Читать книгу ALBATROS - Urs Aebersold - Страница 12
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Am Abend des folgenden Tages trafen sich Leonard und Solange in der Tiefgarage von A&A Consulting. Solange hatte fünf Minuten gewartet, bevor sie ebenfalls das Großraumbüro verließ. Sie stiegen jeweils in ihre eigenen Autos, Solange in ihren Kia, Leonard in seinen Maserati GranCabrio. Er hatte im Diner Number One reserviert, einem sündteuren In-Lokal mit arroganten Bedienungen, das noch nicht lange existierte und fast nur von jungen erfolgreichen Leuten frequentiert wurde, denen es ein dringendes Bedürfnis war, von aller Welt gesehen und bewundert zu werden. Dort trafen sich gelegentlich auch ältere Herren, die das Restaurant zum Aufreißen junger Frauen entdeckt hatten und dabei recht erfolgreich waren. Auch Akerman fand sich dort gelegentlich ein und würdigte Leonard keines Blickes, wenn er ebenfalls zufällig anwesend war.
Solanges' Wohnung lag auf dem Weg, sie parkte ihr Auto, zog sich rasch um und stieg zu Leonard in dessen Maserati. Da er keinen Schluck Alkohol trank, war er es, der sie nach ihren Verabredungen zu ihr nach Hause brachte, wo er meistens bis zum Morgengrauen blieb. Solange war lebhaft und lachlustig und machte sich nicht viel aus schicken Lokalen. Sie war ein Mensch, der sich überall zurechtfand und sich auch an kleinen Dingen erfreuen konnte, doch sie amüsierte sich köstlich über die krampfhafte Wichtigtuerei, die in diesen Etablissements gang und gäbe war. Leonard war sich bisher nicht klar darüber geworden, was ihn an Solange mehr anzog als bei anderen Frauen. Sie war aufgeweckt und anschmiegsam, hatte eine perfekte sportlich-feminine Figur, bewegte sich mit der Leichtigkeit einer Tänzerin und stellte keine Forderungen. Mit ihr war er noch kein einziges Mal aneinandergeraten.
Vor dem Diner Number One herrschte wie üblich hektischer Betrieb. Leonard fand eher zufällig einen Parkplatz, weil ein junges Paar, wilde Beschimpfungen in Richtung des Lokals ausstoßend, in ihren fetten Mercedes AMG G 63 stieg und mit aufbrüllendem Motor davon raste. Drinnen, in dem fast ganz in sterilem Weiß gehaltenen Interieur, dem raffiniert beleuchtete Hopper-Reproduktionen an den Wänden zu einer beklemmenden, künstlichen Intimität verhalfen, herrschte die immergleiche Atmosphäre. Die aufgeblähten Egos schwirrten wie aufgeschreckte Papageien durch die Luft, und wer insgeheim die Augen schweifen ließ, wollte nicht erkunden, wer sonst noch so da war, sondern registrieren, ob man gesehen wurde.
Leonard wandte sich an den geschniegelten Mann am Eingang, der hinter einem kleinen Pult stand und dessen Gesicht eine unnatürliche, fleckige Sonnenbräune verunzierte. Aufgeschlagen auf dem weiß lackierten Metallständer lag das Buch mit den Reservierungen.
"Leonard Lansing, ich habe einen Tisch für zwei Personen reserviert…"
Der Mann fuhr mit dem Zeigefinger über die Zeilen und blieb an einer bestimmten Stelle stehen. Er machte einem livrierten jungen Mann ein Zeichen, der sofort herbeieilte.
"Tisch achtzehn…"
Der Page, oder was immer er darstellte, packte zwei Menükarten und machte zu Leonard und Solange ein herrisches Zeichen mit dem Kopf.
"Bitte folgen Sie mir…"
Er führte die beiden mit allen Zeichen der Geringschätzung an ihren Tisch, reichte ihnen wortlos die Karten und verschwand. Solange und Leonard, der sich genauso wenig beeindrucken ließ von der arroganten Pseudovornehmheit dieses Ladens und nur hierher kam, weil man sich hier eben zeigen mußte, wollte man dazugehören, lachten sich verschwörerisch zu. Am Nebentisch gab ein Mann mit lauter Stimme eine Bestellung auf.
"Eine Flasche ChampagneMoutarde bitte…"
Der Kellner beugte sich murmelnd zu den jungen Leuten hinunter.
"Ich nehme an, Sie meinen einen Champagner aus dem Hause Moutard…"
Der junge Mann richtete sich gereizt auf. Seine Stimme wurde schneidend.
"Ich denke, ich habe mich klar genug ausgedrückt… selbstverständlich meine ich einen Champagne Moutard…"
"Sehr wohl, der Herr… sofort…"
Der Kellner glitt davon, an den Nebentischen wurde es peinlich still.
Leonard und Solange sahen sich an. Der Typ hatte zuerst ganz deutlich <Moutarde> gesagt, also das <d> am Schluß ausgesprochen, was <Senf> bedeutete, die Herstellerfirma schrieb sich jedoch ohne <e>, sodaß das <d> stumm blieb, so, wie es der Kellner gesagt hatte. Solange konnte kaum an sich halten, sie wisperte Leonard zu.
