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Kapitel 9
DIE GROSSE HALLE

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Nachdem Hubertus und Prinz Hartolius ein paar Worte gewechselt hatten, weckten sie Margret aus der Gedankenspirale, in der sie seit Hubertus‘ Erklärung gefangen zu sein schien.

„Margret, ich bitte dich nun, dich zu erheben und mir ein weiteres Mal zu folgen. Diesmal wird uns der Prinz begleiten. Er wird uns den Einlass zu den Katakomben dieses Schlosses ermöglichen. Wir müssen weit hinabsteigen, Ihr werdet es gleich sehen“, sprach Hubertus, wandte sich Margret zu und bedeutete ihr sich zu erheben.

Verwirrt erhob sich Margret von ihrem Stuhl, drehte sich in die Richtung, aus der sie ursprünglich diesen Raum betreten hatte, doch Hubertus und der Prinz nahmen einen anderen Weg hinaus.

Eine alte Eichenvitrine, unscheinbar in der Ecke, schob sich wie von Geisterhand von ihrem Platz zur Seite und offenbarte dahinter in der Wand ein düsteres Loch.

Hubertus und Prinz Hartolius glitten in die Finsternis und Margret stand für einen kurzen Moment regungslos allein in dem Beratungszimmer und strauchelte dann mit schweren Beinen den Smaragdkäferlingern hinterher in die Dunkelheit.

Dieser Gang erinnerte sie an den Weg in den Keller.

Etwas weiter hinten hingen in einfachen Eisenfassungen Holzfackeln mit lodernden Flammen, die in den Gang, bei Öffnung der geheimen Tür, tanzende Schatten zauberten. Nach ein paar Lidschlägen und Augenzwinkern hatten sich Margrets überrumpelte Augen an die Umgebung gewöhnt und sie eilte den Käferlingern hinterher, deren Farben völlig andere Nuancen angenommen hatten. Schräg führte der Gang abwärts, bis Margret schließlich Hubertus und Prinz Hartolius eingeholt hatte und sie vor einer dunklen Treppe standen, die sie hinab in noch schwärzere Dunkelheit führte. Die Geräusche, die in den engen Gängen von den kratzenden Füßen der Käferlinger widerhallten, erzeugten von Zeit zu Zeit eine Gänsehaut auf ihrem Nacken und ihren Unterarmen.

Lange stiegen sie die schrägen Treppen hinab, die mit den Jahren schon einige Besucher gesehen haben mussten, die diesen geheimen Gang genutzt hatten, um vor Angreifern zu flüchten oder heimlich diesem Schloss zu entfliehen.

Der Weg, den sie genommen hatten, endete nach dem Abstieg in einem ebenso langen Gang, der sie zur Treppe hingeführt hatte, bis sie auf einen Torbogen zusteuerten, der in dem schummrigen Licht wie ein gleißender Eingang zum Himmel wirkte. Der Raum, den sie betraten, war eine riesige Halle, ein Forschungslabor. Als Margret den Blick schweifen ließ, erblickte sie mehrere Apparaturen, die zur Messung ihr unbekannter Parameter dienten. Das hektische Treiben nahm auch keinen Abbruch als Margret, Hubertus und der Prinz die Halle betraten, nur eine kurz angedeutete Verbeugung in Richtung des Prinzen unterbrach kurzfristig den Weg der Smaragdkäferlinger, die emsig durch die Gegend liefen.

Hubertus führte sie durch diese Anhäufung von Gerätschaften in einen abgetrennten Raum.

Abgehangen mit einem stoffähnlichen Material, eröffnete sich vor Margret ein Bereich, der vollgestellt war mit aufgespannten, pergamentartigen Landkarten, deren Farben mit der Zeit schon abzublättern drohten. Auf zahlreichen Tischen stapelten sich große und kleine Pergamentrollen, mit und ohne Siegel, die eindeutig ihre edle Herkunft preisgaben.

