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Kapitel 3
HUBERTUS VON MARBIUS

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Es war ein Tag, an dem nichts Aufregendes geschah. Es fand kein Unterricht bei Master Crispin, dem Privatlehrer von Margret, statt.

Er hatte sich kurzfristig unpässlich gemeldet.

Er war ein sehr pedantischer Lehrmeister, immer korrekt und nie nachgiebig, wenn Margret eine Möglichkeit suchte, aus dem Unterricht früher, als es der tägliche Stundenplan zuließ, zu entkommen.

Sie wurde auf Wunsch ihrer Eltern, in caesarischen Fächern, der Sprache und Geschichte des großen Geschlechtes, unterrichtet. Master Crispin war ein Freund der Familie, sodass auch er, ebenso wie der Butler Albert, zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet war.

Margret liebte vielmehr die Rolle einer mutigen Entdeckerin, die im Schein einer Kerze durch die Hallen des Hauses streifte. Die Kerze warf dabei geheimnisvolle Schatten auf die Wände. Damals als sie noch klein war, genügte es ihr, die Parterre und die erste Etage zu erforschen. Sie mochte die großen schweren Türen, hinter denen sie sich gefährliche Abenteuer vorstellte, die es zu meistern galt. Besonders, wenn sie eines der dunklen Zimmer betrat und sie mit einem leisen Knarren des Pakets begrüßt wurde.

An vielen Wänden hingen Gemälde, goldgerahmt, von edel gekleideten Caesariern, mal mit einem tierischen Begleiter, mal auf einen Stock gestützt oder in einem Ohrensessel sitzend. Vorfahren aus mehreren Jahrhunderten waren auf den Portraits verewigt worden, alle aus dem Familienstamm der Choclairs.

Sie ließ sich vor einem der Bilder nieder und bewunderte ihr majestätisches Auftreten, wie sie Macht und Erhabenheit durch ihre Augen versprühen konnten, sodass sich in Margret ein eigenartiges Gefühl regte. Auf vielen anderen Bildern waren wunderbar verträumte Landschaften zu sehen, die Margret zu gern besucht hätte. Viele dieser Szenerien wisperten von geheimnisvollen Abenteuern und schienen sie regelrecht verführen zu wollen, mit hineinzuspringen und auf den Flügeln der Geschichte zu entgleiten.

Mittlerweile war sie während ihrer Streifzüge bis unter das Dach vorgedungen, jenseits ihres eigenen kleinen Refugiums.

Ihr gefielen die verstaubten Kartons, in denen ausrangierte Gegenstände und alte Bücher lagerten, die keinen Platz in der Bibliothek des Westflügels gefunden hatten. Wenn sie einen Deckel hochhob und den Staub wegpustete, stoben kleine Wirbel durch die Luft. Ihr stieg der Geruch von altem Leder und vergilbten Seiten in die Nase, die nur allzu willig waren, die Geschichten preiszugeben, die sie schon seit Jahren zwischen den Buchdeckeln sicher aufbewahrt hatten.

Manche von den Folianten fielen bereits auseinander, wenn sie nur versuchte sie aus einer Kiste herauszuheben. Andere wiederum zeugten von Besuchern, die nicht allzu sorgsam mit ihnen umgegangen waren. Sie fand Spuren von Bücherwürmern, die ihre gelblichen Vorderzähne in die Seiten und den Einband gestoßen hatten. Einige der Folianten schienen so begehrt, dass sie halb aufgefressen waren.

Doch heute wollte Margret sich weiter vorwagen, wollte mehr über das Herz des Gemäuers kennen lernen.

Sie schaute sich kurz um, doch wie üblich war ihr Vater zu dieser Zeit in seinem Arbeitszimmer zu finden und ihre Mutter in der Bibliothek des Westflügels oder in der Küche.

Für Margret gab es also keinen Grund, ihren Streifzug ins Unbekannte nicht sofort zu starten.

Eigentlich war es ihr verboten in die Katakomben des Gebäudes zu gehen. Schon früher hatte sie ihren Vater Arthur darum angefleht, sie einmal die Treppe hinunterschleichen zu lassen, doch jedes Mal, wenn sie es wagte zu fragen, wurde er ungehalten und versperrte die Tür.

Nach ein paar Minuten kam er dann in ihr Zimmer, während sie auf der Bettkante saß und mit den Beinen baumelte, um sich zu entschuldigen und ihr nur seine Sorgen zu gestehen. Als Margret klein war reichte ihr eine solche Begründung aus, denn in ihren Träumen malte sie sich die schlimmsten Kreaturen aus. Doch jetzt war sie älter und machte sich keine Gedanken mehr um diese Gestalten, die sie früher als kleines Mädchen in ihre Träume verfolgt hatten.

Zu Margrets Glück war heute die Tür in Katakomben nicht verschlossen. Alle Möglichkeiten standen ihr offen.

Die massive hölzerne Tür mit dem schweren geschmiedeten Schloss knarrte bedrohlich in ihren Angeln, als Margret sie mit Mühe einen Spalt breit öffnete. Gerade so viel, dass sie unbemerkt hineinschlüpfen konnte.