"Ach, Leonard, könnte ich bitte einen Lambordschini mit Senf haben?…"
"Warum nicht? Dazu würde ein Tschianti ganz gut passen…"
Die beiden mußten sich beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Das liebte Solange an Leonard, daß er trotz seines beruflichen Aufstiegs kein Angeber war und sie nicht dauernd mit seinen Erfolgsgeschichten zuquatschte. Allerdings wurde er sofort einsilbig, wenn es um persönliche Dinge ging, so wußte sie noch immer nicht so recht über seine familiären Verhältnisse Bescheid. Stets wiegelte er ab und betonte, daß das, was wirklich zählte, Wahlverwandtschaften waren. Und auch, warum er keinen Schluck Alkohol trank, reizte ihre Neugier. Mitten in ihre Überlegungen platzte der Kellner und baute sich steif vor ihnen auf.
"Haben Sie gewählt?"
Leonard und Solange sahen sich an, Solange schüttelte den Kopf.
"Eigentlich habe ich gar keinen großen Hunger…"
"Ich auch nicht… dann nehmen wir doch einfach den großen Vorspeiseteller…"
Solange nickte zustimmend, und Leonard sah sie an.
"Und zu trinken?"
"Einen Viertel Oeil de Perdrix…"
Leonard wandte sich an den Kellner.
"Also… den großen Vorspeiseteller, einen Viertel Oeil de Perdrix für die Dame und ein kleines stilles Wasser für mich…"
"San Pellegrino oder Perrier?"
"Das Acqua Panna von San Pellegrino…"
Mit eisiger Miene machte sich der Kellner Notizen und sammelte die Speisekarten ein.
"Sehr wohl…"
Mit großer Herablassung wurde schon sehr bald das Essen gereicht und das Einschenken der Getränke zelebriert. Solange und Leonard schoben sich gegenseitig Happen zu und stritten um besondere Leckerbissen, gebratene Artischocken, gegrillte Garnelen, dann zahlte Leonard mit seiner Kreditkarte und gab dem Kellner übertrieben viel Trinkgeld, was dieser völlig richtig als Veräppelung verstand und ihn innerlich noch mehr auf die Palme brachte.
Auf den Straßen war es ruhiger geworden, und Leonard lenkte seinen Maserati gelassen durch den Verkehr. Ein Blickkontakt mit Solange genügte, um zu wissen, was sie sich wünschte - daß er die Nacht über bei ihr blieb. In ihrer Wohnung, die behaglich eingerichtet und mit drei Zimmern größer war als Leonards Apartment, machten sich beide für die Nacht zurecht oder vielmenr für das, was zunächst unausweichlich folgte.
Solange lag nackt im Bett, als Leonard, ebenfalls nackt, geräuschlos aus der Dusche kam. Im gedimmten Licht ihres Schlafzimmers erschrak sie einmal mehr darüber, wie sehr sie sein sehniger, behaarter Körper, der so tierhaft geschmeidig über den Boden glitt, aus dem Gleichgewicht brachte. Leonard hob die Decke und zwängte sich eng an Solange heran. Sie löschte das Licht, ihre Zungen fanden sich, und ihre Hände wanderten erst sachte, dann immer bestimmter über ihre Körper. Mit aufsteigender Spannung rutschte Leonard mit dem Kopf nach unten, er wußte genau, was Solange brauchte, um ihren eigenen Erregungszustand zu erreichen, und erst, als ihr Stöhnen immer lauter wurde, drang er in sie ein und bemühte sich, den hemmungslosen Impuls seiner Bewegungen soweit zu bändigen, daß sie beide gleichzeitig in Ekstase gerieten. Danach lagen sie schwer atmend nebeneinander und hielten sich bei der Hand. Solange hätte gerne etwas gesagt, doch sie wußte aus Erfahrung, daß Leonard gerade in diesem Augenblick völlig unansprechbar war. Sie drehte den Kopf und sah mit leisem Schaudern, daß er regungslos wie ein Toter auf dem Rücken lag.
"Leonard, schläfst du?"
Er drehte langsam seinen Kopf zu ihr um. Sie konnte seine Augen nicht sehen, dennoch spürte sie eine unendliche Qual, die von ihm ausging, für die sie keine Erklärung hatte.
"Geht es dir nicht gut?"
"Alles bestens, warum fragst du?"
"Nur so, ich dachte…"
Solange spürte, wie Leonard sie mit weit offenen Augen anstarrte.
"Ja…?"
"Nichts… ich glaube, ich hole mir ein Glas Wasser… willst du auch?"
"Nein, danke…"
Solange ging mit nackten Füßen in die Küche, füllte ein Glas mit Leitungswasser und trank es gierig aus. Als sie ins Schlafzimmer zurück kam, lag Leonard in tiefem Schlaf. Sie legte sich vorsichtig neben ihn und brauchte lange, bis auch sie zur Ruhe fand. Und wie immer, wenn er bei ihr war, hörte sie im Morgengrauen das Schnarren seiner Armbanduhr, das Rascheln der Decke, die er zurück warf, das Tappen seiner Füße, das Geräusch von Kleidung, die übergezogen wird, und schließlich das Klicken des Schlosses, wenn er wortlos, klamm und heimlich die Wohnung verließ. Jedesmal wurde ihr weh ums Herz, und sie fühlte sich zunehmend billig und benützt, dennoch hatte sie bisher noch nie gewagt zu fragen, warum er nicht bis zum Frühstück blieb. Es war nicht falsche Rücksichtnahme, die sie davon abhielt, so leicht ließ sie sich nicht einschüchtern, sondern etwas in seinem Wesen, das ihr angst machte, als gloste irgendwo tief in seinem Inneren eine Glut, die plötzlich aufflammen und sie verbrennen konnte.