder Aneignung zu unterscheiden.

In diesem Zusammenhang ist auf die bereits eingangs aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Skepsis einzugehen. Marquard erklärt ja, das Wesen der Hermeneutik sei Skepsis (41: 117). Weil aber der christliche Glaube – jedenfalls nach reformatorischem Verständnis – Gewißheit ist, kann es offenbar kein neutrales Verhältnis zwischen philosophischer und theologischer Hermeneutik geben. Hieraus erklärt sich auch die Schärfe der Kontroverse, die in der Theologie des 20. Jahrhundert darüber geführt wurde, ob alle Theologie immer schon hermeneutisch ist, d. h. auf der Grundlage einer allgemeinen Hermeneutik zu entfalten ist, oder ob christliche Hermeneutik von vornherein eine dezidiert theologische Ausrichtung haben muß, so daß sich theologische Hermeneutik zu sonstiger Hermeneutik kritisch verhält.

Greift man den Gedanken auf, daß die theologische Interpretationspraxis in der Interpretation von Interpretationen von Interpretationen im Lichte des Evangeliums besteht, dann ist diese Interpretationspraxis auch auf die Hermeneutik selbst anzuwenden. Das heißt, daß die moderne Hermeneutik in ihrem Eigensinn durch die Konfrontation mit dem Evangelium in eine neue Perspektive einrückt. Die vorgängige hermeneutische Erfahrung erfährt eine Veränderung und Neuorientierung. Es gehört zur hermeneutischen Erfahrung des Glaubens mit der hermeneutischen Erfahrung, daß die hermeneutische Weisheit der Welt vor Gott zur Torheit wird (vgl. I Kor 1,18 ff.).

Auch das Problem der Skepsis rückt damit in ein neues Licht. Vordergründig scheinen sich Glaube und Skepsis auszuschließen, wenn man nur an die Kontroverse zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam über den unfreien Willen denkt. Nun gehört aber zum Glauben nach Luther die Erfahrung der Anfechtung. Der Konflikt zwischen Gewißheit und Zweifel gehört zur Signatur des Glaubens in der noch unerlösten Welt. Es gibt nun eine „Skepsis des Glaubens, die kraft des unbedingten und bedingungslosen Lebens, das Gott zusagt, eine glückliche Skepsis ist“ (62: 140). Sie verhält sich kritisch gegenüber den metaphysischen Absolutheitsprädikaten des Einen, Guten, Wahren und Schönen, auch gegenüber ihren geschichtsphilosophischen und ethischen Transformationen in der Moderne. Insofern besteht zwischen der Skepsis der modernen Hermeneutik, von der Odo Marquard spricht, und der Skepsis des Glaubens eine innere Verwandtschaft. Darin besteht auch das Wahrheitsmoment der These Vattimos, die moderne Hermeneutik sei „die konsequent entwickelte und zu ihrer Reife gebrachte christliche Botschaft“ (113: 22). Zwischen moderner Hermeneutik und theologischer Hermeneutik steht aber die christliche Lehre von der Sünde, die eben auch Sünde im Verstehen ist. Diese Lehre ist für die theologische Hermeneutik unaufgebbar, weil erst durch sie die hermeneutische Skepsis zum wahren Verständnis ihrer selbst gelangt.

Einführung in die theologische Hermeneutik

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