Читать книгу ALBATROS - Urs Aebersold - Страница 9
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Leonard ging mit verzögerten Schritten auf den Eingang von A&A Consulting zu und wartete auf das gedämpfte Hauchen, mit der die Türen zur Seite glitten, dann ging er lässig den langen Korridor zu Akermans Büro entlang, heimlich verfolgt von Dutzenden von Augen der schon fast vollständig anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und nickte Solange, die in ihrem Verschlag direkt am Gang saß, mit einem leichten Senken des Kopfes unauffällig zu, die seinen Blick mit blitzenden Augen erwiderte. Sie hatten sich ein paarmal zufällig im Casino getroffen und danach privat verabredet, obwohl auch das zu den unausgesprochenen Regeln gehörte, daß Paarbildungen innerhalb der Firma als unerwünscht galten. Die Erfahrung hatte aber gezeigt, daß keine Sanktionen erfolgten, solange niemand in seiner Leistung nachließ. Dennoch bemühten sich alle Betroffenen, auch Leonard und Solange, ihre Beziehung möglichst geheimzuhalten.
Leonard richtete seinen Blick wieder nach vorne und sah Mia Faber, seine heutige Partnerin, die bei Akerman bereits auf einem Besuchersessel saß. Auch diese Maßnahme, daß jeder Auftrag von mindestens zwei Beratern durchgeführt werden mußte, entsprach der Firmenphilosophie – keine Alleingänge, keine Geheimnistuerei, jeder überwachte jeden. Mia unterhielt sich angeregt mit ihrem Vorgesetzten, der es sich auf seinem Drehstuhl bequem gemacht hatte, die Füße auf dem Schreibtisch, sodaß er beinahe lag. Wohl noch zu früh für eine Verdunkelung, dachte Leonard hämisch, oder Mia ist nicht sein Typ. Dabei entging ihm nicht, daß ihn Abel, der allein mit seiner Sekretärin in seinem Büro saß, abgetrennt durch eine deckenhohe Glaswand, wie drüben bei seinem Partner, mit lüsternen Blicken musterte, um sich gleich wieder seinem Laptop zu widmen. Leonard war das Interesse Abels an seiner Person äußerst unangenehm, auch wenn er noch nie Annäherungsversuche unternommen hatte, wohl auch deshalb, weil Leonard zu Akermans Leuten zählte und in seiner hervorgehobenen Position schlecht als Lustknabe taugte.
Leonard sah rasch auf seine Uhr, bevor er Akermans Büro betrat. Es war kurz vor acht, also war er nicht zu spät, doch daß Mia vor ihm da war, versetzte ihm dennoch einen kleinen Stich. Sie war eine angenehme Erscheinung, etwas jünger als Leonard, dunkelblond und gelassen und knapp zwei Jahre länger im Betrieb, doch man wußte bei ihr nie, was sie dachte oder wie ehrgeizig sie war. Leonard spürte, daß Akerman insgeheim viel von ihm hielt und ihn gerade deswegen immer wieder bremste, um zu verhindern, daß er abhob oder dünkelhaft wurde. Es war möglich, daß Akerman von einem Tag zum anderen völlig willkürlich jemand anderen zu seinem Favoriten erhob, deshalb mußte er immer wachsam sein.
Leonard klopfte kurz, zog am Türgriff und glitt gewandt ins Büro.
"Guten Morgen…"
Mia lächelte ihm freundlich zu, doch ihr selbstzufriedener Gesichtsausdruck war unübersehbar. Akermans länglicher Kopf mit den notorisch geröteten Wangen und den schlohweißen Haaren, die er bereits mit fünfzig hatte, ruckte zu ihm herum.
"Guten Morgen Herr Lansing…"
Seine blaßblauen Augen nahmen ihn spöttisch ins Visier.
"Setzen Sie sich, setzen Sie sich, ich hoffe, Sie haben gut geruht…"
Leonard ließ sich auf dem Sessel neben Mia nieder und verkniff sich eine Antwort.
Akerman nahm seine Füße vom Schreibtisch, beugte sich vor und sah Mia und Leonard beschwörend in die Augen.
