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Kapitel 4
FREDRIK

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Am darauffolgenden Tag hatte Margret kein Glück, dem Unterricht mit Master Crispin zu entkommen.

Es war furchtbar langweilig während der Stunden. Auf dem Plan stand Geschichte und Margret wusste von vornherein, dass die Zeit heute zäh vorbeifließen würde.

Sie fühlte sich, seit sie Platz genommen hatte, in dem Raum gefangen, in dem die Luft vor Hitze stand.

Die Langeweile, die Margret beschlich, lähmte förmlich ihre Gedanken. Sie hörte nur Bruchteile dessen, worüber Master Crispin philosophierte. Es waren die Königskriege, so viel wusste sie. Doch um welche Schlacht es sich diesmal handelte, war an ihr vorbeigezogen. Master Crispin entstammte einer ehrwürdigen Familie. Kampfesmut war nie in seinen Adern geflossen, um in die Fußstapfen seines Vaters Louis Crispin treten können, doch seine Passion fand er im Studium der Geschichte und Sprachen.

Einige Wortfetzen drangen Margret ans Ohr und drängten sich in ihre Gedanken: „Ich kann somit direkt von den Vorkommnissen am grauen Berg und den Kranichanhöhen berichten. Über Anfang, Verlauf und Ausgang, jeweils aus den Blickwinkeln der beteiligten Mächte. Dieses Tagebuch“, dabei hielt Master Crispin ein zerschlissenes in braunes Leder gebundenes Buch in der linken Hand nach oben, was seine These untermauern sollte, „ist das achte Buch aus den Memoiren meines Vaters über das Herrschertum des erbarmungslosen Grafen. Eine Zeit“, er holte tief Luft, „in der die Grundsteine für die Kriege gelegt wurden. Und auch sie Fräulein Choclair werden die Königskriege und die damit verbundenen Finten und Intrigen kennen lernen. Ein spannenderes Thema kann ich mir nicht vorstellen.“ Damit schloss er seinen Vortrag fürs Erste ab, drehte sich zu der zerkratzten Schiefertafel um und begann Unmengen von Jahreszahlen niederzuschreiben.

Doch Margret, obwohl sie auch einer caesarischen Familie entstammte, konnte sich nicht dafür begeistern. Sie wusste, dass die Königskriege ausgebrochen waren, weil die Menschen sich von den Caesariern unterdrückt fühlten. Sie glaubten, Müßigkeit war in die Herzen der Caesariern eingekehrt und lähmte deren Gedanken, sodass sie ihre Aufgabe nicht mehr erfüllten. Sie wollten aufbegehren, selbst den Schutz des Universums übernehmen, doch sie vergaßen dabei, dass ihnen die Kraft fehlte, die den Caesariern mit ihrer Geburt verliehen wurde. Margret wusste um die Blutbäder, die veranstaltet wurden, in denen Willensstärke gegen verliehene Kraft kämpfte. Während Master Crispin weiterhin die Tafel füllte, konnte sie wieder ihren eigenen Gedanken folgen.

Sie erdachte lieber ihre eigenen Geschichten, wollte nichts von Crispins Umschreibungen der Schlachtszenen wissen und ließ ihre Gedanken davonfliegen, auf der Suche nach Abenteuern. Sie landete bei Harriet im Botanikum. Harriet war eine Pflanzenkundige, eine Frau deren Wissen auf Heilkräften der Natur beruhte. Oft schon hatte Margret versucht, sie nach ihren Fähigkeiten auszufragen, woraufhin sie ihr nur mit einem Lächeln geantwortet hatte, dass ihr um den Mund spielte.

Sie hatte sich in ihrem Haus, das schräg gegenüber des Hauptgebäudes lag, ein beschauliches Gewächshaus angelegt, in dem alle nur erdenklichen Kräuter in den Beeten wuchsen und ihren betörenden Duft verbreiteten. In den Gängen und Räumen des Anwesens standen auch Pflanzen und sie sah Albert oft dabei zu, wie er sich liebevoll um sie kümmerte, die grünen stummen Lebewesen hegte und pflegte, sodass sie wundervolle Blüten hervorbrachten. Aber so herrlich wie in Harriets Botanik, war es nirgends.

