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Kapitel 8
DAS SMARAGDSCHLOSS

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Margret fuhr mit einem Schrecken auf. Blinzelnd schaute sie sich um und fand sich in einem fremden, aber wunderschönen Zimmer wieder.

Sie lag in einem weichen großen Bett, das mit so vielen Decken und Kissen aus samtenem Stoff gefüllt war, dass sie darin versank.

Sie schaute nach oben an den Baldachin und sah über sich einen Himmel. So wie sie ihn kannte, mit dem kleinen Unterschied, auch eine blass weiße Kugel zu entdecken, die sie beim zweiten Hinsehen als den Erdtrabanten identifizierte, von dem ihr ihre Mutter erzählt hatte.

Als Margret schließlich von den wandernden Gestirnen ihre Augen und ihre Gedanken losreißen konnte und sich aufrichtete, sah sie, als sie die leichten tüllenen Vorhänge zurückzog, ein strahlendes Licht, das durch die großen Fenster in den Raum fiel und in dessen Strahlen kleine Staubflocken tanzten.

Die hohen verzierten Decken, der Stuck und die alten Möbel verzauberten den Betrachter.

Dann sah Margret, wer die Staubflöckchen aufgewirbelt hatte.

Hubertus stand in dem Zimmer und war trotz der Entfernung, die die Größe des Zimmers zuließ, erstaunlich groß.

Die Relationen wollten sich nicht in das fügen, woran sich ihr Gehirn erinnerte.

Margret kletterte ungeschickt aus ihrem Bett.

Mit jedem Schritt, den sie tat, wurde Hubertus größer.

In der Mitte des Raumes war im Boden ein Himmelsstern in braunem Marmor eingelassen, umrahmt mit Gold, der die Himmelsrichtungen anzeigte.

Als sie Hubertus erreicht hatte, wurde ihre gesamte Aufmerksamkeit auf seine atemberaubende Gestalt gezogen. Die Lichtbälle der Antennen waren zu groß, um in ihre beiden Hände zu passen und auf seiner Haut spiegelten sich die Farben des Regenbogens. Vor Margrets Augen tanzte ein pulsierendes Muster, von dem sie sich kaum abwenden konnte.

„Herzlich Willkommen im Smaragdschloss!

Schön, dass du wieder so gut aussiehst und diese erste Aufgabe gut überstanden hast. Doch dazu später. Man erwartet uns bereits im Konferenzsaal. Ich hoffe, du warst mit deinem Zimmer zufrieden“, unterbrach Hubertus Margrets Gedanken.

Es stürzte alles auf einmal auf sie ein, sodass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Die Erinnerung an die kalte und die glühende Wand wurde heraufbeschworen. Eine schmerzhafte Gänsehaut überzog ihren Körper und sie riss ihre Augen auf, als sie auf ihre unversehrten Hände hinabstarrte. Hubertus drehte sich zu den großen verzierten Flügeltüren um.

Während er zielstrebig den Flur entlangsteuerte, gaben die Berührungen der sechs Beine auf dem Marmorboden ein klackendes Geräusch von sich. Schnell und elegant wie sein Äußeres glitt Hubertus durch die großen Korridore.

Margret verlor schnell die Orientierung in dem riesigen Palast. Prachtvoll und prunkvoll waren die meterlangen Flure ausstaffiert. Margret versuchte sich vorzustellen, wie es hinter den riesigen Türen aussehen mochte, doch sie öffneten keine von ihnen. Sie folgte Hubertus, während sie unzählige Gänge und Abzweigungen nahmen, bis sie in einen riesigen Saal eintraten, der ebenso golden schimmerte wie ihr Zimmer, geschmückt mit meterhohen Gemälden.

Ein schimmernder Raum voller Rubine und Smaragde.

Doch dies war immer noch nicht das Ende ihres Weges. Am anderen Ende öffneten sich wie von Geisterhand zwei große Flügeltüren und gaben ein ächzendes Geräusch von sich, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr in den schmiedeeisernen Angeln gedreht.

In ebendiesem Moment, als Margret mit einem Staunen durch den Raum lief, verlangsamte Hubertus sein Tempo, bog hinter den Flügeltüren in einen kleineren Raum ab.

In der Mitte stand ein großer, runder Tisch mit vielen Stühlen. Margret erinnerte dieser Raum an die Ritter der Tafelrunde.

