Читать книгу Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk - Ulrike A. Kaunzner - Страница 10

2.1.2 Radiohörgewohnheiten im Spiegel der Zeit

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Die Popularität des elektronischen Massenmediums Radio wuchs sprungartig an, was an einer Reihe an Faktoren festzumachen ist: zum einen an technischen Entwicklungen, zum anderen an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, welche alle die HörgewohnheitenHörgewohnheiten beeinflussten.

Am Beispiel des Rundfunks kann in historischer Perspektive gezeigt werden, wie sich das Hören vom angestrengten Lauschen mit Kopfhörern vor den Detektorgeräten zum feierlichen, gemeinschaftlichen Zuhören von Konzerten im Familienkreis, bis zum Nebenbei-Hören bei anderen Tätigkeiten zu Hause, als nahezu ubiquitäre Berieselung und seit den Transistorgeräten und dem ‚walk-man‘ zum individuellen Überall-Hören wandelte. (Marßolek & Saldern, 1999, S. 13–14)

Nach dem Zweiten WeltkriegWeltkrieg, Zweiter änderte sich also die Situation rund um den Rundfunk und die Sendeanstalten drastisch, was neue Hörgewohnheiten von Seiten der Bevölkerung nach sich zog und nicht zuletzt eine Veränderung im Standard des MediensprechensMedien-sprechen und des SprechgestusSprechgestus von Seiten der Mediensprecher bewirkte (Kap. 3). Die Umstellung auf den UKW-Rundfunk in Deutschland war ein Produkt langwieriger politisch und technisch motivierter Wellenkonferenzen nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.1 Rundfunksender, die ihre Programme vorher ausschließlich über Amplitudenmodulation (AM) ausgestrahlt hatten, stiegen in den Jahren nach dem Krieg nach und nach auf UKWUKW um, und die Entwickler der Radiogeräte zogen nach, in dem die Geräte für den UKW-Empfang ausgestattet wurden.

Die Menschen in der Zeit des Wirtschaftswunders konnten sich nun UKW-Empfangsgeräte leisten, zunächst in Form einer Nachrüstung mit UKW-Zusatzgeräten2, die man in die herkömmlichen Radioapparate einbauen konnte. Die Hördauer stieg infolgedessen auf 2–3 Stunden am Tag (Krug, 2010, S. 22) und erlangte eine solche Popularität, dass laut Seegers (1999, S. 167) über die Hälfte der Rundfunkteilnehmer im Jahre 1955 ein solches Gerät besaßen.

Einschneidend für die HörgewohnheitenHörgewohnheiten der Menschen war schließlich vor allem die Entwicklung des TransistorradiosTransistor-radio, eines Empfangsgeräts, das mit Transistoren, kleinen Halbleiterelementen, ausgestattet war. Es löste das herkömmliche Röhrenradio mit seinen schweren Elektronenröhren ab. Die Umstellung in Westdeutschland erfolgte nach Fickers (1998) in zwei großen Wellen, die man grob so skizzieren kann, dass in einer ersten Welle (1950–1955) die Röhrenradios zusätzlich mit Transistoren ausgestattet wurden, in einer zweiten Welle (1960–1965) die Röhren in den Empfängern durch Transistoren ersetzt wurden.

Transistorradios waren tragbare Kofferradios, die das Radiohören vor allem flexibler machten. Mitte der 1950er Jahre waren die ersten Modelle als Mittelwellenempfänger schon im Handel erhältlich, aber erst nach der Weiterentwicklung zum UKW-Empfänger war der enorme Markterfolg des neuen Geräts unbestritten. Die Folge war eine Revolution der HörgewohnheitenHörgewohnheiten in den 1960er Jahren. Man konnte nun fast überall Radio hören und das eigene Koffer- oder Taschenradio mitnehmen, denn es war nicht mehr wie ein Möbelstück einem Zimmer in der Wohnung zugewiesen. Jetzt wurden auch die ersten Autoradios mit Transistoren vertrieben, was in den früheren Jahrzehnten abgesehen von der unhandlichen Größe der ersten Geräte unerschwinglich war. Auch diese neue Hörsituation während des Autofahrens erweiterte das Programm-AngebotProgramm-Angebot der Rundfunksender.

Die späten 1950er und die Jahre danach waren von Seiten der Konsumenten folglich dadurch gekennzeichnet, dass sich die Hörer nicht mehr wie vorher zum Radioapparat begeben mussten, jetzt war er zu ihrem „Begleiter“ geworden, der sie gezielt und überall ihre Lieblingssendungen anhören ließ. Für die Radiosender bedeutete das, dass sie mehr Abwechslung bieten mussten, zumal das FernsehenFernsehen, der große Konkurrent des Radios, ab den 1960er Jahren die Wohnzimmer zu erobern begann und die Gewohnheiten des Medienkonsums erneut veränderte. Laut Krug (2010, S. 23) sank daher die abendliche Einschaltquote der Mittelwellensender von 50 % zu Beginn der 1950er Jahre auf unter 20 % zehn Jahre später.

Neue Sender, das sogenannte PopRadioPop- und ServiceradioRadioService, modifizierten ab den 1970er Jahren als Antwort auf die räumliche Unabhängigkeit der Radiohörer durch ihre diversifizierten Angebote und Begleitprogramme wiederum die Hörgewohnheiten. Sie richteten sich jetzt an den Individualhörer mit eigenem Gerät, nicht mehr nur an häusliche Hörer, die ihr Radio bewusst einschalteten.