Margret besuchte Harriet oft in dem Paradies. Auf den Blüten und zwischen den Blättern lebten Insekten und prächtige Schmettlerlinge, Könige der Lüfte, mit breiten Schwingen, viel größer als die Nachtfalter, die draußen gegen die Laternen flogen. Die Schmetterlinge mit den weiten Schwingen lebten schon mehr als zwanzig Jahre. In dieser Zeit entwickelt sich die anfangs blasse Farbzeichnung zu immer farbenprächtigeren Mustern.

Nur dort drinnen konnte Margret sehen, welch eine Farbenpracht vor ihrer Geburt draußen herrschte. Gegenwärtig waren alle Töne der Pflanzen draußen matt. Gewächse, die jetzt noch im Freien überlebten, waren teils imposant, teils unscheinbare Nachtschatten, die nicht auf Sonnenlicht angewiesen waren. Jene Pflanzen, die seit der Dunkelheit überlebt hatten, hatten eine schnelle Metamorphose durchlebt und sich an die lebensbedrohlichen Umstände angepasst.

Besonders faszinierten Margret aber die caesarischen Gewächse, die den einzelnen Dynastien der Königwesen zugedacht waren.

Sie waren atemberaubend schön und gefährlich zugleich.

Margret beneidete Harriet, an diesem wundervollen Ort leben zu können, und zog ihre Gedankenfühler wieder zurück durch die Dunkelheit in das helle, warme Studienzimmer im Ostflügel.

Sie beschloss Harriet nach dem Unterricht zu besuchen und zu schauen, ob eine neue Pflanzenart zu bestaunen war.

Die letzten beiden Stunden vergingen noch zäher und Margret stürmte aus dem Zimmer, ohne auf die rufende Stimme des Masters zu achten, der entweder zur Vorsicht ermahnte oder ihr eine Studienaufgabe hätte erteilen wollen. Sie wusste, dass sie nie um diese Aufgabe herumkommen würde, doch für heute war es überstanden.

Harriet begrüßte Margret schon, als sie über den Rasen eilte und lud sie zu Tee und Kuchen ein. Sie setzten sich in das Botanikum, das mit Kerzen beleuchtet war. Die Blüten verströmten einen betörenden Duft. Margret liebte es, wenn Harriet, wie ihre Mutter, Geschichten von früher erzählte.

Manchmal sah sich Margret in einem der schönsten Kleider und einem mit Blumen besetzten Hut auf einer Wiese sitzend, saftig grünes Gras bedeckte einen Hügel und fühlte sich wie ein weiches Polster an. Kleine bunte Tupfen waren zwischen den zarten Grashalmen zu erkennen und gaben sich beim näheren Hinsehen als verzückende Blümchen zu erkennen. Ihre Farben waren so vielfältig, wie die Form ihrer Blütenblätter. Harriet erzählte, dass manche von ihnen auf unterschiedliche Pfeiftöne reagierten, sodass sie ihre Köpfe zu den Lauten reckten.

Doch am meisten liebte Margret die Flora Florinnae. Ihre Lieblingsblume, eine elegante Blüte aus dem Geschlechte der Bella Florinnae, die schon damals von Caesariern wegen ihrer Schönheit verehrt wurde und einst die Blüte der Choclairs war. „Grazil und anmutig regte sie, wenn die Sonne schien, ihr Haupt zum blauen Himmel. Ihr entschwebte ein Duft, dem keine Biene widerstehen konnte“, erzählte Harriet.

„Jedoch das geheimnisvollste, was sie umgab, war ihr Gesang. Nur wenige können das betörende Singen dieser verlockenden Königin vernehmen. Und jene aus dem Geschlecht der Choclairs, die dazu auserkoren sind, seien von Glück und Liebe im Leben beseelt. Aus ihr ließen sich die stärksten Heiltränke herstellen“, erzählte Harriet mit verklärtem Blick.

Aber seitdem die Dunkelheit alles umschlossen und die Finsternis sich ausgebreitet hatte, wurde sie nie wieder gesehen. Nicht einmal Harriet konnte eine von ihnen ihr Eigen nennen, obwohl ihr Botanikum an Größe und Schönheit nicht zu übertreffen war.