„Setz dich!“, drehte Hubertus sich zu ihr um und wies auf einen Stuhl. „Der Prinz wird in Kürze eintreffen, wir werden dich dann nun endlich den Grund erklären, der uns dazu veranlasst hat, dich hierher zu holen.“

Margret fühlte sich leicht eingeschüchtert aufgrund der Feierlichkeit, mit der Hubertus den Prinzen ankündigte.

„Mach dir keine Gedanken!“, antwortete Hubertus, der bemerkte, dass Margret sich unwohl fühlte.

In diesem Moment öffnete sich eine unscheinbare Tür auf der anderen Seite des Raumes. Hindurch trat ein gleichermaßen anmutiger Käferlinger.

Im Gegensatz zu Hubertus schimmerte der Prinz, als den Margret ihn sofort identifizierte, in einem kräftigen Rubinrot mit einer filigranen silbernen Musterung.

Seine Fühler wirkten auf Margret noch anmutiger, als die des Herrn von Marbius.

An den silbergewirkten Antennen, die einer Blumenranke glichen, hingen prächtige Kugeln.

Auf der Stirn trug er einen zarten Reif.

Er steuerte direkt auf einen der Stühle zu, Hubertus gab Margret ein Zeichen sich zu erheben und alle drei setzten sich auf die massiven Stühle, die mit rotem Samt bezogen waren.

Hubertus eröffnete das Gespräch: „Prinz Hartolius, ich möchte dir Margret vorstellen. Margret, das ist Prinz von Hartolius, Magnus von Hartolius, mein bester Freund.“

„Verehrte Margret!“, vernahm sie einen derart schönen Klang in ihren Ohren.

„Es ist schön, dass Hubertus so viel Glück hatte, dich ausfindig zu machen und du zu uns gefunden hast. Wie Hubertus vielleicht bereits angedeutet hatte, ist dein Erscheinen hier und unser Gespräch von äußerster Dringlichkeit und zwingt einen jeden, der Teil hat, zu größter Verschwiegenheit. Doch nun ist es an Hubertus, meinem Freund, dich in dieses Geheimnis und unser Vorhaben einzuweihen.“

Hubertus räusperte sich kurz, versicherte sich nochmals, dass beide Türen des Raumes geschlossen waren und begann: „Eure Reise in dieses Schloss, das nur noch als das Smaragdschloss bekannt ist, ist für uns der Beginn unserer Reise. Denn, wie Ihr sicher wisst, herrscht auf der Erde seit schon sehr langer Zeit Dunkelheit und diese Dunkelheit hat die Erde so fest im Griff, dass schon etliche Versuche, die Helligkeit wieder zurückzuholen, gescheitert sind.

Doch wenn die Dunkelheit noch länger anhält, werden auch die letzten Lebewesen keine Chance mehr haben, weiterhin zu überleben. Die Smaragdkäferlinger waren wie so viele andere gezwungen, einen neuen Lebensraum zu erschließen, sodass wir letztendlich tief hinein in die Erde gewandert sind, wo wir die Wärme des Erdinneren zu unserem Vorteil nutzen können.

Auch wenn dies nicht das Gleiche ist, wie wärmendes Sonnenlicht, so war es für uns die letzte Chance zu überleben. Du musst wissen, dass unsere Spezies auf Wärme angewiesen ist.

So haben wir alle Kräfte aufgewendet, um uns ein Überleben hier unten zu ermöglichen. Mit all unseren Mitteln haben wir dieses Schloss, das wir entdeckten, wieder aufgebaut und so dieses Smaragdschloss geschaffen. Wir befinden uns hier mehrere Kilometer unter der Erde, in einer vulkanischen Höhle, die über einen schmalen Gang zur Erdoberfläche verfügt. Wir konstruierten ein Rohrsystem, das diese Höhle mit Wärme und mittels Spiegelsystemen auch mit Licht versorgt.

Nur so war es uns möglich, diese lange Zeit zu überleben. Doch leider sind nicht alle Spezies, die von dieser eisigen Dunkelheit gefangen genommen wurden, in der Lage, sich ein neues Leben aufzubauen.

Dieses Schloss hier unten ermöglicht uns auch nur ein Überleben, denn nur die Sonne kann unsere wahren Kräfte zum Vorschein bringen.

