Читать книгу ALBATROS - Urs Aebersold - Страница 11
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Unweit der Autobahnabfahrt lag die Spedition Kallmann & Sohn in einem Gewerbegebiet, das sich seit ihrer Gründung vor mehr als siebzig Jahren sprunghaft vergrößert hatte. Auf dem großzügig bemessenen Areal waren die Werkhallen, das Verwaltungsgebäude und das Wohnhaus, das ursprünglich vollkommen im Freien gestanden hatte, immer wieder ausgebaut und renoviert worden, dennoch umwehte die Firma noch der Hauch ihrer Gründerzeit. Auf dem Parkplatz und und vor den Rampen überwogen große, schon in die Jahre gekommene Laster, und die Mitarbeiter bewegten sich in einem gemächlichen Tempo über das Gelände.
Mia fuhr quer über den Innenhof und parkte vor dem Bürogebäude. Sie zog den Zündschlüssel ab und sah Leonard mit einem aufmunternden Lächeln an.
"Ich weiß zwar nicht, wie sich eine Ehefrau benimmt, aber ab und zu ein bewunderndes Lächeln dürfte nicht schaden…"
"…und wundere dich nicht, wenn du hin und wieder meine Hand auf deiner Schulter oder um deine Taille spürst…"
Beide mußten herzlich lachen, dann griff Leonard nach der Tür.
"Also dann, Herr und Frau Sebastian und Sabine Kambach…"
Sie stiegen gleichzeitig aus, die Bürotür öffnete sich, und das junge Ehepaar Kallmann kam ihnen entgegen. Der Junior war um die vierzig, ein stämmiger, aufrechter Mann mit einem festen Blick, seine Frau war etwas jünger, hatte kluge, lebhafte Augen und feine Lachfältchen um den Mund. Der Ehemann sprach als erster.
"Freut mich, Sie bei uns begrüßen zu dürfen…"
Er trat vor und streckte Mia seine Hand entgegen.
"Georg Kallmann… meine Frau Gesine…"
Mit einem unsicheren Grinsen wandte er sich an Leonard.
"Und Sie sind…"
Leonard deutete zuerst auf Mia und dann auf sich.
"Sabine und Sebastian Kambach… wie besprochen…"
Georg Kallmann wirkte erleichtert.
"Mit mir und meiner Frau können Sie offen reden, doch solange mein Vater in der Nähe ist…"
"Wir tun unser bestes…"
"Dann folgen Sie uns bitte…"
Kallmann ging ihnen voraus, seine Frau ließ Mia und Leonard mit einem Kopfnicken passieren. Das Büro war geräumig, die zwei, drei Angestellten wirkten irgendwie verloren hinter ihren alten Holzschreibtischen und Rollschränken, immerhin benutzten sie Computer. In einem durch eine Glaswand abgetrennten Verschlag saß der Senior, um die siebzig, auf einem Drehstuhl, dessen Polsterung an manchen Stellen aufgeplatzt war. Sein Sohn klopfte kurz gegen die Scheibe und öffnete die Tür.
"Vater, hier ist das Ehepaar, das sich den Betrieb mal ansehen wollte…"
Im Gegensatz zu seinem Sohn war Ernst Kallmann groß und hager, seine starren, hellblauen Augen wirkten nicht so, als hätten sie oft gelacht, ein bitterer Zug ließ seinen Mund schmal und hart erscheinen. Doch jetzt schien er sich zu beleben. Etwas wacklig stand er auf, kam Leonard und Mia entgegen und schüttelte ihnen die Hand.
"Freut mich, freut mich… kommt nicht oft vor, daß junge Leute sich sowas wie das hier antun wollen…"
Er ergriff einen Stock und humpelte zum Ausgang. Sein Sohn, dessen Frau, Mia und Leonard wechselten einen raschen Blick. Der Sohn hob ratlos die Schultern. Der Alte öffnete die Tür, trat hinaus und winkte seine Gäste heran.
"Als mein Vater nach dem Krieg diese Spedition aufbaute, war er vorausschauend genug, ein großes Stück Land zu erwerben, und auch ich konnte später noch einiges dazukaufen… wir fuhren Tag und Nacht, im Inland, nach Frankreich und Italien, nach der Wende auch in den Osten… es war ein hartes Leben, aber es hat sich gelohnt…"
Der Glanz auf seinem Gesicht erlosch, und er wandte sich zu seinem Sohn um.
"Jetzt will mir mein Sohn einreden, die besten Zeiten seien vorbei, daß man sich umstellen müsse… dabei muß man sich nur richtig ins Zeug legen, dann läuft der Laden von allein…"
Georg Kallmann legte seinem Vater einen Arm um die Schulter.
"Ach, Vater, du übertreibst…"
Der Senior erwiderte nichts, er starrte nur eine Weile regungslos in die Weite, dann richtete er seine Augen forschend auf Leonard und Mia.
"Wie kamen Sie ausgerechnet auf unsere Firma?"
Leonard sah kurz Mia an und faßte sie leicht um die Taille.
"Wir haben natürlich im Internet recherchiert… mittelgroßer Betrieb, schon sehr lange im Geschäft, vergleichbare Verkehrsanbindung…"
Der Blick des Alten fiel auf das Kennzeichen von Mias Peugeot.
