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Hinterlist der Römer
ОглавлениеAm Anfang des langen römisch-germanischen Ringens standen also List und Heimtücke sowie eine Selbstüberschätzung eines bis dahin meist siegreichen Großreichs. Das war nicht unbedingt der beste Einstieg für eine vertrauensvolle Zukunft. Die Römer wurden zwar heftig inAngst und Schrecken versetzt, doch das Schicksal meinte es noch einmal gut mit ihnen. Die Kimbern und Teutonen setzten ihren Marsch nicht weiter nach Süden fort, sondern zogen in den Nordwesten, zu den keltischen Helvetiern in der heutigen Schweiz. Einige wenige ließen sich an Neckar und Main nieder.
Der Großteil der vereinigten Kimbern und Teutonen jedoch wanderte weiter nach Gallien, einer Odyssee entgegen, die sie etwa nach 15 Jahren über Spanien zurück nach Gallien und Italien führen sollte. Es muss eine riesiger Marschkolonne gewesen sein: Die besten Krieger an der Spitze und in der Nachhut, Mütter und Kinder in der Zugmitte in Ochsenkarren, die Reiter an den Flanken mit dem Vieh, und ganz vorne die alten Frauen, die den richtigen Weg aus dem Blut von Gefangenen weissagten.
Zeitgenössische Chronisten schilderten das dazu gehörige Prozedere ganz genau: „Unter ihren Frauen, die an dem Heereszug teilnahmen, waren auch weissagende Priesterinnen mit ergrautem Haar, in weißen Gewändern, leinenen, mit Fibeln zusammen gehaltenen Mänteln, mit Bronzegürtel, barfüßig. Diese gingen im Heerlager mit gezückten Schwertern auf die Gefangenen zu, bekränzten sie und führten sie zu einem Bronzekessel, der etwa 20 Amphoren fasste. Dort stand auch eine Leiter, die eine der Priesterinnen bestieg, um dann oberhalb des Gefäßes einem nach dem anderen der empor Gereichten die Kehle durchzuschneiden. Mit dem in den Kessel fließenden Blut praktizierten sie eine Art Weissagung. Anderen schlitzten sie den Leib auf und prophezeiten aus den Eingeweiden, wobei sie ihren Leuten laut den bevorstehenden Sieg verkündeten. Während des Kampfes trommelten sie auf die Felle, die über die Wagenkörbe gespannt waren, so dass ein ungeheurer Laut entstand.“
Völkerwanderung zu jener Zeit bedeutete, mühsam, Tag für Tag, Monat für Monat, bei jedem Wetter den Weg zu suchen. Je weiter die Kimbern und Teutonen nach Süden vorrückten, desto erträglicher wurde es. Wenn möglich, folgten sie den Flüssen, denn sie gaben ihnen Richtung und Ziel. Die Flüsse konnten aber zugleich unüberwindbare Hindernisse darstellen. Es sei denn, die Führer fanden eine Furt für die Durchquerung. Das konnte allerdings Tage dauern.
109 v. Chr. trafen die Kimbern und Teutonen an der Rhône auf das Heerlager des römischen Konsuls Marcus Junius Silanus und baten um die Vergabe von Siedlungsgebieten, denn sie wollten keinen Krieg führen. Für das ihnen zugewiesene Land wollten sie als römische Bundesgenossen bezahlen. Damit wiederholten sie die gleich lautende Bitte, die ihre Gesandten vorher in Rom vorgetragen hatten. Diese hatten wegen ihrer äußeren Erscheinung allerdings nur Erstaunen und Spott ausgelöst. Ihr Gesuch nach Land wurde vom römischen Senat kategorisch abgelehnt.
Kurz nachdem die Gesandten zu ihrem Volk zurückgekehrt waren, wurden die Barbaren von Silanus angegriffen. Aber auch diese zweite Schlacht konnten die Römer nicht gewinnen, sie geriet erneut zum Debakel. Diesmal fielen vier Legionen auf dem Schlachtfeld, etwa römische 24.000 Soldaten. Und wieder geschah das Unbegreifliche: Statt sich nach Rom zu wenden und Rache zu nehmen, setzten die Kimbern und Teutonen ihren Wanderzug durch Gallien fort. Die weisen Frauen hatten es so entschieden.
105 v. Chr. stieß die kimbrisch-teutonische Hauptmacht auf drei starke römische Kräfte, die an der Rhône standen. Wieder das alte Spiel. Sowohl die Legionen des ehemaligen Konsuls Scaurus als auch die des Konsuls Mallius Maximus und des Prokonsuls Servilius Caepio wurden bei Arausio – dem heutigen Orange – besiegt. Diese Schlacht war mit schätzungsweise über 80.000 gefallenen Soldaten eine der größten Niederlagen in der langen römischen Geschichte.