Unsere Gelehrten untersuchen seit Jahren das Verschwinden der Sonne. Sie forschen sowohl in der Gegenwart, als auch in Jahrhunderte alten Überlieferungen von Geschichten und Chroniken, ob ein ähnliches Phänomen schon einmal den Erdball heimgesucht hat. Doch bis jetzt haben sie noch keinen genauen Anhaltspunkt oder eine genaue Ursache ausmachen können.

Nur eins haben sie in den Monaten, die verstrichen und in denen sich das Problem verschlimmerte, entdecken können:

Handelt es sich um ein derart episches Ausmaß einer Katastrophe wie jetzt, so bleibt uns nur ein Weg, unsere Suche zu beginnen, am Anfang und Ende aller Dinge: in der Unterwelt oder auch Schattenheim, Hades, Helheim, Tuonela, Xibalbá.

Es ist letztendlich egal, wie wir diesen Ort auch nennen mögen. Es ist der Ort der Schattentoten. Ein Ort, an den als lebendes Geschöpf zu gelangen ein unmögliches Unterfangen ist, denn nur wer als reine Seele reist, wird mit dem Bootsmann über den Fluss Urnardon zum Eingang von Schattenheim gelangen.

Nicht das luftige wolkige strahlende Himmelsreich, das uns von so manchen verträumten Poeten erklärt werden soll oder jenen, denen der Mut für Dunkelheit und Einsamkeit fehlt.“

Margret fühlte sich taub, alles war taub ihre Ohren, ihr Körper, ihr Herz. In ihrem Kopf hallte immer und immer wieder nur ein Wort wider, wie in einem großen leeren Raum: Unterwelt, Unterwelt, Unterwelt.

„Hubertus, was meinst du mit Unterwelt?“ Ihr wurde die Bedeutung des Wortes nicht bewusst.

Natürlich glaubte Margret an ein Leben nach dem Tod, doch eher als erleuchtete Gestalt mit Flügeln und nicht gehüllt in eine schwarze Kutte in der ewigen Dunkelheit.

Sie liebte die antiken Geschichten der griechischen Mythologie, doch nie hatte Margret es sich träumen lassen, dass ein solcher Ort wie die Unterwelt existierte.

Natürlich gab es, seit Margret sich erinnern konnte, viele außergewöhnliche Dinge in ihrem Leben, doch nun zu akzeptieren, dass die Unterwelt aus so vielen Büchern wirklich existierte, war im Augenblick viel verlangt.

„Margret“, fuhr Hubertus an sie gewandt fort, „dies ist nur der erste Teil unserer Aufgabe, die zu erfüllen unser aller Überleben bestimmen wird. Es gibt einen bestimmten Grund, weswegen genau du diese Reise mit uns antreten wirst.

Du bist etwas Besonderes.

Denn hingegen mancher Gerüchte, bist du die Einzige Eurer Art: Du bist zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Königswesen.

Dein Mal hinter Eurem rechten Ohr kennzeichnet dich eindeutig als ein Mitglied der ältesten Königswesenfamilie und zeigt, dass du von hohem Geblüt bist.“

In diesem Moment hob Margret ihre Hand unbewusst zu ihrem Ohr, sodass sie sich kurz erschreckte, als sie über ihre Schulter in einen der Spiegel blickte und das dunkelblaue Mal eindeutig als jenes ihres Vaters wiedererkannte.

In diesem Moment fiel ihr die Geschichte eines Waisenmädchens aus London ein, das ebenso in ein ungeahntes Abenteuer hineingerutscht war. Margret dachte immer, es sei eine erfundene Geschichte, sie konnte sich immer gut mit ihr identifizieren. Doch nun musste sie erkennen, dass der Teil der Erzählung, der sich um die vielen mysteriösen Orte rankte, zumindest der Wahrheit entsprach. Dass man wirklich an Orte, wie den Hades, reisen konnte, überflutete sie mit ungreifbaren Gefühlen. Zuerst die Offenbarung einer Reise an solch einen Ort, der sich kilometerweit unter der Erde befand, dann diese beiden Käferlinger, die Unterwelt und nun dieses Ornament, das sie sich doch seit langer Zeit herbeigesehnt hatte, das jetzt leuchtend blau hinter ihrem Ohr auf ihrer blassen Haut flammte.

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