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Kapitel 12
DAS WUNDER VON SQUIRILION

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Als Margret die Augen wieder aufschlug, stand Squid bereits mit einem großen vollgestellten Tablett vor ihr, wünschte einen guten Appetit, mahnte kurz zur Eile und wackelte aus dem Zimmer.

Nachdem sie aus dem Bett geschlüpft war, sich kurz streckte, jenes, was auf dem Teller lag, griff und sich in den Mund schob, huschte sie nach oben, wo sie auf die beiden bereits wartenden Begleiter traf. Sie hatte so gut in diesem Bett geschlafen, wie in dem des Smaragdschlosses. Aber das, worauf sie biss, fühlte sich in der Konsistenz seltsam auf ihrer Zunge an. Sie hätte es lieber genauer in Augenschein nehmen sollen, bevor sie es aß. Es fühlte sich wie unzählige Saugnäpfe an.

Es musste noch früher Morgen gewesen sein, denn nur wenige Leuchtwürmchen schwirrten in luftiger Höhe durch die Gegend und verbreiteten ein dämmeriges Licht.

Alle drei machten sich bei dem schummrigen Leuchten auf den Weg. Dieser führte sie weit hinaus aus der Stadt, erst durch verwinkelte Gassen, bis sie zu einem Torbogen kamen, der wohl zu einer Stadtmauer gehörte und auf dem in für Margret nicht entzifferbaren Zeichen etwas geschrieben stand.

Hätte Squid sie nicht durch dieses Wirrwarr an Straßen geführt, so hätten sich die beiden wahrscheinlich gnadenlos verlaufen. Margret versuchte sich immer noch die Gegend einzuprägen, durch die sie gingen, bis sie auf einem ausgetretenen Feldweg landeten, dem sie wiederum einige Zeit lang folgten. Die Welt hier unten sah für Margrets Augen so befremdlich aus.

Während der ganzen Zeit erzählte Squid unablässig von seiner und der Geschichte der Squirels, bis sie an ein riesiges bewachsenes Feld gelangten. Geschlossene Blütenknospen hielten ihre Köpfe nach unten, als wären sie tief in ihren eigenen Träumen versunken und die großen tellerartigen Blätter schlugen sich um den Leib der Blumen, als würden sie diese einhüllen, um sie vor Kälte zu schützen. Nur wenige Leuchtwürmchen schwebten wie hypnotisiert über diese Flur, immer in der Gefahr, mit einem anderen schwirrenden Würmchen zu kollidieren. Sie wirkten ganz benebelt.

Doch jedes Mal, wenn Margret beinahe das Herz stehen blieb, weil zwei von ihnen auf so direktem Wege aufeinander zusteuerten, dass ein Zusammenstoß unvermeidlich schien, ließ sich eines einige Zentimeter tiefer fallen und flog dann unbeirrt weiter. Frieden, Ruhe und Harmonie erzeugte dieser Anblick, wie Margret sie noch nie gespürt hatte.

„Jetzt dauert es nicht mehr lange“, hauchte Squid von der Seite.

Einen flüchtigen Moment später erleuchtete in der Mitte über dem Feld ein Licht, das wie eine durch Pergament scheinende Kerzenflamme wirkte, immer mehr an Kraft und Stärke gewann und alles im Umkreis von mehreren hundert Metern beschien.

Es begann sich in eine Blase zu bilden, die mit jeder Sekunde, die verging, immer größer wurde, bis sie zu guter Letzt genau in der Mitte ganz leise aufriss. Aus dem Riss schwebten nach und nach glitzernde, schimmernde Dinge in Richtung Boden, bis Margret letztendlich erkannte, dass es sich bei diesen funkelnden Dingen um hauchzarte Flügel von filigranen Libellenkörpern handelte. Sie trudelten heraus, bekamen auf der Hälfte der Wegstrecke nach unten Leben eingehaucht, verteilten sich über dem Feld und landeten auf den schlafenden Blumen.

„Das sind unsere Erinnerungslibellen“, hörte Margret Squid stolz sagen, der seine Hände andächtig gefaltet hatte.

Wie gefangen fühlte sich Margret beim Anblick dieses Wunders.

„Jeden Tag um diese Zeit herum, trifft die Lieferung von Erinnerungslibellen ein. Wir wissen nicht, woher sie kommen und wer sie sammelt, dass sie so zu uns kommen. Wir wissen auch nicht, was hinter dieser Membran dort oben ist, aber es ist unsere Aufgabe, uns um diese Libellen zu kümmern“, erklärte Squid. „Aber wenn jeden Tag immer wieder neue Erinnerungslibellen hier ankommen und keine von ihnen jemals diesen Ort verlässt, wo bleiben sie dann alle?“, fragte Margret daraufhin.

„Es ist so, wo wir uns befinden, siehst du eines von zweitausendneunhundertachtundsechzig Feldern, die sich in diese Richtung erstrecken.“ Um seine Erklärung zu untermalen, zeigte er auf den Horizont aus roten Blüten. „Wir haben nicht nur die Aufgabe, uns um die Erinnerungslibellen und die Blütenmeere zu kümmern, nein, wir sind auch immerfort dabei neue Felder anzulegen, also auf Feldern mit Hilfe von Samen des Liebeskelches, diesen Namen trägt die Pflanze, die ihr hier seht, neue Lebensräume zu erschaffen.“

Nachdem die letzte Libelle zu Boden geglitten war, machten sich Margret, Hubertus und Squid auf den Weg, die Felder zu durchqueren.