An der hinteren Wand hing eine in die Jahre gekommene grüne Schiefertafel, ähnlich der, die Master Crispin immer so voller Inbrunst mit Geschichtszahlen füllte. Nur das diese, um einiges größer war, als jene, die sie kannte.

Der Smaragdkäferlinger, der in diesem kleinen Reich herum wuselte, schien ein ebenso in die Jahre gekommener Käferlinger zu sein. Woran sie dies fest machte, wusste sie selbst nicht genau, jedenfalls war dieser, keiner von jenen älteren Geschöpfen, die einen grauen langen Bart trugen und Uhuaugenbrauen hatten. Es war eine Aura von Ehrfurcht und Wissen, die ihn umgab. Nur eine kleine goldene Brille, die er trug, passte in dieses Klischee und machte ihn zu einem derartigen Gelehrten, dem ein Zuhörer wie gefesselt an den Lippen hängt. In dem Moment in dem Margret ihn musterte, drehte er sich zu den Besuchern um, begrüßte sie sogleich mit einem gütigen Lächeln und eilte die wenigen Schritte auf Margret und Hubertus zu.

„Margret, darf ich vorstellen: dies ist unser geschätzter Archimederius“, setzte Hubertus zu einer Bekanntmachung an. „Er ist unser weisester Gelehrter und wir können uns glücklich schätzen, ihn bei uns zu haben.“

„Ich fühle mich geehrt, Euch kennen zu lernen, Herr Archimederius“, entgegnete Margret etwas unbeholfen.

„Hallo Margret, schön dich zu treffen, mein Kind“, entgegnete Archimederius warmherzig der neuen Bekanntschaft.

„Und es ist auch schön, dich einmal wieder zu sehen, Magnus. Seit du dein Studium vor einigen Jahren beendet hast, sieht man dich hier unten seltener als einen Sonnenstrahl“, setzte Archimederius Magnus in einem strengen Ton entgegen und erst als er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte, erkannte Margret, dass jene Ermahnung scherzhaft gemeint war.

Ganz im Gegenteil, Magnus und Archimederius mussten sich schon seit jeher gut kennen, jedoch ohne dass Magnus jemals den Respekt, den der Lehrmeister verdiente, außer Acht ließ. „Er ist wie mein eigener Sohn, den ich nie hatte“, erklärte Archimederius kurz in Gedanken versunken, während er Magnus die Schulter tätschelte und seine Augen noch so viel mehr erzählten. Doch schnell kehrte der Wissenschaftler in ihm zurück und wandte sich an den letzten in der Runde.

„Auch schön dich wiederzusehen, Hubertus! Du warst immer ein furchtbarer Schüler und dein Glück war es, zusammen mit Magnus unterrichtet worden zu sein“, fügte Archimederius an Hubertus mit einem Zwinkern hinzu. „Doch dies ist nun nicht von Belang“, sagte Archimederius und schaute die beiden noch einmal mit einem wissenden Lächeln an: „Wie ich euch bereits erklärt habe, sind die geschichtlichen Quellen nicht sehr ergiebig. Ich habe in all den Jahren, in denen wir nun um die Gefahr der Dunkelheit wissen, so gut wie alle Dokumente durchgelesen, manche mehrfach, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis. Vielleicht auch nur eine Andeutung, die uns eine Möglichkeit geben würde, wie wir die Sonne wieder in ihr Himmelsreich zurückbringen können. Das Einzige, was wir aus diesen, zum Teil vorzeitlichen Überlieferungen und Texten entnehmen können, ist, dass es ein bis zu diesem Zeitpunkt noch nie dagewesenes Unglück größten Ausmaßes ist. Es wird, falls dieses Thema überhaupt Erwähnung findet, immer nur von der Apokalypse geschrieben. Wobei in der einen Überlieferung diese Katastrophe epischer und zerstörerischer geschildert wird, als in einer anderen Niederschrift.

