Читать книгу Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk - Ulrike A. Kaunzner - Страница 5
1 Einführung: Reflexionen über Stimme
ОглавлениеDie Stimme sagt vieles über die Sprecherin bzw. den Sprecher1 aus, der StimmklangStimmklang und das Gesagte beeinflussen die Hörenden, sind Moden und Gemütsschwankungen unterworfen; man spricht von „stimmig“, wenn die Stimme zu dem, was man sagt, passt. Stimme kann Indikator für Wahrheit sein (dann „stimmt“ das, was man sagt), bietet schließlich die Möglichkeit der Meinungsäußerung (man will eine „Stimme abgeben“). Das Wortfeld Stimme hat immense Ausmaße und Bedeutungsebenen, von denen im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) vier Bedeutungsgruppen herausgefiltert werden:2
1 Stimme physiologisch als „durch Schwingungen der Stimmbänder im Zusammenwirken mit Resonanzerscheinungen erzeugte Laute und Töne“, sei es in Bezug auf die SprechstimmeSprechstimme als auch auf die Singstimme, auf die Stimme bei Menschen und Tieren;
2 Stimme in der „Musik“, wenn in der Vokalmusik die Stimmen in einem Lied (z.B. Sopran oder Bass) oder in der Instrumentalmusik die unterschiedlichen Musikinstrumente einer Partitur und die diesen zugeteilte Melodie gemeint sind;
3 Stimme als „Meinungsäußerung, Willensbekundung“, die eine qualitative Bedeutung hat und für die Meinung einer Person steht, die beispielsweise kritisch, zweifelnd, wohlgesonnen oder neutral eingestellt sein kann; man spricht auch von der Stimme des Herzens, der Vernunft, des Gewissens etc.;
4 Stimme als „Willensäußerung des einzelnen bei einer Abstimmung, Wählerstimme“, wobei hier die Quantität im Vordergrund steht.
Der Stimme wurde schon in der antiken RhetorikRhetorikantike im Schritt der pronunciacioPronunciacio gebührende Bedeutung beigemessen; sie rufe im Hörer Gefühle und Stimmungen hervor, die für die Wirkung auf andere ausschlaggebend seien. Diese schon von QuintilianQuintilian und anderen griechischen und römischen Rhetorikern beschriebenen Eigenschaften galt es bereits in der Antike in Rede und Schauspiel zu entfalten. Sie seien, so Meyer-Kalkus (2008, S. 681), bis heute von unverminderter Aktualität, auch bei audiovisuellen MedienMedienaudiovisuelle.
Die Vorstellungen, die über Stimme, Sprechstil und Sprache transportiert werden, setzen Werbefachleute gezielt bei ihren Verkaufsstrategien ein, um ihre potenziellen Kunden und Käufer anzusprechen. Werbespots aus früheren Jahren sind somit nicht zuletzt historische Zeugnisse gesellschaftlicher, sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Umstände und Desiderate; sie drücken die Stimmung der Sprechenden aus und charakterisieren Rollenverhältnisse und Klischees.
Beim Hörfunk, der von einer doppelten Kommunikationssituation, nämlich der mündlichen und zugleich medialen, geprägt ist, steht das Gehörte, also die Stimme, der StimmklangStimmklang und die Sprechweise, im Mittelpunkt jeglicher Kommunikation; man spricht sogar von „StimmästhetikStimmästhetik“ als Teil der „Ästhetik der Rundfunkwerbung“. WerberhetorikRhetorikWerbe- als Form von Wirtschaftsrhetorik beschäftigt sich mit Medien, wobei der Hörfunk das wohl bedeutendste der audiovisuellen Medien in den Jahren der Nachkriegszeit bis zum Aufkommen des Fernsehens und dem Anbruch des darauf folgenden digitalen Zeitalters darstellt. MehrmedialitätMehrmedialität in der Werbung ist ein in jüngerer Zeit in den Fokus gerücktes Phänomen und hat die WerbeindustrieWerbeindustrie revolutioniert (vgl. Reimann, 2008). Nach und nach hat sich die Werbung von audio- auf videogestützte Werbeträger verlagert, und das, was früher mit Hilfe des Tons kreiert wurde, übernimmt heute das Bild direkt.
Dass aber gerade die Stimmen von Frauen zurzeit im besonderen Interesse der Forschung stehen, ist kein Zufall. Hat doch Stimme viel mit Selbstdarstellung und Selbstoffenbarung zu tun. Vor allem die Stimmlage, in der sich die Stimme den Hörenden offenbart, lässt auf die dahinter stehende Person schließen; und nicht nur das, sie enthüllt auch Trends, Moden und Konventionen, deren Zeugin sie ist. Erst seit der Erfindung des Phonographen 1877 durch Thomas Alva Edison kann die Stimme als Zeitzeugin auftreten, war sie vorher nicht speicherbar gewesen.