„Ich war vor langer Zeit zusammen mit meinem Mentor, Master Wickleton, auf Expeditionsreise. Ein begnadeter Mann im Bereich der Blitzheilung. Nur zwei Menschen auf dieser Erde beherrschten diese.

Er und Damarinius, ein begnadeter Alchemist, waren Entwickler einer Essenz, die schlimmste Verletzungen heilte.

Auf einer Reise um die Welt, fanden sie den Hauptbestandteil dieser Essenz. Aber etwas lief schief. Master Wickleton hatte nie davon erzählt, aber man munkelt von einem gescheiterten Experiment, dessen Ergebnis so schrecklich und furchterregend war, dass sie schworen nie wieder diese Essenz herzustellen. Master Wickleton nahm dieses Geheimnis mit in sein Grab.“ Harriets Stimme wurde traurig, während sie davon erzählte.

„Doch genug davon, heute habe ich für dich eine Überraschung“, sagte Harriet geheimnisvoll und stand auf, um einen kleinen unscheinbaren Karton mit kleinen Löchern aus dem Nachbarzimmer zu holen und ihn vorsichtig auf Margrets Schoß zu platzieren.

Sie hob den Deckel des Kartons, griff hinein, lächelte kurz und hob ein grünes Geschöpf aus dem Behälter. Margret konnte ihren Augen kaum trauen. Es war eindeutig ein grünes Amphibium mit zwei großen Augen, die erhaben von der Seite abstanden. Zwei kleine Nasenlöcher und ein breiter Mund darunter. Vorne auf der Stirn befand sich eine rote rautenförmige Zeichnung, die genau zwischen den grünen Augen mit den spindelförmigen Linsen saß. Die vorderen Gliedmaßen waren kurz, die hinteren vor Kraft strotzend zusammengefaltet und an allen vier Füßen befanden sich jeweils vier Zehen.

Nach dieser Betrachtungsweise eindeutig ein kleiner grüner Frosch, dem es in der Hand von Harriet sehr zu gefallen schien und der seine Umgebung aufgeweckt musterte.

Doch wollte Margret ihn nicht so recht einordnen, denn hinter den Augen wuchsen zarte blonde Locken.

„Dein Gesicht verrät deine Gedanken“, sagte Harriet verschwörerisch und reichte ihn ihr. Um das Geheimnis um meinen kleinen Freund hier zu lüften: Es handelt sich bei diesem Exemplar um einen, aus dem tropischen Sümpfen von Boloir kommenden, Ranunculus cirrii. Ein guter Bekannter hat ihn mir von einer seiner Reisen mitgebracht. Es ist ein Lockenfrosch.“

Margret entgleisten scheinbar die Gesichtszüge, denn Harriet begann köstlich zu lachen. „Ein treuer Begleiter wird er dir sein, also lass uns einen Namen für ihn finden. Wie möchtest du ihn nennen? Doch bedenke gut, seinen Namen wird er nur anerkennen und auf ihn hören, wenn er ihm gefällt!“ Margret brauchte nicht lange zu überlegen, denn wenn sie einen Namen mit einem Frosch verband, dann nur einen.

Fredrik.

„Ich werde ihn Fredrik nennen, wenn er nichts dagegen hat. Fredrik der Lockenfrosch.“ Danach wandte sie sich unsicher an ihren neuen Gefährten: „Hallo, Fredrik, mein Lockenfrosch?“ fragte Margret und kraulte das kleine grüne Kinn.

Als hätte Margret auf eine richtige Antwort gewartet, gab Fredrik ein erfreutes Quaken von sich und schmiegte sich an ihre warme Hand.

Margret verbrachte noch ein paar Stunden in dem Paradies, lauschte den Geschichten von abenteuerlichen Reisen und machte sich dann auf den Weg in ihr eigenes Zuhause. Sie wollte unbedingt an diesem Abend in ihr Bett schlüpfen und das Erlöschen der Laternen beobachten, bis sie nur noch ein leichtes orangenes Glimmen von sich gaben.

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