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Das Barbaren-Trauma
ОглавлениеNun konnten die Bürger des Römischen Reichs wieder aufatmen. Die wenigen überlebenden Kimbern zogen vermutlich wieder nach Norden zurück. Viele ihrer versklavten Krieger beziehungsweise ihre Nachkommen sollten sich 30 Jahre später als Gladiatoren, gemeinsam mit teutonischen Leidgenossen, dem rebellierenden Sklavenzug des berühmten „Spartacus“ anschließen, der einer Gladiatorenschule bei Capua entflohen war und einen gefährlichenAufstand anzettelte. Die Zirkus-Kämpfer zogen plündernd durch Italien, bevor sie von den Römern geschlagen und ans Kreuz genagelt werden konnten. Damit hatten die letzten Kimbern und Teutonen in Italien aufgehört zu existierten.
Die Römer nannten nicht nur die Germanen Barbaren, sondern alle Bewohner jenseits der Reichsgrenzen. Ohne Wertung bezeichnete „Barbar“ zunächst den Fremden, der eine unverständliche Sprache redete. In dieser Bedeutung hatten die Römer diesen Begriff von den Griechen übernommen. Griechisches und römisches Selbstbewusstsein sah im Barbaren aber auch stets den Angehörigen einer primitiven Kultur, der all die Eigenschaften vermissen ließ, die üblicherweise zivilisierten Völkern zugeschrieben wurden. War der Fremde zugleich der Feind, so erhielt das abschätzige Barbarenbild eine unmittelbar politische Bedeutung.
Marius hatte die Invasion der Nordbarbaren zwar erfolgreich abgewehrt, doch damit war die Angelegenheit noch längst nicht erledigt. In den Köpfen der Römer hatten die germanischen Wanderzüge ihre Spuren hinterlassen und lebten als latente Bedrohung fort. Ein ehrgeiziger Feldherr musste nur an das Barbaren-Trauma erinnern, und schon durfte er zum Schutz Roms alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
Solch ein ehrgeiziger Feldherr, der das Barbaren-Trauma für seine Zwecke auszunützen verstand, war Gaius Julius Cäsar. Sein Operationsgebiet war Gallien. Cäsar hatte sich vorgenommen, die Grenzen des Römischen Reichs vom Mittelmeer bis zum Rhein zu erweitern – und darum musste Gallien erobert werden. Die Germanen, ob sie nun wollten oder nicht, sollten dabei in Cäsars Plänen eine zentrale Rolle spielen.
30 Jahre nach der Vernichtung der Kimbern und Teutonen überquerte eine weitere Schar von Barbaren den Rhein und versuchte, sich in Gallien niederzulassen. Dieses Heer setzte sich aus vielen Völkern zusammen und zählte ungefähr 15.000 Mann. Die Sueben stellten in diesem Haufen die Überzahl, hinzu kamen Markomannen und skandinavische Haruden. Angeführt wurden sie vom Kriegerhäuptling Ariovist, einem anerkannten Militärstrategen und einem der schillerndsten Führer der germanischen Geschichte. Sogar der sonst so hochmütige römische Senat erkannte sein Königtum an und nannte ihn „Rex Germanorum“, den ersten historisch verbürgten König der Germanen.
Ariovist war eigentlich auf einen gallischen Hilferuf hin gekommen: Die keltischen Sequaner baten darum, sie gegen ihre Nachbarn, die Häduer, zu unterstützen. Die gallischen Stämme jener Zeit lagen in ständigem Streit miteinander. Ariovist fackelte nicht lange, schlug 62 v. Chr. die Häduer und erhielt zur Belohnung von den Sequanern ein Drittel ihres Gebietes südwestlich vom Rheinknie bei Basel. Dort ließ er sich mit seinen Mannen nieder und baute sein Einflussgebiet in der Folge immer weiter aus.
Natürlich erfuhren auch andere rechtsrheinische Germanenstämme von dieser Erfolgsstory. Das weckte Begehrlichkeiten, denn durch den Bevölkerungsdruck wurde inzwischen gutes Ackerland rar. In Scharen schlossen sie sich Ariovist an. Sein Heer soll schließlich auf 120.000 Man angewachsen sein. Schon kurz nach der erfolgreichen Schlacht in Gallien herrschte der erste Germanenkönig über das gesamte heutige Elsass. Dieser germanische Emporkömmling entwickelte sich zu einer ernsten Gefahr Roms.
Cäsar witterte hier seine Chance. Endlich konnte er den Römern seine militärischen Fähigkeiten beweisen. Damals war er 42 Jahre alt. Seine Argumentation ging so: Entweder müsse man Gallien erobern oder aber Gallien würde germanisch werden. Und wenn Gallien erst einmal germanisch wäre, dann sei das Römische Reich erneut in Gefahr.
Damit weckte Cäsar bei seinen Landsleuten das tief verankerte Kimberntrauma. So konnte er sie überzeugen, dass er einen gerechten Krieg, einen „bellum iustum“, führen wollte. Cäsar jedenfalls erhielt das gewünschte Kommando. Unverzüglich begann er 58 v. Chr. mit der Eroberung Galliens. Dabei war es unvermeidlich, dass es zu Kämpfen mit dem Germanenfürsten Ariovist kommen musste.