Ab den 1980er Jahren schließlich revolutionierte der PrivatfunkPrivatfunk die Senderlandschaft nochmals, jetzt machte sich das duale SystemDuales System auch im Hörfunk breit und ließ die regionalen Sender erstarken. Eine Sender- und Programmfülle war und ist die Folge, die Öffentlich-RechtlichenSenderöffentlich-rechtliche sahen und sehen sich heute vor der Herausforderung, sich zum einen abzugrenzen und zum anderen ihre Attraktivität zu erhöhen, was einen starken Konkurrenzkampf gegenüber den privaten Sendern hervorruft.

Trotz der räumlichen Mobilität beim Radiohören, die sich in den skizzierten Jahrzehnten immer mehr durchsetzte, lag der nächste Schritt noch in der Zukunft: die zeitliche Flexibilität. Es wurde also bis in die 1980er Jahre zu bestimmten Zeiten gehört, da es noch kein Programm „on demand“ gab; das sollte erst mit der nun aufkommenden DigitalisierungDigitalisierung möglich werden.

Auf die beschriebenen Veränderungen der HörgewohnheitenHörgewohnheiten seit Mitte des 20. Jahrhunderts reagierten die Sendeverantwortlichen und Werbetreibenden, indem sie ihre Sendezeiten im Laufe der Jahrzehnte der Technik und den Hörgewohnheiten anpassten: In den 1950er Jahren waren Werbesendungen zu festen Terminen in bis zu 20 Minuten langen Blöcken gruppiert, in den 1960er Jahren wurden die Blöcke immer kürzer und schließlich immer mehr auf den Tag verteilt (siehe Kap. 2.3.3).

Die Hörgewohnheiten haben sich folglich in wenigen Jahrzehnten umgekehrt: Früher passten sich die Hörer dem Rundfunk an, heute ist es der Hörfunk, der sich nach den Hörgewohnheiten richtet und längere Werbepassagen zu vermeiden versucht, um die Gefahr des Ab- oder Umschaltens zu minimieren.

Das aktive Publikum rückte in den Vordergrund der Betrachtung. Die Nutzerinnen und Nutzer wurden nicht mehr ausschließlich als Objekte kommunikativer Bemühungen, sondern als intentional nach ihren Bedürfnissen handelnde Subjekte verstanden, die sich Kommunikationsinhalten absichtsvoll zuwenden – oder, wie gelegentlich im Fall von Werbung, auch bewusst davon abwenden. (Naab & Schlütz, 2016, S. 224)3

Werfen wir als Vergleich zu den skizzierten Jahrzehnten einen Blick auf die aktuelle Situation der Hörfunk-Konsumenten: Die junge Generation heute hat wieder andere RadiohörgewohnheitenHörgewohnheitenRadio. Das InternetInternet hat das Radio – zumindest für die um die Jahrtausendwende Geborenen – bereits überholt. Ständige Präsenz internationaler Radioprogramme, Livestreaming, Podcasting und Hören auf Abruf prägen heute die Hörgewohnheiten der Menschen. Kleinsteuber (2011, S. 15) spricht von einem „Ausfransen des ehemals so eindeutig definiert scheinenden Phänomens Radio“, wenn man die heutigen digitalen Formen wie Cyberradio, Radio via Handy, Radio-Podcasts oder Pay-Radio betrachtet.

Ein paar Daten und Fakten der Online-Ausgabe Media Perspektiven 3/2020 sollen das Radiohören heute beschreiben:

Mediatheken werden von mehr als einem Drittel mindestens einmal pro Monat genutzt. Mit Abstand am beliebtesten sind die Angebote von ARD und ZDF mit 25, bzw. 26 Prozent, dabei weisen die 30- bis 49-Jährigen die stärkste Nutzung auf. Video-on-Demand-Angebote hingegen werden am stärksten von 14- bis 29-Jährigen genutzt. Auch bei der Audionutzung im Internet zeigt sich, dass Jüngere stärker auf Streamingangebote setzen, Ältere eher auf das Livehören von Radio über das Internet. Podcasts werden konstant von jedem Fünften mindestens monatlich genutzt […]

Im Bereich Social MediaSocial Media sind nach wie vor WhatsApp, Facebook und Instagram am relevantesten. Drei Viertel der Bevölkerung (76 Prozent) kommunizieren täglich über WhatsApp, 21 Prozent nutzen Facebook und 13 Prozent Instagram. Dabei weist Instagram unter allen Social-Media-Angeboten die höchste Nutzungssteigerung auf und wird vor allem von unter 30-Jährigen genutzt. Snapchat, Twitch, Xing, LinkedIn und Twitter folgen mit großem Abstand. TikTok erreicht täglich 5 Prozent der 14- bis 29-Jährigen. (ARD-Werbung SALES & SERVICES, 2020)

In einer Standortbestimmung anhand einer Studienreihe zu Trends in der MassenkommunikationMassenkommunikation zeichnen Mai, Meinzer und Schröter (2019) ein detailliertes Bild der heutigen Audio- und Radionutzung. Interessant in dieser Diskussion in „Zeiten des digitalen MedienwandelsMedien-wandel und der immer stärker konvergierenden Medienwelten“ ist, dass das Radio nach wie vor den ersten Platz in der Audiowelt einnimmt, obwohl digitale Plattformen ihre Audioangebote und -formate ständig erweitern und Tonträger durch Streaming immer mehr ersetzt werden. Dennoch heißt es: „On-Demand-Angebote und Sprachassistenten verfügen über Entwicklungspotenzial“ (Mai et al., 2019, S. 406).

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