Читать книгу Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk - Ulrike A. Kaunzner - Страница 16
Оглавление2.4 Persuasionsstrategien in der Hörfunkwerbung
Bei jedem zu bewerbendem Produkt wird die Frage aufgeworfen, wie die Kunden angesprochen werden sollen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, um sie zu überzeugen, um sie zu binden. Dieser persuasive Akt legt die Frage nach rhetorischen Kategorien nahe, die auf eine lange Tradition zurückblicken. Spang (1987, S. 63) definiert Werbung vom informationswissenschaftlichen Standpunkt als „eine persuasive Information, die zum Erwerb einer Ware oder einer Dienstleistung verleiten soll“ und grenzt die informative Persuasion in der Werbung von der PropagandaPropaganda ab.
Die eingesetzen persuasiven Strategien im Fall von akustischer Werbung (Hörfunkwerbung) bieten ein breites Spektrum an Analysekriterien an, so auch Argumentationsstrukturen und -figuren, die Themenwahl (lexikalische Besonderheiten, außersprachliche Merkmale und Musikeinsatz) und stimmlich-sprecherische (paraverbale) Mittel. In ihrer Summe machen diverse Elemente das AlleinstellungsmerkmalAlleinstellungsmerkmal aus und kommunizieren damit den jeweiligen USPUSP (unique selling proposition).
Man könnte die Werbespots im Hörfunk ebenso in einem semantischen Ansatz nach BühlersBühler drei Funktionen der Sprache untersuchen: der AusdrucksfunktionAusdrucksfunktion (Sprecher: Was wird über die Stimme und Sprechweise ausgesagt?), der Darstellungsfunktion (Thema: Wie wird das Produkt präsentiert?) und der Appellfunktion (Radiohörer, Konsument: Welche Emotionen und USP werden angesprochen?) (Spang, 1987, S. 64–68; Sowinski, 1998, S. 23–29).
Es ist die Form der Darstellung, die uns hier fragen lässt: Mit welchen Themen, Topoi, Personen (z.B. TestimonialsTestimonials) werden die Verbraucher in den unterschiedlichen Dekaden angesprochen, um auf das Produkt aufmerksam zu werden? Welchen Stellenwert haben harte Informationen (z.B. die chemische Zusammensetzung eines Waschmittels) im Gegensatz zu suggestiven ZusatznutzenZusatznutzen (z.B. das Glück der Hausfrau, wenn ihr Mann sie lobt; ein typisches Bild aus den 1950er Jahren)? Mit welchen Szenen, Situationen und Emotionen wird an geheime Wünsche appelliert und der Kauf des Produkts ausgelöst? Ohne tiefer in die WerbepsychologieWerbepsychologie einzusteigen, werden diese Fragen im vierten Abschnitt in Bezug auf das hier im Mittelpunkt stehende Thema nach der Stimme als Zeitzeugin noch weiterverfolgt: Welche Themen und Wünsche sind für die untersuchten Jahrzehnte kennzeichnend? Welche gesellschaftlichen Normen liegen ihnen zugrunde? Wird das durch die StimmeStimme und SprechweiseSprechweise reflektiert? Wenn ja, wie?
2.4.1 Exkurs: Von der antiken Rhetorik zur Werberhetorik
Die Lehrmeister der antiken RhetorikRhetorikantike haben bis heute an Aktualität nichts eingebüßt und man kann gerade im Zusammenhang mit der WerberhetorikRhetorikWerbe- interessante Parallelen aufzeigen.1 Von den drei Grundfunktionen bzw. Zielen der Rede, docereDocere (informieren, belehren), movereMovere (überzeugen, bewegen) und delectareDelectare (unterhalten, erfreuen), ist in den meisten Hörfunk-Werbespots ein Mix zu finden, dessen Schwerpunkt auf movere liegt.
Im Folgenden sollen die Aufgaben des Redners in Bezug auf die 5 Produktionsstadien der klassischen Rede mit denen von Hörfunk-Werbespots verglichen werden. Die eigentliche Struktur von Werbespots wird aus dem Blickwinkel antiker DispositionsschemataDispositionsschema (nach Aristoteles in 4 Schritten) beleuchtet.