Mit den Libellen kamen auch die Leuchtwürmchen, unzählige schwirrten herbei und verbreiteten ihr Licht, als strahlten sie um die Wette. Als sie sich alle versammelten, wachten die schlafenden Blüten aus ihren Träumen auf, richteten sich nach oben und entfalteten Stück für Stück ihre prächtigen Blütenblätter in Purpur. Die Kelche reckten sich gierig in die Höhe, während die Blätter sich aus der Umarmung mit den Blütenkörpern lösten.

„Gibt es einen Grund, weshalb die Libellen so unterschiedlich aussehen?“, erkundigte Margret sich, als sich eine graue Libelle auf ihrer Schulter kurz nieder ließ, um sich dann sofort wieder in die Lüfte zu erheben und in den Weiten des Feldes zu entschwinden.

„Wenn ihr euch die Libellen genauer anseht, dann werdet ihr nicht nur erkennen, dass ihre Muster und ihre Farben immer einzigartig sind, sondern auch, je nachdem welche Erinnerung sie in sich tragen, sie bunter und farbenfroher in ihrem äußeren Erscheinungsbild sind. Gegenteilig verhält es sich mit den ungewollten Erinnerungen, diese Libellen sind zwar nicht weniger filigran in ihrer Musterung, doch die Farben sind melancholisch und bedrückend. So eine versuchen wir jetzt zu finden. Ihr habt euch eine Rarität ausgesucht, ein jeder der das Schattenreich betreten will, muss diese bei sich haben, um den Fluss zu passieren. Aber das wisst ihr ja bereits.

Denn eine Todeserinnerungslibelle zu finden, so unlogisch dies auch klingen mag, ist großes Glück. Es gibt keine anmutigere und schönere unter ihnen und nur die, die vom Glück beseelt sind, werden je eine zu Gesicht bekommen. So wird es seit je her überliefert. Bei uns ist es ein gutes Omen, eine Todeserinnerungslibelle zu sehen. Das haben bisher nur zwei oder drei von uns Squirels geschafft, denen darauf alles gelang, was sie sich nur erträumt hatten“, schwärmte Squid. Margret fragte sich, was wohl die Ziele dieser Squirels gewesen sein mochten.

Hubertus war in der Zwischenzeit still geworden und Margret überlegte, ob diese Libellen etwas damit zu tun haben könnten.

Das Ziel, das Squid ansteuerte, war ein Aussichtsposten, von dem man ein Großteil des Feldes besser überblicken konnte. Als sie ihren Blick schweifen ließ, entdeckte sie plötzlich kleine hüpfende dunkle Punkte auf den Blüten und Blättern und drehte sich so schnell zu Squid um, dass sie gegen ihn stieß und ihn beinahe von den Füßen riss.

Nur ein wildes Rudern mit den Armen hielt Squid davon ab, nicht unsanft auf dem Boden zu landen.

„Also Margret, das nächste Mal bitte etwas langsamer, wir wollen nicht die Gastfreundschaft des Herrn Squid strapazieren“, ermahnte Hubertus, musste sich aber bei dieser recht belustigenden Darbietung das Lachen verkneifen.

„Um nun deine Frage zu beantworten und wenn du mich das nächste Mal nicht so erschrecken magst: bei diesen kleinen dunklen Punkten, die bei genauerer Betrachtung gar nicht so klein sind, handelt es sich um Gedankenflöhe. Sie leben in den Kelchen der Blüten und unterstützen uns in unserer Arbeit.

Durch ihr wildes Gehüpfe von Blüte zu Blüte tragen sie den Blütenstaub von einer zur anderen Blüte und bestäuben somit den Großteil aller Blumen. Gedankenflöhe werden von einem ganz eigenen und speziellen Duft der Liebeskelche angezogen und sobald sie die Blume gefunden haben, deren Geruch ihnen am besten gefällt, ziehen sie in diese Blüte ein.

Was dabei sehr interessant zu beobachten ist, ist, dass ein Gedankenflohleben eben solange oder auch nur so kurz währt, wie der Liebeskelch blüht.

Aber bei einer Lebenslänge, die mit einem Squirel vergleichbar ist, ist das nicht so schlecht. Welche Zusammenhänge da eine Rolle spielen, erforschen wir immer noch. Wir wissen nur so viel, dass Gedankenflöhe, Erinnerungslibellen, Liebeskelche und Squirels eine ganz besondere Beziehung zueinander haben und in gegenseitiger Abhängigkeit stehen.

Manche Squirels fühlen sich sogar besonders zu einer Blüte hingezogen. Mysteriös, nicht wahr? Es gleicht dann einer Squirel-Liebeskelch-Liebelei“, erzählte Squid mit einem Leuchten in den Augen, als dächte er an ganz besondere Zeiten zurück. Die drei wanderten die Felder entlang, immer die Augen offen haltend, auf der Suche nach der Königin der Erinnerungslibellen.

„Margret, wenn wir keine von ihnen finden, so ist unser Vorhaben zum Scheitern verurteilt“, hörte sie den Smaragdkäferlinger von der Seite her leise sagen.

Plötzlich hörte sie nicht nur Hubertus Unheil verkündende Worte, sondern auch einen singenden Squirel, der immer inbrünstiger eine Melodie summte und bald darauf auch ein Gartenlied zum Besten gab:

Oh, lie-bste aller Blüten,

mein Herz ge-hö-hö-rt nur di-r.

Drum lass mich deine Blä-ä-tter mit Wa-a-s-sser verwöh-h-n.

So wachse und gedei-he

mein kleiner Au-u-genschmaus,

und lass-s-e deine Schö-ö-nheit nach au-uß-en-en raus.

Je längerer und inbrünstiger Squid sein Liedchen darbot, desto weniger reimte sich die Komposition, noch weniger war für Margret die Melodie erkennbar. Am Anfang dachte sie die Melodie herauszuhören, aber schon nach der zweiten Zeile verlor sich alles in einem Tonwirrwarr.

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