Читать книгу Am Ende Der Dämmerung - Ulrich Paul Wenzel - Страница 12
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ОглавлениеSamstag, 11. Dezember 1943
Paris, 1. Arrondissement,
Rue de Rivoli
Am Nachmittag
»Bleiben Sie noch eine Sekunde sitzen, Brandhuber«, befahl SS-Standartenführer Karl-Heinrich Schrader, nachdem der Fahrer den schwarzen Citroen am Straßenrand angehalten hatte und Brandhuber gerade wie gewohnt herausspringen wollte, um seinem Chef geflissentlich die Fondtür aufzureißen. Stattdessen verharrte der bullige Hauptsturmführer in seiner Bewegung, drehte sich zu seinem Vorgesetzten um und sah ihn fragend an.
»Schauen Sie einmal aus dem Fenster, Brandhuber.«
Brandhuber starrte durch die verdunkelte Seitenscheibe auf die Straße. »Sie kennen den Herrn dort in der Wehrmachtsuniform doch auch, oder?«, fragte Schrader.
»Den mit der Französin im Arm?«
Brandhuber überlegte kurz, dann schien er sich zu erinnern.
»Natürlich, das ist doch dieser Oberst von der Abwehr, der einige Zeit lang ständig bei uns aufkreuzte und uns auf die Nerven ging. War mit seiner Geliebten wahrscheinlich auch in der Ausstellung. Warum fragen Sie, Herr Standartenführer?«
»Der Bursche interessiert mich«, murmelte Schrader, ohne den Blick von dem zwangslos miteinander plaudernden Paar auf der Straße abzuwenden. »Seit wir der Canaris-Truppe den Hahn zugedreht haben, spielen die ihr eigenes Spiel und ich habe schon seit geraumer Zeit den Verdacht, dass die jetzt gegen uns arbeiten. Und der dort auch!«
»Der? Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Brandhuber.
»Ich frage mich einfach, warum der sich plötzlich nicht mehr bei uns blicken lässt.«
»Sie haben ihn wahrscheinlich abgezogen, aber wir können ihn doch mal fragen.« Brandhuber machte Anstalten, den Wagen zu verlassen.
»Bleiben Sie wo sie sind, Brandhuber«, befahl Schrader, »der wird Ihnen sonst was erzählen. Denken Sie lieber mal über den Namen dieses Herrn nach.«
»Ich bin schon dabei, Herr Standartenführer. Auf jeden Fall hat der sich eine hübsche Französin geangelt. Die würde ich auch nicht von der Bettkante schieben.«
Ein mitleidiges Lächeln huschte über das feingeschnittene Gesicht des SS-Standartenführers. Diese Frau ist doch gar nicht deine Kragenweite, lieber Brandhuber, dachte er süffisant. Die ist mindestens zwei Nummern zu groß für dich.
»Ich habe seinen Namen des Herrn«, triumphierte Brandhuber plötzlich und drehte sich mit funkelnden Augen zu seinem Chef um. »Das ist Oberst Stading!«
»Richtig, Brandhuber«, murmelte Schrader anerkennend, »Oberst Stading. Wenn ich Sie nicht hätte. Hören Sie, ich werde am Montag etwas später im Büro sein. Bis um zwölf Uhr will ich alle Informationen über diesen Mann auf dem Schreibtisch haben. Wirklich alles, was aufzutreiben ist. Derzeitige Anstellung, Aufgaben, Kontakte, na ja, Sie wissen schon. Alles! Wohnt der noch im Hotel? Egal, Sie werden es rausfinden. Und Brandhuber«, Schrader machte eine rhetorische Pause, »ich möchte auch alles über diese Frau wissen, verstanden?«
»Aber selbstverständlich, Herr Standartenführer«, entgegnete der Hauptsturmführer mit einem Lächeln. »Sie haben auf jeden Fall Geschmack.«
Paris, 20. Arrondissement,
Avenue Gambetta
Am frühen Abend
Florence schaute von den Dokumenten auf, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Ihr Blick wanderte zu Chantal, die neben ihr saß und, die Ellenbogen auf ihre Oberschenkel gestützt, eine Tasse Tee mit beiden Händen hielt.
