Читать книгу ALBATROS - Urs Aebersold - Страница 7
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Es war früh im Frühling, und draußen herrschte noch Zwielicht, als die Jaeger-LeCoultre Memovox an Leonard Lansings Handgelenk zu schnarren begann und mit sanfter Penetranz in seinen traumlosen Schlaf eindrang. Seine Hand tastete über das Nachtkästchen und schob den Alarmknopf des Weckers, den er zur Absicherung aktiviert hatte, auf Null, kurz bevor er um Punkt 5.30 mit seinem schrillen, mißtönenden Piepsen die morgendliche Stille zerreißen konnte. Erst jetzt öffnete Leonard die Augen und zwang sich, die Decke abzuwerfen, seine Beine über den Bettrand zu schwingen und sich entschlossen auf die Füße zu stellen, entgegen seinem spontanen Bedürfnis, noch eine Weile liegen zu bleiben und sich wohlig zu räkeln.
Nach seinem Gang auf die Toilette begab er sich in die Küche, erneuerte das Wasser des Kaffeeautomaten und schaltete ihn ein, schüttete von seiner Cerealien/Amaranth-Spezialmischung, angereichert mit Trockenfrüchten, in ein Gefäß, gab eine Handvoll Walnüsse dazu, übergoß das ganze mit fettarmer Milch, rührte um und ließ einen Eßlöffel Waldhonig hinein tropfen. In ein zweites Gefäß schnitt er eine Kaki, eine Kiwi und eine halbe Banane klein.
Vor dem bodenlangen Spiegel im Bad rasierte er sich sorgfältig und betrachtete dabei aufmerksam Gesicht und Körper. Mit seinem kurz geschnittenen, struppigen schwarzen Haar, das über dem linken Ohr einen nicht zu bändigenden Kringel bildete, seiner blassen Haut, seiner geraden Nase, die eine Spur zu kurz war, um als römisch zu gelten, seinem straffen Mund, den dunklen, scheinbar pupillenlosen Augen, die auf den ersten Blick schwarz schienen, aber von einem überraschenden Dunkelblau waren, seiner athletischen, animalisch gespannten, knapp über mittelgroßen Figur wirkte er sehr attraktiv, wenn auch ein wenig düster und bedrohlich, wäre da nicht dieser leise leidende, beinahe abbittende Ausdruck in seinen Zügen gewesen, den er eifrig kultivierte, und seine guten Manieren, mittels derer er sein wölfisches Wesen erfogreich zu kaschieren und in das Bild eines dynamischen und zugewandten jungen Mannes zu transferieren vermochte.
Leonard ging in sein Schlafzimmer zurück, rollte eine Turnmatte aus und begann nackt mit seinen Übungen, um Arm-, Bein-, Rücken- und Bauchmuskulatur zu kräftigen, konzentrierte sich auf seine dreißig Liegestützen, die er mit um neunzig Grad abgeknicktem Oberkörper ausführte, damit auch seine Schultermuskeln trainiert wurden, und schloß mit zwanzig Klimmzügen am Türreck ab, bevor er für eine schweißtreibende halbe Stunde auf den Croßtrainer stieg. Die Wärme, die sich allmählich in seinem Körper ausbreitete, und der Schweiß, der ihm überall über die nackte Haut rann, erzeugte in ihm ein atavistisches Gefühl von Allmacht und Unbesiegbarkeit, das ihn im Lauf des Tages nie ganz verließ und ihm immer wieder einen leichten Schauer über den Rücken jagte.
Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, duschte er ausgiebig, rieb seine Achselhöhlen mit dem Deodorant-Stick von Zino Davidoff und sein Gesicht mit dem Rasierwasser aus derselben Duftreihe ein, die nicht mehr hergestellt wurde, von der er sich jedoch über schwer zugängliche und unverschämt teure Quellen einen komfortablen Vorrat angelegt hatte, kleidete sich an, jedoch nicht zu auffällig teuer, da heute die Inhaber eines mittelständischen Betriebs auf seiner Besuchsliste standen, deren Belegschaft ihn für ihresgleichen halten sollte.
In der Küche aß er seinen Getreidebrei mit den frischen Früchten, nahm eine große Tasse Kaffee mit in den Wohnraum seiner schuldenfreien, geräumigen Anderthalbzimmer-Dachgeschoß-Eigentumswohnung, checkte auf seinem Smartphone die Nachrichten und seine Termine für den Tag, trat kurz auf die Terrasse, um die frische Luft zu atmen und mit einer Art heimlichem Besitzerstolz über die erwachende Stadt zu blicken, als würde sie ihm bald gehören, dann verschwand er in der Toilette und bereitete alles für sein tägliches Klistier vor. Seit er vor zwei Jahren mitten in einer Teamsitzung aufstehen und mit einer fadenscheinigen Ausrede den Konferenzraum hatte verlassen müssen, um dem unerbittlichen Drang nachzugeben, seinen Darm zu entleeren, mit dem Ergebnis, daß in seiner Abwesenheit ein Auftrag mit viel Prestige an einen verhaßten Rivalen vergeben wurde, hatte er beschlossen, sich während der Arbeitszeit niemals mehr einer solchen Laune der Natur auszusetzen, auch wenn ihm dieses tägliche Prozedere von Grund auf zuwider war.
Um 7.30 betrat Leonard die Tiefgarage, stieg in seinen dunkelblauen Maserati GranCabrio und fuhr gespannt wie ein Bogen in den neuen Tag hinaus.