Werberhetorik bedeutet also für uns Rhetorik der Werbe sprache [sic!] als persuasive Sprachmanipulation. Der Werbetexter wird hierzu den konventionellen Schritten der inventio, der dispositio und der elocutio folgen, wenngleich er sie anders benennt. Sogar die ist in der Tatsache der […] Fixierung der Druckvorlage der Anzeige oder in den Filmkonserven der Spots wiederzuerkennen; die actio oder pronuntiatio ist unschwer mit dem Ausdrucken oder der Sendung der Anzeige zu identifizieren; schließlich ist Werbung […] ein sermo absentis ad absentem, der von jeher eines Kommunikationsträgers bedurfte. (Spang, 1987, S. 71)
Nach den Redelehren von AristotelesAristoteles und CiceroCicero geht es dem Redner bei der inventioInventio also zunächst um das Auffinden des Stoffes, der Argumente und Beweise; bei der Werbung heute ist das die Aufgabe der Marktforscher. In der dispositio erfolgt die wirkungsvolle Anordnung und Gliederung des Stoffes, wie er sodann vorgetragen wird, nämlich in den Schritten exordiumExordium (Redeanfang), narratioNarratio (Erzählung bzw. Darlegung des Sachverhalts), argumentatioArgumentatio (Beweisführung), peroratioPeroratio (Redeschluss) – siehe Tab. 1. Steht die Gliederung, so folgt die elocutioElocutio, die sprachliche und stilistische Ausarbeitung (Meyer-Kalkus, 2008, S. 681; Schüler, 2012, S. 200).
Selbst das antike Konzept des attentum parareAttentum parare (Aufmerksamkeitsweckung) und der captatio benevolentiaeCaptatio benevolentiae (dem Erhaschen des Wohlwollens) kann auf die Werbung allgemein und die Hörfunkwerbung im Speziellen übertragen werden, wenn es bei letzterer nämlich um das Auffinden eines „ear catcherEar catcher“ geht, der die Aufmerksamkeit und das Interesse erwecken muss.
Die 4 klassischen RedeschritteRedeschritte nach dem Ordnungssystems ordo naturalis2 überträgt Schüler (2012, S. 201–204) auf Werbeanzeigen; in der tabellarischen Darstellung wird dies auf Hörfunk-Werbespots ausgeweitet.
Struktur nach antiker Rhetorik (ordo naturalis): | Anzeigenwerbung | Hörfunkwerbung |
Redebeginn, Anfang (exordium) | Headline | Aufhänger/Situation/Jingle (Vorspann) |
Erzählung, Darlegung des Sachverhalts (narratio) | Bild/Produktreferenz | Geschichte/Szene/Ansprache der Zielgruppe |
Glaubhaftmachung (argumentatio) | Text/Werbeaussage | Erläuterung/Sprecher führt aus/Dialog Frage-Antwort (Produkteigenschaften) |
Redeschluss (peroratio) | Slogan | Slogan/Wiederholung, Bezug auf Einstieg/Jingle |
Tab. 1:
Antikes Dispositionsschema nach Cicero im Kontext von Anzeigen- und Hörfunkwerbung
Wenn die Struktur von HörfunkspotHörfunkspots auch sehr unterschiedlich sein kann, was das Verhältnis von Struktur und Inhalt betrifft, so sei in der dritten Spalte ein typischer Aufbau skizziert, der den genannten Schritten folgt. Dabei gibt es gewöhnlich einen Vorspann und eine szenische Handlung, um den räumlichen und zeitlichen Kontext abzustecken und um einen dramaturgischen Effekt zu erzielen. Das Ende des Werbespots, der sogenannte Abbinder (englisch claim) ist üblicherweise der SloganSlogan und dient der Zusammenfassung und Aufforderung zum Kauf. Gliederungsschemata, wie die bekannte AIDA-FormelAIDA-Formel3 (attention – interest – desire – action) und viele andere, auf deren Ausführung hier nicht eingegangen werden kann, sind ebenfalls in dem zitierten antiken DispositionsschemaDispositionsschema wiederzuerkennen: Die Aufmerksamkeit wird geweckt, das Produkt beschrieben, der Wunsch zum Kauf geweckt und seine Erhältlichkeit oft in einem szenisch-dialogischen Passus erläutert, dem ein Off-Sprecher mit relevanten Botschaften den Auslöser zum Kauf gibt. Der Slogan beendet den Werbespot.4
Die PersuasionsstrategienPersuasionsstrategien in der Werbung und die Konzeption der ArgumentationArgumentation können vielfältig sein und beispielsweise einem Schema folgen, z.B. Problem – Lösung, Frage – Antwort, Wunsch – Erfüllung. Was die ArgumentationsstrukturArgumentationsstruktur, also die Reihenfolge der einzelnen Argumentationsschritte betrifft, so greifen Werbetreibende auf gängige Gliederungen zurück, wie Beweisführung und Zustimmung, Widerlegung und Widerspruch, Wertung und Kompromiss. Dabei sind je nach Argumentationsklasse eine, zwei oder mehrere Positionen (Argumente oder Denkschritte) involviert.5
Nachdem persuasive Strukturen und argumentative Gliederungen angeschnitten wurden, soll nun kurz auf inhaltlich-thematische Fragen der ArgumentationArgumentation und kommunikationspsychologische Erkenntnisse von Persuasion und Meinungswechsel eingegangen werden.
