Читать книгу Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk - Ulrike A. Kaunzner - Страница 20

3.2.2 Stimm- und Sprechmoden

Оглавление

Die Stimmqualität (vor allem Stimmlage und KlangfarbeKlang-farbe) ist eine wichtige Komponente des SprechausdrucksSprechausdruck, der zu einer stereotypen HörwahrnehmungHörwahrnehmung führt, die wiederum Hörmuster und stereotype Hörerwartungen mit sich bringt. Ein Blick auf StimmmodenStimmmoden in unserem Kulturkreis zeigt uns, dass die Stimmen in Filmen in den 1920er Jahren und ebenso in den Nachkriegsjahrzehnten sehr hoch waren, unabhängig von der MikrofonMikrofontechnik- und Aufnahmetechnik; auf Hörer heute hat das eine eher neurotische oder unnatürliche Wirkung.

Was die Moden der StimmenModeder Stimmen im Rundfunk ab den 1950er Jahren betrifft, so zeichnet Gutenberg (2000) die Vielfalt von „Macken und Moden“ bis zur Jahrtausendwende nach, mit dem Ergebnis, dass sich auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige Modewellen deutlich erkennen lassen. Im Rundfunk bzw. Fernsehen seien das zunächst die sonoren MännerstimmenStimmeMännerstimme1 (z.B. von Hans Joachim Friedrichs; Tagesthemen), die später heller wurden und im Hinblick auf die Artikulation als präzise, aber mechanisch wirkend beschrieben werden können (ein Beispiel für die „emotionsfreie Seriosität“ sei Karl-Heinz Köpcke, der mehr als zwei Jahrzehnte – von 1959 bis 1987 – die Personifizierung der Tagesschau war).

In Bezug auf die Akzeptanz von Sprechweise und AusspracheAussprache hat Hollmach (2003) in einer Studie zur zeitkritischen Einschätzung von ModellsprechernModellsprecher im Rundfunk (in Nachrichten, Moderationen und Gesprächen) herausgefunden, dass bei der Sprechweise, dem SprechklangSprechklang und der Stimme ein Einbruch in der Akzeptanz bestünde: Bis zurück in die 1960er Jahre werde die jeweilige Sprechweise von den Befragten akzeptiert, die Sprechweise in den 1950er Jahren wirke hingegen abstoßend.2

Mustergültigkeit erlangt ein Sprecher nicht ausschließlich auf Grund seiner Aussprache, ebenso bedeutsam für die Musterbildung sind die situationskonkrete Sprechweise, der Sprechklang und die Stimme […]. Nach Meinung der Akteure verändert sich der Sprechklang im Laufe der Zeit […], ältere Sprechbeispiele stoßen deshalb auf Ablehnung. (Hollmach, 2003, S. 179–180)

Das singende Auf und Ab der SprechmelodieSprechmelodie der 1920er Jahre wird heute belächelt, Hitlers apikal rollendes R wird unweigerlich mit dem Stil der Zeit in Verbindung gebracht und heute tunlichst vermieden. Was dem eigenen Hör- und Sprechmuster nicht entspricht, wird als „fremd“, „anders“, „komisch“, „unschön“, „unnatürlich“ o.ä. wahrgenommen.

Slembek (1995) gibt einen Überblick über Forschungsergebnisse aus den 1970er Jahren, die klare Zusammenhänge zwischen sozialer Schicht und SprechtonhöheSprechtonhöhe dokumentieren.

Ein wichtiges Merkmal, die eigene soziale Gruppe zu identifizieren, ist die habituell realisierte Grundtonhöhe. Mitglieder der sozialen Oberschicht sprechen im allgemeinen meßbar höher als Mitglieder der sozialen Unterschicht, also sind auch die HörmusterHörmuster für „tief“, für „Autorität“ je nach Schicht verschieden […]. KompetenzKompetenz und DominanzDominanz dürften durch einen gewohnheitsmäßig hohen Grad an Erregung oder organischer Bereitschaft gestützt werden. Die dadurch entstehende Spannung dürfte sich in erhöhter habitueller Muskelspannung auswirken. Höhere Muskelspannung führt wiederum zu einer GrundtonhöheGrundtonhöhe, die vergleichsweise höher liegt […]. (Slembek, 1995, S. 113)

Was ab den 1970er Jahren bei in der Öffentlichkeit stehenden Personen und in den Medien immer häufiger zu beobachten ist, sind NormabweichungenNormabweichungen bis hin zu krankhaften Zügen; ob es sich hier um tatsächliche PathologienPathologien handelt (z.B. Rhinolalie, Dysphonie, Sigmatismus, Rhotazismus oder ähnliches), oder ob diese bewusst kultiviert und quasi als Erkennungszeichen eingesetzt werden, sei dahingestellt. Es zeugt von einer Form von ToleranzToleranz, die sich ab den 1970er Jahren breit macht und nicht nur die Schlagerszene, sondern auch den Rundfunk betrifft (Scherer & Giles, 1979; Eckert & Laver, 1994; Geißner, 2008).

Offensichtlich hat sich ein verändertes StimmidealStimmideal etabliert. Während in früheren Jahren im Radio Sprecher mit ausgebildeten, klangvollen (eher dunklen) Stimmen und StandardausspracheStandard-aussprache bevorzugt wurden, sind jetzt vielfach (scheinbar) unausgebildete Stimmen zu hören, mehr oder weniger stark geräuschhaft bis pathologisch-angestrengt (gepresst, rau), auch mit deutlichen dialektalen Anklängen. (Bose, 2016, S. 167)

In Bezug auf die SprechgeschwindigkeitSprechgeschwindigkeit kann man sagen, dass heute im Rundfunk generell eine höhere Sprechgeschwindigkeit zu verzeichnen ist, was allerdings auch daran liegt, dass mit Hilfe der DigitalisierungDigitalisierung ein Komprimieren und Verkürzen von Pausen leicht möglich ist und dies vor allem bei Werbesendungen aus Kostengründen zum Tragen kommt. Jüngere Studien an Nachrichtensprechern zeigen, dass es so etwas wie ideale Nachrichtensprecher gibt, die unabhängig von der sozialen Herkunft der Hörerinnen und Hörer als solche eingestuft werden. Das untermauert die Existenz normativer HörmusterHörmuster, wobei die SprechwirkungSprechwirkung in erster Linie durch die drei Parameter SatzmelodieSatzmelodie, BetonungBetonung und SprechgeschwindigkeitSprechgeschwindigkeit bestimmt wird. Sendlmeier (2005, S. 4) beschreibt im Ergebnis dieser Studie die positiv bewerteten Nachrichtensprecher wie folgt: „tiefere Stimmen, als sie der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung aufweist [und] eine nicht extrem rationale Sprechweise, in der dennoch keine stark ausgeprägten TonhöhenbewegungenTonhöhenbewegungen auftraten.“ Eine flache SatzmelodieSatzmelodie bei Nachrichtensprechern wurde als positiv bezeichnet; umgekehrt riefen übermäßigen Betonungen eine negative Wirkung hervor: „Übermäßige Längungen, ausgeprägte melodische Akzente und zu hohe Sprechgeschwindigkeit werden negativ bewertet“ (Sendlmeier, 2005, S. 4–5).

Für Nachrichten kann man also sagen, dass die eher emotionslose Sprechweise, die seit Kriegsende die Nachrichtensendungen charakterisiert, auch heute noch vorherrschend ist. Zur Beantwortung der Frage, ob das auch auf Werbesendungen zutrifft, soll die Studie in Kapitel 5 einen Beitrag leisten.

Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk

Подняться наверх