Verstohlen ließ sie noch einmal einen Blick durch den Raum schweifen, um zu prüfen dass sie auch keiner bei ihrem Vorhaben erwischte. Sie hatte zwei Stunden, sich hinunterzuschleichen, sich umzuschauen und wieder heraufzukommen, als wäre nichts gewesen. So, als hätte sie sich, wie sie es gesagt hatte, in ihr Zimmer zurückgezogen, um dort vertieft in ein spannendes Buch den ausgefallenen Unterricht zu nutzen.

Sie zündete sich eine Kerze an, die auf einem Tisch neben der Tür stand, konnte jedoch nicht das Ende des Tunnels sehen, sondern nur einen schwarzen Rachen, der sie angähnte.

Schon nach kurzer Zeit stand sie vor einer steinernen gewundenen Treppe, die sich hinunter gen Erdmittelpunkt wand.

Sie konzentrierte sich auf die ausgetretenen Stufen, um nicht hinabzustürzen und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

Ewig erschien ihr der Abstieg, bis sich das Ende im Kerzenlicht abzeichnete. Je weiter sie ging, desto kälter wurde es. Sie ärgerte sich, keine Jacke mitgenommen zu haben, doch sie hatte nicht damit gerechnet, soweit ins Innere der Erde einzudringen.

Oben im Haus war es immer angenehm warm, nur wenn man einen Fuß ins Freie setzte, war es wichtig, sich einzumummeln.

„Wie konnte ich nur so unvorbereitet aufbrechen?“, sagte Margret im Flüsterton zu sich selbst. Wenn dies eine ihrer Helden und Heldinnen getan hätte, hätten sie dies bei den fürchterlichen Gefahren mit ihrem Leben bezahlt.

Margret zog die Arme um den Körper, soweit es die brennende Kerze zuließ und rief sich in Erinnerung, dass sie nicht mit einem Seil in eine Schlucht hinabgestiegen war, auf der Suche nach einer seltenen Fledermausart, die eine besondere Vorliebe für süßes Blut hatte und in solchen Höhlen lebte, sondern nur in den sicheren Katakomben des Hauses umherschlich. Auf einem Streifzug, der nur die Entdeckung unzähliger Wollmäuse zur Folge hatte. Wenn sie an ihnen vorbeiging, flüchteten sie in die Ecken. Die Wand, an der Margret mit ihrer Hand entlang streifte, bestand derweil aus massiven Steinquadern, die schon vor langer Zeit ihren Platz hier unten gefunden hatten. Auch der Fußboden bestand aus schweren Steinplatten, die bereits an einigen Stellen gerissen waren. Schließlich endete der Gang und Margret stand in einem kleinen Raum. In ihrer Vorstellung war dies hier immer ein riesiger Saal, der sich unter dem gesamten Anwesen erstreckte. Aber allein der Weg hier herunter war spannender gewesen, als der Ort an dem sie jetzt stand. Sie schlich durch die vergessenen Schätze die alle ihre letzte Ruhestätte in diesem Kellerreich gefunden hatten. Manche Dinge kannte sie, andere wiederum nicht. Doch sie erinnerte sich, dass es damals aufregender gewesen war, das Dachgeschoss zu erkunden.

Margret wünschte sich eine der riesigen Laternen von draußen hier herein. Mit ihrer Leuchtkraft würde sie mehr erkennen können, als nur mit dieser Kerze, die sie dabei hatte. Gerade als sie enttäuscht auf dem Absatz umdrehen wollte, ließ ein Windhauch die orangerote Zunge erzittern. Margret glaubte ihn auch verspürt zu haben, doch wahrscheinlich kam dieser von der offen stehenden Tür am Ausgang zum Flur. Da hörte sie ein leises Knistern, kaum von ihren Ohren wahrzunehmen. Sie schüttelte gedankenverloren den Kopf. Doch dann noch einmal, ein Knistern von Papier.

Ein Schaben auf dem Steinboden.

Margret runzelte die Stirn, vermochte jedoch keinen Laut von sich zu geben und drehte sich dem Raum wieder zu. Langsam hob sie die Kerze, sodass der Raum ein wenig mehr erhellt wurde und geheimnisvolle Schatten flackerten.

„Ist da jemand?“, rief Margret zu laut, sodass sie vor ihrem eigenen Echo zusammenfuhr.

„Hallo? Ist da irgendjemand?“, versuchte sie es erneut.

Doch nichts.

Einsame Stille, so wie sie gedämpft bis unter die Decke reichte. Sie wollte sich gerade dem Ausgang erneut zudrehen, da hörte sie ein leises zirpendes Geräusch. Es kam von einem Stapel Kartons, die sich rechts vor ihr auftürmten. Als sie die Kerzenflamme in die Ecke hielt, entdeckte sie die Quelle des Geräusches.