Doch nirgends findet sich irgendein Hinweis auf die Möglichkeit, die alten Zustände wiederherzustellen. In der Schrift des Larius, die vor tausenden Jahren verfasst wurde, lange bevor die Königskriege die Erdoberfläche erschüttern ließen, wird die Apokalypse durch das Untergehen der Sonne verkündet. Dies ist unser einziger Anhaltspunkt.

Und nur in dieser Überlieferung steht etwas von dem ältesten caesarischen Geschlecht, das auch jetzt mit dem Geschehen verbunden sein wird. Ich kenne diese Pergamente wie kein anderer, aber erst als ich sie jetzt erneut durchlas, fiel mir ein Vermerk ins Auge. Ich glaubte immer, dass es sich dabei um einen Pergamentfleck handelte, doch bei näherer Betrachtung unter meinem Tamalinoptosskop, stellte ich fest, dass es nicht nur ein einfacher Fleck war. Es ist ein Symbol. Über die Jahre ist es stark verblasst und durch die Pergamentalterung verzerrt worden. Es ist ein Teil des Wappens der Choclair-Linie.“

Bei diesen Worten weiteten sich Margrets Augen.

Sie wusste zwar, dass die Familie, aus der ihr Vater Arthur entstammte, alt und ehrwürdig war, doch dass sie in der ältesten Überlieferung zu finden ist und sie als Letzte in diesem Stammbaum steht, vermochte ihr ein Ausmaß des Ganzen ankündigen.

„Ja Margret, genau dies ist der Grund, weswegen dein Mitwirken möglicherweise unablässig sowohl für unser Vorhaben, als auch für unser Ziel sein wird“, antwortete Magnus Margret, die sich zum allerletzten Mal schwor, nicht nochmals durch ihre Mimik entlarvt zu werden. Die Smaragdkäferlinger hatten die Gabe, in ihr wie in einem offenen Buch lesen zu können und ihr so alle Geheimnisse zu entlocken.

„So liebste Margret, nachdem sich hoffentlich bei dir das erste Erstaunen gelegt hat, ist es nun an mir, dir den zweiten Teil meiner Erkenntnisse mitzuteilen“, fuhr Archimederius in einem verschwörerischen Tonfall fort, als würde nun etwas seine Seele belasten.

„Es geht um den Ort, der genannt wird, um mit dieser Reise zu beginnen. Magnus und Hubertus, ich hoffe, ihr habt es Margret schon erzählt! Es handelt sich um die Unterwelt oder den wie nach seinen Bewohnern benannten Ort: Schattenheim.

Jenen Ort, den die Schattenwesen ihr zu Hause nennen.

Den Ort, den irgendwann jeder von euch Menschen und Caesariern einmal besuchen wird. Doch im Zusammenhang mit unserem Weg dort hinunter ergeben sich einige Probleme. Ein Wissenschaftler, der es sich damals zur Aufgabe gemacht hatte, die Unterwelt zu erforschen, schrieb eine derartige Abenteuerreise auf ein Pergament, demnach der Weg Orte und unüberwindbaren Hindernisse der unsrigen und der alten Welt enthält. Ich habe für dich ein paar Dinge zusammen getragen, die dafür sehr hilfreich sein könnten. Zuallererst eine Kutte aus schwarzem Stoff, die euch sowohl auf dem Weg dorthin, als auch an dem Ort von größtem Nutzen sein wird.

Und dann Margret für dich diese Tasche, die ich für dich noch mit Dingen füllen werde, die ebenso über Leben und Tod oder über Erfolg und Misserfolg entscheiden können“, erzählte Archimederius derart versunken in die Vorbereitungen.

„Moment!“, stieß Margret wahrscheinlich zu schnell und zu laut heraus, als dass sie die Etikette gegenüber Archimederius gewahrt hätte.