»Ich bin sprachlos«, begann Florence und schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Diese Dokumente sind unglaublich, das kann selbst ich schon nach einem flüchtigen Blick beurteilen. Und das sind nur ein paar Auszüge. Ich will nicht zu viel sagen, aber sie könnten tatsächlich von enormer Bedeutung sein, zumindest hier an der Westfront. Dieser Mann scheint Zugang zu vielen wichtigen Informationen zu haben, die die Alliierten benötigen. Wen hast du da bloß aufgegabelt, Schätzchen?«
Florence strich schmunzelnd mit dem Zeigefinger über Chantals Wange. »Eine Sache will mir trotzdem nicht aus dem Kopf gehen«, fuhr Florence fort. »Du glaubst es ja nicht, aber was ist, wenn er doch ein Agent der deutschen Abwehr ist? Wenn das alles Spielmaterial ist? Es hört sich fast zu schön an.«
»Ich gebe es ja zu, Florence, ohne Kenntnisse von dem Material zu haben, mir will das auch nicht ganz aus dem Kopf gehen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich darüber denken soll.«
»Dieses Material macht mir fast schon ein wenig Angst, weißt du. Es ist fast zu gut um wahr zu sein. Was ist, wenn er uns damit locken oder dich umdrehen will? Hast du wirklich nichts bemerkt, was darauf hinweisen könnte?«
»Nein Florence, er hat überhaupt keine Fragen gestellt. Wir haben nur ganz allgemein geplaudert. Mein Eindruck von heute Morgen hat sich nicht verändert, eher verfestigt.«
»Ist das, was er über sich erzählt hat, schlüssig? Gib es irgendwelche Widersprüche? Denk noch einmal nach, Chantal.«
Chantal lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Florence musterte sie. »Nein Florence, ich kann nichts sagen.«
»Gut. Lass dir aber bitte alles noch einmal ganz in Ruhe durch den Kopf gehen. Solltest du auch nur auf die kleinste Ungereimtheit in seinem Verhalten stoßen, musst du es mir sofort sagen. Hat er ein Interesse an dir als Frau?«
Chantal zuckte mit den Schultern. »Das glaube ich nicht, obwohl ich...nein, ich weiß es wirklich nicht.«
Florence erhob sich und ging zum Fenster. Sie zog den Vorhang ein Stück beiseite. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Schneeflocken wirbelten im Schein der Laterne zu Boden, wo sich ein weißer Teppich über die Straße ausgebreitet hatte.
»Ich werde jetzt mit diesen Dokumenten zu Maurice fahren«, sagte Florence, den Blick weiterhin auf die totenstille Straße gerichtet. »Morgen Vormittag, vielleicht schon heute Nacht werden wir das OK für die nächsten Schritte bekommen, da bin ich mir sicher.«
Sie drehte sich wieder Chantal zu, die weiterhin auf der Couch saß. »Wann ist dein nächstes Treffen mit dem Deutschen?«
»Morgen Nachmittag um drei. Er hat mir ein Cafè in der Nähe vom Place De La Concorde aufgeschrieben. Ist wohl nicht weit von seinem Hotel entfernt. Willst du die genaue Adresse wissen?«
»Nein. Ich denke allerdings gerade ein bisschen weiter. Beispielsweise an die Papiere, die wir für ihn anfertigen müssten, falls er tatsächlich evakuiert werden soll. Dafür benötigen wir Bilder von ihm. Das würde bedeuten, ihr müsstet euch morgen zweimal treffen und falls er keine verwendbaren Bilder vorrätig hat, wovon erst einmal auszugehen ist, müssten die noch morgen Abend angefertigt werden. Du siehst, was alles auf uns zukommt, falls es tatsächlich losgehen sollte.«
»Und wo soll das passieren? Das Schießen der Fotos zum Beispiel?«
»In einer der konspirativen Wohnungen. Welche wir nehmen, wird natürlich sehr kurzfristig entschieden. Dort wird dann auch alles genau vorbereitet.« Florence kam wieder zum Tisch zurück, blieb vor Chantal stehen, beugte sich zu ihr hinunter und umfasste ihre beiden Oberarme.
»Du solltest heute hier übernachten, Schätzchen. Falls es dir nichts ausmacht.«
»Nein, natürlich nicht, Florence. Im Gegenteil.«
»Wenn ich zurück bin, kochen wir uns etwas zu essen ja? Ich habe noch ein paar Vorräte in der Speisekammer. Wird allerdings zwei Stunden dauern.« Florence strich Chantal mit der Hand über das Haar. Dann nahm sie die Dokumente, verstaute sie in einer Ledertasche und verließ das Wohnzimmer. Im Flur zog sie die Stiefel und den Wintermantel an.
»Du kannst schon ein paar Kartoffeln schälen. Sie sind auch in der Speisekammer.«