Es war ein Käfer, gerade so groß wie ein Teelicht, aber in einem so wunderschönen schimmernden Maigrün, wie sie es nur in den Gemälden im ersten Stock gesehen hatte. Ihr pochendes Herz beruhigte sich schnell wieder.

„Du bist ja ein hübsches Exemplar“, flüsterte Margret und ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. Die glitzernden Farben faszinierten sie. Margret streckte vorsichtig ihre Hand aus, um ihn auf ihren Finger zu locken.

„Was heißt denn ‚hübsches Exemplar‘?“, kam es von dem Käfer. Margrets Augen wurden groß und sie zog voller Schreck ihre Hand zurück.

„Das kann nicht sein“, raunte sie, doch der Käfer ignorierte ihre Reaktion.

„Habt ihr noch nie von den Smaragdkäferlingern gehört? Wir sind ähnlich den Königswesen und nur sie können unsere Klänge, unsere Sprache verstehen.“

Margret wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, sie hatte sich immer erträumt, solch ein geheimes Wesen aus Geschichten kennen zu lernen, doch jetzt, wo sie sich einem dieser Geschöpfe gegenüber sah, wusste sie sich nicht, was sie sagen sollte.

„Ich bin Margret und wohne hier mit meinen Eltern in diesem Anwesen. Ich bin keine aus der Blutlinie der Caesarier, bei meinem Vater reißt diese ab. Ich habe kein reines Blut!“, versuchte Margret ihre Überraschung zu überspielen.

„Das ist wahrhaft rätselhaft“, antwortete der Käfer, „denn nur reines Blut ist dazu befähigt. Doch dies soll vorerst nicht unser Rätsel sein. Mein Name ist Hubertus, Hubertus von Marbius. Ich bin Begleiter des Prinzen von Hartolius. Haben Sie schon jemals von dem Königspaar Hartolius und ihrem Prinzen gehört?“

„Nein“, antwortete Margret, mehr konnte sie nicht hervorbringen. Die Situation war zu grotesk.

Während der geheimnisvolle grüne Käfer sprach und Zirplaute von sich gab, wippten seine zwei dünnen Fühler auf und ab.

An den Spitzen dieser, saß je eine leuchtende Perle. Sie änderten ihre Farben wie die des Regenbogens.

„Es ist sehr schön, Sie kennen zu lernen, Miss Margret, und ebenso ein Wunder, Sie hier anzutreffen. Ich überlege seit langem, wie ich mit Ihnen Kontakt aufnehmen könnte. Doch auch wenn diese Aufgabe gemeistert wurde, noch ist die Zeit nicht reif, Sie in unser Vorhaben einzuweihen“, antwortete Hubertus.

Margret fiel es schwer, dem Ganzen zu folgen.

„Versprechen Sie mir, Miss Margret, dass wir uns hier noch einmal wiedersehen, sodass ich Sie dann in unseren Plan einweisen kann. Kommen Sie in drei Tagen zur frühen Nachmittagsstunde wieder hier hinunter in die Katakomben! Ich bitte Sie im Namen aller, deren Schicksal auf dem Spiel steht“, sprach er und drehte sich hektisch zur Steinwand um, durch die er im Bruchteil einer Sekunde entschwand.

Margret stand verwirrt in dem kalten Raum und achtete auf das kleinste Geräusch. Doch es herrschte Totenstille.

Über dieses ungewöhnliche Gespräch hatte sie die Zeit vollkommen vergessen. Sie rannte mit der Kerze in der Hand, deren Flamme zu erlöschen drohte, die Treppe hinauf, sich einredend einer Sinnestäuschung erlegen zu sein.

Oben angekommen zeugte jedoch nichts von ihrer unerlaubten Abwesenheit. Sie zog sich unbemerkt in ihr wohlig warmes Dachzimmer zurück, das ihr wie eine paradiesische Insel vorkam, nachdem sie das feuchte Gewölbe verlassen hatte. Sie setzte sich auf das Bett, das ein leises Knarren von sich gab und zwang sich tief durchzuatmen.

Dies war eines ihrer Rituale, was sie immer dann anwandte, wenn eine Geschichte in ihren Büchern zu nervenaufreibend war. Danach schien ihr alles leichter zu fallen.

Als Margret jedoch den letzten Atemzug getan hatte, löste sich ihre Anspannung nicht. Ihre Muskeln zitterten vom Rennen und in ihrem Kopf war immer noch die Erinnerung an den grünen Käfer, der sich ihr in dem Gewölbe im Kerzenlicht vorgestellt hatte und sie bat, in drei Tagen ein weiteres Mal hinabzusteigen. „Das kann doch nicht sein, ich muss geträumt haben“, murmelte Margret vor sich hin und strich mit den Fingern über die Stirn. „Du wirst verrückt, liest zu viele Bücher und kannst die Realität nicht mehr von der Phantasie unterscheiden!“

Mit diesen Worten schüttelte Margret heftig ihren Kopf, sodass ihre Haare herumflogen, als versuchte sie die Erinnerung so aus ihrem Gedanken zu vertreiben.

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