Um wieder auf die antike Rhetorik zurückzugreifen, seien die drei „Säulen“ der Persuasion nach Aristoteles genannt, die wir auch in jüngeren Abhandlungen über Argumentationsfiguren und -muster wiederfinden: ethosEthos (die Überzeugung, die von der Person ausgeht, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Charakter), logosLogos (die Überzeugung durch rationale Argumentation), pathosPathos (der Appell durch EmotionEmotionen).
In den Jahren nach dem Zweiten WeltkriegWeltkrieg, Zweiter wurden vor allem in den USA zahlreiche Experimente und Forschungsprogramme durchgeführt, bei denen es um Glaubwürdigkeit, Meinungs- und Einstellungswechsel ging. Das Yale Program of Research on Communication and Attitude Change und die Versuche des Psychologen Carl HovlandHovland werden bis heute viel zitiert und haben die Werbebranche beispielsweise im Hinblick auf folgende Themen stark beeinflusst: Einstellungsänderung und Vertrauenswürdigkeit von Quellen (high credibility source vs. low credibility source), LangzeitwirkungLangzeitwirkung von Meinungsänderung, Assimilationseffekt und Distanz (Position), MeinungsbildungMeinungsbildung und Position bzw. Kenntnisstand des Publikums, Meinungsänderung und die Rangfolge von Argumenten (primacy effect und recency effect), Mittel der Glaubwürdigkeitsstärkung (Zitate, Augenzeugenberichte …), Beeinflussbarkeit und Persönlichkeitsmerkmale, Meinungswechsel und Gruppenzugehörigkeit, counternorm communication und Gruppennormen …
Die so gewonnenen Erkenntnisse schlagen sich in unterschiedlichen ArgumentationsfigurenArgumentationsfiguren nieder, bei welchen man generell, und damit auch in der Hörfunkwerbung, zwischen kognitiven und affektiven Überzeugungsmitteln unterscheiden muss; in der Werbung fällt die Relation i.d.R. zugunsten der affektiven Mittel aus.
Die Haupttypen der Argumentation in der Werbung, zurückgehend auf eine Studie über die deutsche Anzeigen-Werbung und ihre spezifischen Wirkungsgrade von Otto Walter HaseloffHaseloff (1966), können in fünf Gruppen unterteilt werden: faktische (oder rationaleArgumentationrationale) Argumentation, Plausibilitäts-ArgumentationArgumentationPlausibilitäts-, emotionale ArgumentationArgumentationemotionale, moralische ArgumentationArgumentationmoralische und taktische ArgumentationArgumentationtaktische.6 Die an das aristotelische logosLogos anknüpfende faktische Argumentation führt Zahlen, Fakten, Gesetze, statistische Beweistests, Zeugenaussagen etc. an, um die Qualität des angepriesenen Produkts zu bezeugen. Auch der Rückgriff und das Argumentieren mit plausiblen Behauptungen und Selbstverständlichem kann dieser Gruppe (logos) zugerechnet werden, wenn die Meinung der Mehrheit, allgemeine Erfahrungen usw. die Konsumenten bei der Kaufentscheidung unterstützen. Der emotionale Appell des pathosPathos spiegelt sich in der emotionalen Argumentation wider und arbeitet mit Gefühlen wie Freude und Angst7, Schuld und dem Erzeugen von Stimmungen. Der dritten aristotelischen Säule, dem ethosEthos, ist die moralische Argumentation zuzuweisen, wenn beispielsweise höhere Werte, bekannte Persönlichkeiten oder auch die Prämisse der moralisch-ethischen Angemessenheit von Entscheidungen oder Behauptungen hervorgehoben werden. Schließlich werden ArgumentationstechnikenArgumentationstechnik wie Vorwegnahme von Gegenargumenten, Scheinzustimmungen, Bedrohung und persönlicher Angriff etc. der Gruppe der taktischen Argumentationsfiguren zugerechnet (vgl. Dillard & Miraldi, 2008).
Die im Anhang abgedruckten Transkriptionen sämtlicher hier verwendeter Hörfunk-Werbespots mögen dazu einladen, die hier beschriebenen Persuasionsstrategien und Überzeugungsmittel nachzuvollziehen.