"Ihre heutige Aufgabe mag Ihnen nicht allzu anspruchsvoll erscheinen, doch wir sind uns einig, daß wir jeden Kunden mit dem gleichen Respekt behandeln…"
Akerman blätterte lustlos die Broschüre durch, die vor ihm auf dem Tisch lag, und wandte sich an Leonard. Das bedeutete, daß er ihm die Führung übergab.
"Über die Fakten haben wir ja ausführlich gesprochen… wie gedenken Sie vorzugehen?"
Mia sah aufmunternd zu Leonard hinüber, als sei es ausgemacht gewesen, daß er der Wortführer sei, und verbarg erfolgreich ihre Enttäuschung darüber, daß ihr Kalkül, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen, indem sie lange vor dem Termin erschienen war, im selben Augenblick in sich zusammenfiel. Leonard blieb das nicht verborgen, doch er hütete sich, seiner Stimme einen triumphierenden Ton zu verleihen.
"Nun, es ist etwas heikel… die eigentlichen Auftraggeber sind der Sohn des Speditionsunternehmers und seine Frau… der Alte will auf keinen Fall, daß sich etwas ändert, doch sie steuern auf ein dickes Minus zu…"
Akerman packte die Broschüre, schüttelte sie heftig und warf sie wieder hin.
"Das weiß ich, steht alles hier drin…"
Leonard sah kurz zu Mia hinüber und wandte sich wieder an Akerman.
"Mia schlug vor, uns als Ehepaar auszugeben, das eine Spedition von ähnlicher Größe aufbauen und sich von ihnen beraten lassen möchte… so schöpft der Alte keinen Verdacht und wir können ihnen auf dem Rundgang in Ruhe unsere Vorstellungen näherbringen…"
"Ist das nicht schizophren? Sie reden mit Leuten, die unsere Ideen gar nicht umsetzen können, und der eigentliche Adressat weiß von nichts?"
"Die Juniorpartner sind davon überzeugt, daß sie den Alten umstimmen können, solange er glaubt, daß es ihre eigenen Vorschläge sind und sie vernünftig klingen…"
"Und deswegen fahren Sie extra dorthin? Geht das nicht über Mailaustausch?"
Akerman drehte ungeduldig seinen Montblanc-Füller zwischen den Fingern.
"Es gibt zu viele Unwägbarkeiten… der Zustand des Fuhrparks, das Firmengelände, die Verkehrsanbindung und ob der Sohn und seine Frau überhaupt begreifen, was wir uns ausgedacht haben…"
Akerman zwinkerte Leonard zu.
"Advocatus diaboli… Sie haben natürlich recht…"
Er grinste seinen Mitarbeitern jovial zu, die sich augenblicklich erhoben.
"…am besten, Sie nehmen einen Firmenwagen ohne Aufschrift… einen Golf oder einen kleinen Audi…"
Leonard, schon im Gehen, drehte sich mit einem Lächeln nochmal kurz um.
"Eigentlich wollten wir Mias Wagen nehmen, für den Fall, daß sie das Kennzeichen überprüfen… man kann ja nie wissen…"
Einen kurzen Augenblick schien es, als wollte Akerman aufbrausen, doch dann hatte er sich wieder im Griff.
"Und? Wo ist da der Witz?"
"Ihr Auto ist auf ihre Eltern angemeldet, und die wohnen auf dem Land…"
Akerman bedachte ihn mit einem frostigen Lächeln.
"Dieser Punkt geht an Sie… ich wünsche Ihnen gutes Gelingen…"
Bevor Mia und Leonard die Tür erreicht hatten, ließ sich Akermans Stimme erneut vernehmen.
"Ach… Mia?"
Mit einem unguten Gefühl drehte sich Mia zu ihm um.
"Genial, sich als Paar auszugeben… aber vergessen Sie Ihre ehelichen Pflichten nicht…"
Es war eine dieser typischen, schlüpfrigen Akerman-Anspielungen, auf die es es keine Antwort gab und auch keine erwartet wurde. Leonard und Mia waren noch nicht draußen, als Akerman bereits konzentriert in ein Telefongespräch vertieft war.