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Kapitel 13
DIE KÖNIGIN

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Sie waren mittlerweile Stunden gelaufen, während sie durch die Felder streiften, den Blick starr zu den Blüten gerichtet, in der Hoffnung, das zu erspähen, was sie suchten.

Doch lange Zeit sahen sie nur die fliegenden bunten Diamanten.

Nichts als rote Blüten und bunte Libellen.

„Squid, gibt es eine Möglichkeit, sie irgendwie anzulocken?“, fragte Margret, nachdem ihr die Beine schwer wurden.

Doch Squid reagierte nicht mit der von Margret gewünschten Rückmeldung, einer simplen Antwort, sondern plusterte sich auf, bis seine Augen aus den Höhlen zu kullern drohten. Seine gelbe gleichmäßige Haut begann rote unregelmäßige Stressflecken zu bekommen und seine kleinen runden Ohren gingen regelrecht in Flammen auf. „Wie kannst du es wagen, die Königin unter den Erinnerungslibellen anlocken zu wollen? Das ist ja eine unerhörte Frechheit! Die Königin lockt man nicht, man hat Ehrfurcht vor ihr.“

So schnell wie dieser Wutanfall auch gekommen war, verschwanden auch schon die Flecken von der gelben Haut, nahmen die Ohren wieder ihre natürliche gelbe Farbe an und Squid sah wieder aus, wie eine Zitrone auf zwei Beinen, ohne den Anschein einer bösartigen Gefühlsregung. „Entschuldige, ich reagiere bei diesem Thema etwas gereizt. Eigentlich ist es auch nicht die Libellenkönigin, es gib nämlich eigentlich keine, aber ich finde, wenn es eine gäbe , so sollte sie es sein“, erzählte Squid, als wäre nichts gewesen, und lief wieder munter voran.

Völlig abgelenkt von Squids kurzzeitigem Gefühlsausbruch, hätte Margret beinahe das leise Klingen in ihrer Nähe überhört. Als sie sich dann umschaute, wo dieser Laut herkam, erblickte sie genau das, was Squid beschrieben hatte:

Eine schwarz marmorierte handtellergroße Libelle, anmutiger und geschmeidiger als alle anderen, die sie vorher in den bunten und glitzernden Umhängen gesehen hatte.

Schlicht und elegant war ihr schwarzes Kleid und hauchzart ihre langen geäderten weißen Flügel, die im Takt einer ruhigen Melodie schlugen. Sie schwebte in der Luft und zog doch Margrets Blicke auf sich.

Squid und Hubertus, die derweil in ein Gespräch über Pflanzenpflege vertieft waren, schauten sich fragend um, warum Margret plötzlich stehen geblieben war und wie gebannt auf das Feld hinausstarrte. Da sahen auch die beiden dieses anmutige Wesen über einem rot leuchtenden Liebeskelch in der Luft schweben. Squids Mund öffnete sich, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Laut über seine Lippen. Auch Hubertus hatte es vollkommen die Stimme verschlagen, beim Anblick einer solchen Schönheit.

„Jetzt müssen wir sie nur noch fangen“, erklärte Hubertus Margret in gedämpften Tonfall, nachdem er seine Stimme wieder gefunden hatte, „das wird unser größtes Problem, selbst wenn Squid uns helfen sollte.

Die Squirels haben die Fähigkeit die Libellen zu hypnotisieren und ihnen so die Erinnerungen zu entlocken. Sie versetzen sie in einen Trancezustand.“ Squid begann einen dumpfen Ton in seiner Kehle zu erzeugen, und ließ ihn hinaushallen.

Ein Meer aus fliegenden Leibern sammelte sich an der Stelle, an der er stand. Die Todeserinnerungslibelle schwebte einer Königin gleich im Zentrum aller anderen. Je bunter und schöner die Farben der anderen Libellen auch funkelten, sie reichten nie an die Anmut der Todeserinnerungslibelle heran und so hielten sie auch gebührenden Abstand, gleich einem Hofstaat.

Squid traute sich keinen Zentimeter zu rühren. „Ihr müsst versuchen sie zu fangen, ich kann euch dabei nicht helfen. Ich kann dieses Wesen nicht mit meinem Ruf berühren.“

Die Mission schien einmal mehr zu scheitern, wie ein Kartenhaus, das vom Wind dahingeblasen wird.

Da begann Margret plötzlich wie aus heiterem Himmel, eine so melancholische Melodie zu summen, eine die sie selber auch noch nie gehört hatte, und hob langsam, wie in Zeitlupe, die geöffnete Hand. Vollkommen entgeistert blickten Hubertus und der verstummte Squid Margret an und konnten nicht glauben, was sie hörten.

Die Todeserinnerungslibelle tat, was keiner für möglich gehalten hatte. Sie bewegte sich im Takt des traurigen Liedes und flog direkt auf Margret zu.

Ihr sanfter Flügelschlag trug sie durch die Luft direkt auf Margrets erhobene linke Hand hinzu, ohne einen einzigen Lufthauch auszulösen.

Wenige Zentimeter vor der ausgestreckten Hand, hielt sie kurz inne und schaute Margret direkt in die Augen.

Sie hörte in diesem Augenblick plötzlich tief in ihrem Innern, ganz tief unten auf dem Boden ihres Herzens, einen Schrei und verspürte einen Krampf, die ihren ganzen Körper mit einer Gänsehaut überzogen und ihr Sternchen vor den Augen flimmern ließen. Die Libelle ließ sich auf Margrets Handfläche nieder, ohne dass Margret ihr Gewicht spürte.