"Ich kenne die Gegend… da gibt’s große Konkurrenz…"
"Das ist uns bewußt… doch der Warenverkehr nimmt ständig zu, man muß es nur richtig anpacken, dann klappt es schon…"
Der Alte starrte ihn und Mia eine Weile an, dann klopfte er seinem Sohn auf den Rücken und nickte seiner Schwiegertochter zu.
"Dann führt sie mal rum, ihr werdet schon sehen, wer recht hat…"
Ohne Gruß drängte sich der Alte an den Gästen vorbei ins Büro zurück und schloß die Tür hinter sich.
Georg Kallmann lachte verlegen.
"Tut mir leid… aber wir haben Sie gewarnt…"
Mia meldete sich zum ersten Mal zu Wort.
"Nich halb so schlimm… aber für Sie wird es schwer…"
Der Rundgang bestätigte im wesentlichen die Eindrücke, die sie aus der Verarbeitung der Daten gewonnen hatten. Noch war die Bilanz ausgeglichen, doch im Fernverkehr, von mächtigen Konzernen längst monopolisiert, konnten Kallmann & Sohn nicht mehr konkurrieren. Und genau dort lag der wunde Punkt. Der in Nostalgie schwelgende Senior wollte nicht wahrhaben, daß Fernfahrten durch Schnee, Eis, Nebel oder brütende Hitze nichts Romantisches mehr an sich hatten, sondern kleine Betriebe nur noch ins Verderben führten. Während die großen Firmen aufgrund ihrer Vernetzung auch die Rückfahrten vollbeladen antreten konnten, waren für kleine Spediteure kurzfristig geplatzte Deals immer öfter an der Tagesordnung, und genau diese Leerfahrten brachen ihnen auf die Dauer das Genick, ebenso die Dumpinglöhne für die Fahrer und die teure Wartung der riesigen Laster, von denen drei Stück verwaist in der Wartungshalle standen. Auch sonst war auf dem Gelände nicht viel los.
Sie waren wieder in der Nähe des Bürogebäudes angelangt und lehnten sich an Paletten, die sich dort hoch aufgetürmt stapelten. Leonard verschränkte die Arme.
"Wir wollten uns zuerst alles genau anschauen, bevor wir Ihnen unsere Broschüre aushändigen, um eventuell noch etwas korrigieren zu können… doch es verhält sich alles so, wie wir es nach Ihren Unterlagen erwartet und berechnet haben…"
Leonard hob den Kopf und sah Mia an, die nahtlos übernahm.
"Unser Vorschlag beinhaltet im Kern, Ihr Geschäft vollkommen aufs Inland zu beschränken, hauptsächlich auf Ihre Region… Sie liegen gut angebunden im Umfeld von drei größeren Städten, der Bedarf an schnellen, spontan buchbaren Transporten nimmt stetig zu…"
Leonard fuhr fort.
"Statt riesige Sattelschlepper, die nie ausgelastet sind, schaffen Sie sich kleinere Fahrzeuge an für kleinere Fracht, die für die großen Firmen unrentabel ist… wir haben sogar an Subunternehmer gedacht… möglicherweise ist auch eine Zusammenarbeit mit den großen Paketzustellern attraktiv für Sie…"
Georg Kallmann nickte bedrückt.
"Nach dem Motto: Kleinvieh macht auch Mist… doch wie finanzieren wir das?"
Mia blätterte in ihren Unterlagen.
"Das geht nicht von heute auf morgen… aber Sie besitzen doch ganz hinten dieses Brachfeld, auf dem sich alles mögliche Gerümpel angesammelt hat… warum verkaufen Sie das nicht?"
Georg Kallmann sah seufzend zu seiner Frau.
"Die schweren Lastwagen und das Auslandsgeschäft sind der Knackpunkt… für meinen Vater sind diese Fernfahrten der Ausdruck für Tatkraft, für Männlichkeit, für sein Lebenswerk… alles andere ist für ihn nur Kinderkram…"
Gesine Kallmann sah ihren Mann sinnend an.
"Wir haben ein paar zuverlässige Kunden in Italien… vielleicht behält er einen Laster und kümmert sich ausschließlich um sie…"
Georg Kallmann schnaubte resigniert durch die Nase.
"Dein Wort in Gottes Ohr…"
Eine Weile herrschte Stille, dann wandte sich Leonard an das Ehepaar.
"Es ist ein schwieriger Prozeß, aber Sie haben keine Wahl…"
Mia zog die Broschüre aus ihrem Aktenkoffer und überreichte ihn Kallmann.
"Hier unsere Dokumentation… falls Sie Fragen haben, sind wir jederzeit für Sie da…"
Leonard nickte dem Ehepaar zu.
"Wir wünschen Ihnen viel Glück…"
Sie schüttelten sich stumm die Hände, das Ehepaar Kallmann ging mit schweren Schritten über den Hof zum alten Wohnhaus hinüber, Mia und Leonard stiegen ins Auto.
Leonard gurtete sich an und sah aufgekratzt zu Mia hinüber.
"Und, wie waren wir?"
Mia zögerte, den Zündschlüssel in der Hand.
"Ich mußte an meinen Vater denken… auch sein Leben verlor plötzlich jeden Sinn…"
Leonards Miene verhärtete sich, seine gute Laune war verflogen.
"Das passiert eben, wenn man blind und stur an der Vergangenheit festhält…"
Ohne etwas zu erwidern, startete Mia den Motor und fuhr übertrieben rasant aus dem Hof hinaus.