„Was soll das bedeuten: eine Kutte für mich?“

„Ihr habt es ihr noch nicht erzählt?“, fragte Archimederius an Hubertus und Prinz Magnus gewandt. „Ihr habt ihr erklärt, dass die Reise in den Hades gehen wird, aber ihr habt ihr nicht erzählt, dass sie in gewisser Weise alleine reisen muss?

Margret, es ist so, dem Prinzen Hartolius sind bei diesem Problem die Hände gebunden. Zum einen ist es ist ihm nicht gestattet, das Smaragdschloss zu verlassen. Zum anderen ist es allen Wesen, die nicht menschlichen oder caesarischen Geblüts sind, verboten das Reich der Unterwelt zu betreten. Doch sei unbesorgt, Hubertus wird mit dir reisen, zwar nicht so, wie du es dir offenbar vorgestellt hast, aber er wird dich im Schutze deiner Kapuze begleiten“, vollendete Archimederius seine Erklärung.

Auf diesen Schock sank Margret auf einem nächstgelegenen massiven handgeschnitzten Stuhl nieder, der zwar keine Rückenlehne besaß, aber gleichermaßen gut gepolstert war wie jene aus dem Konferenzsaal.

Kaum dass Margret Platz genommen hatte, begann sich wie in Trance eine neue Gedankenspirale zu drehen, in denen die Worte: Unterwelt, Kutte, Alleine, immer wieder in die Tiefe rauschten. Sie hatte für einen kurzen Augenblick völlig vergessen, wo sie eigentlich war, die Aufregung Archimederius kennen zu lernen hatte sie vergessen lassen. Erst als sie mit einem Fühler von Hubertus angestupst wurde, wachte sie auf, wie aus einem Traum.

In diesem Moment regte sich ein Gefühl tief unten in ihrem Bauch, unbeschreiblich für diesen Moment, sodass sie von dem alten Stuhl festen Gesichtsausdruckes aufsprang, gegen ein Gerät stieß und es zu Boden fiel, die Hände zu Fäusten geballt und sich aus weiter Ferne sagen hörte: „Was genau muss ich tun?“

„Nicht so stürmisch, Margret!“, versuchte Hubertus zu beruhigen.

„Es ist richtig, unsere Reise, zur Rettung der Erde, wird wahrscheinlich in der Unterwelt beginnen. Jedoch ist ein Umweg von Nöten, den wir einschlagen müssen, um an diesen Ort zu gelangen. Niemand spaziert zum Ufer des Flusses, der zur Unterwelt führt. Niemand wird aus Höflichkeit vom Fuhrmann des Bootes gebeten an Bord zu steigen, um eine Überfahrt zu machen. Jeder, der dieses Reich betreten will, muss einen Tribut zollen und einen besonderen Gegenstand mitnehmen, um dem Fuhrmann sein Ableben gewissermaßen zu beweisen. Denn Aussehen und mitgegebener Reichtum allein sind dort nichtig.

Lange mussten wir nach der Antwort auf die Frage suchen, welchen besonderen Gegenstand der Bittsteller mitbringen muss, um den Fuß in den Kahn setzen zu dürfen. Glaub mir, es war nicht einfach, schließlich ist ein Betreten der Unterwelt sowohl für Tiere als auch für Lebende strengstens verboten.

Denn nur an diesem Ort findet die Seele Ruhe.

Der Gegenstand, um den es sich handelt, ist, wie wir herausfanden, kein lebloses Objekt, wie wir es anfänglich gedacht hatten. Es handelt sich vielmehr um ein Lebewesen, so wie die Smaragkäferlinger es sind, das zum Tragen einer Erinnerung auserkoren wurde. Es sind Libellen, die auf den Feldern von Squirilion leben, wobei eine jede von ihnen eine Erinnerung in sich trägt. Es sind Erinnerungslibellen.

Alles, was wir bis jetzt wissen, ist, dass wir zu den Feldern von Squirilion und deren Beschützern, den Squirels, reisen müssen, um eine solche Libelle zu bekommen.“

Obscuritas

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