Margret hörte nur noch, wie eine zarte Stimme in ihrem Kopf wiederhallte: „Ich bin der letzte Todeshauch von Emilien Mathies. Und nun, bin ich dein.“

„Sie spricht zu mir“, wandte sich Margret an Hubertus.

„Das ist ehrlich gesagt das Ungewöhnlichste, was ich je erlebt oder gar gelesen habe. Ich habe nicht gewusst, dass du eine solche Fähigkeit besitzt, Erinnerungslibellen zu rufen, denn diese Fähigkeit besitzen eigentlich nur die Squirels“, antwortete ihr Hubertus gebannt. Wie du es geschafft hast, ist mir ein Rätsel. Ich kann dir auch nicht sagen, welchen Grund das hat, aber wie mir scheint, kann es mit deiner Zeichen zu tun haben, denn diese leuchtet wieder einmal in einem satten Königsblau, seit du mit der Libelle in Kontakt getreten bist.“

Daraufhin hob Margret, ohne dass es ihr bewusst war, die rechte Hand hinter das Ohr und spürte dort die Umrisse ihres Familienmals und wie es pulsierte.

Als sich die Libelle wieder von Margrets Hand erhoben hatte und in der Luft schwebte, hörte sie dann Hubertus zu ihr sagen, mit einer Fühlerbewegung Richtung Squid, der in eine Starre verfallen war und nichts mehr um sich herum wahrzunehmen schien: „Dies ist nun unsere Chance, den Einlass in die Unterwelt gewährt zu bekommen. Doch gefährlich ist es dort unten und nichts kann uns beschützen, wenn wir in die Schattenwelt eintreten. Kennst du dieses alte Rätsel, Margret?

Was ist schneller als ein Blitz?

Es ist ein Gedanke.

Und diese Gedanken werden in Gegenwart von jenen kleinen Flöhen noch um ein Vielfaches beschleunigt. Sie schärfen den Verstand. Nimm einen, solange Squid es nicht bemerkt.“

Margret befolgte Hubertus‘ Anweisungen und griff den Kelch der Blüte, die ihr am nächsten standen, pflückte den Blütenkopf ab, verschloss den Kelch oben, indem sie die Blütenblätter zusammendrehte, und ließ ihn samt seinen Bewohnern in die Tasche gleiten. Da erwachte Squid aus seiner Starre, lächelte beide verträumt und nichts ahnend an und führte sie zurück nach Squirelton.

Eine weitere Nacht verbrachten Hubertus und Margret im Haus von Squid, wobei Margret auffiel, dass gar keine Squirelfrau zu sehen war, wobei die Sauberkeit und besonders die Dekorationen auf eine weibliche Mitbewohnerin schließen ließ.

„Ja, meine liebste Squiranda ist auf den Blütenfeldern unterwegs, sie hat keinen freien Tag bekommen, wie ich, um euch herumzuführen. Sie konnte bis heute, seit wir uns kennen, nicht einen Tag von den Blumen getrennt sein“ erklärte Squid. „Sie sagt, die Blüten streicheln ihre Seele. Sie ist wirklich mein Ein und Alles.“ Mit diesen Worten führte Squid sie in das heimische Wohnzimmer. In diesem klein wirkenden Häusern steckte wirklich mehr, als Margret auf den ersten Blick erahnte. Squid und Hubertus machten es sich bei einem kleinen Umtrunk auf einer Couch bequem und genossen ein Gebräu, welches ebenso leuchtete, wie die Kelche der Blumen auf den Feldern.

Margret setzte sich in einen bequemen Sessel und die Libelle, die ihr nun wie ein Schatten folgte, schwebte hinter ihr her und ließ sich auf der hohen Rückenlehne des Sessels nieder. Seit sie unterwegs zum Haus von Squid waren, hatte dieser nicht mit dem Grinsen aufgehört, eine Erinnerungslibelle dieser Art gefunden zu haben, die ihm nun das zweithöchste Ansehen neben dem Squirelmeister verlieh.

Doch Margret wollte darüber nicht weiter nachdenken, sie war in ihren Gedanken versunken und war nur froh, den Weg nicht alleine zum Haus von Squid zurückfinden zu müssen. Alles drehte sich um diese faszinierenden Libellenwesen und ganz besonders um die eine Todeserinnerung, die so selten war und ihr nun unscheinbar folgte.

Hubertus und Squid wurden mit jedem Schluck, den sie tranken, gesprächiger und lustiger, sodass Margret sich bald in das große Bett zurückzog, natürlich nicht, ohne eine geruhsame Nacht zu wünschen. Sie wusste, dass es bei Hubertus und Squid heute länger dauern würde. Hubertus versuchte so viel wie möglich von Squid zu erfahren. So stieg sie hinab, nicht nur zu ihrem Bett, sondern auch in das Reich der Träume. Als sich der durchsichtige Vorhang vor ihren Augen zuzog, vernahm sie nur noch die klingenden Worte: „Möchtest du die Erinnerung sehen? Sie ist schön und traurig zu gleich und wird dir so manch unruhigen Gedanken bereiten, der dich tief hinunter bis zum Abgrund reißen wird, aber auch einige, die dich mit einem Hochgefühl auf die höchsten Wolken trägt.“ Dann riss die Verbindung ab und Margret versank.

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