Читать книгу ALBATROS - Urs Aebersold - Страница 8
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Die Firma A&A Consulting, für die Leonard arbeitete, befand sich im 15. Stock eines neuerbauten, gläsernen Hochhauses und nahm die ganze Etage ein. Über den ganzen Raum verteilt erstreckten sich kleine, abgetrennte Verschläge, in denen Computer auf verstellbaren Metalltischen standen und gerade mal Platz boten für eine Person. Dort mühte sich die unterste Schicht der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ab, die Rechercheure und Zuarbeiter, Frauen und Männer in etwa der gleichen Anzahl, doch kaum jemand über vierzig.
In unregelmäßigen Abständen unterbrachen etwa ein Dutzend würfelförmige Glaskäfige diese gleichförmigen Arbeitsplätze, ebenfalls ausgerüstet mit Computern, jedoch ergänzt durch eine kleine Sitzecke und metallene Aktenschränke, Trinkwasserbehälter, einen Kühlschrank und eine Miniküche, in der man Kaffee und Tee zubereiten konnte. Hier residierten die Beraterinnen und Berater, sofern sie nicht gerade im Einsatz waren, deutlich mehr Männer als Frauen, und bereiteten sich auf ihre Aufgaben vor. Sie hatten im Betrieb absolute Priorität und ließen das ihre Kolleginnen und Kollegen auch spüren.
Über ihnen allen thronten die beiden Gründer der Firma, Akerman und Abel, auf der Südseite des Büroturms jeweils in großen, komfortablen Wohnbüros, deren Clou es war, daß sich die Glasverkleidung durch Knopfdruck dunkel färben ließ, sodaß kein Blick ins Innere mehr möglich war, während nach außen uneingeschränkte Sicht herrschte. Um diese Besonderheit rankten sich die wüstesten Vermutungen, besonders dann, wenn nicht Sitzungen mit wichtigen Kunden Anlaß für Diskretion waren, sondern Akerman einzelne attraktive, junge Mitarbeiterinnen zu sich rief und sich unmittelbar danach die Wände verdunkelten. Akerman war groß und hager und stand trotz Familie im Ruf, ein Weiberheld zu sein, und wenn die Frauen wieder durch die Tür heraus traten, tasteten sie Dutzende von Blicken insgeheim nach verräterischen Spuren ab, geröteten Wangen etwa, verwischtem Lippenstift oder verrutschter Bluse. Bei Abel, weich und rundlich, einem echten Genußmenschen, wie es sie nur noch selten gab, dessen Scharfsinn man jedoch leicht unterschätzte, waren es die jungen Männer, über die man sich heimlich das Maul zerriß, auch wenn in beiden Fällen nur wild spekuliert wurde und es keine Beweise für solche Unterstellungen gab.
Die beiden Inhaber der Firma hatten mit ihrem Führungsstil trotz ihrer jovialen Art dafür gesorgt, daß niemand es wagte, offen über sie zu tratschen. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, daß sich unter den Angestellten Spione verbargen, die über ein raffiniertes Computerprogramm nichts anderes taten, als jeden einzelnen von ihnen zu kontrollieren. Auch hier gab es keine Beweise, doch in der Vergangenheit war es öfter vorgekommen, daß einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einem Tag zum andern plötzlich verschwanden, bis es allen allmählich dämmerte, daß es immer diejenigen traf, die geglaubt hatten, ein lockeres Leben führen und an den Arbeitsbedingungen herummäkeln zu können.
Ein weiterer schlauer Schachzug war die Einrichtung einer Kantine, die fast ein Viertel der Etage einnahm und während der gesamten Arbeitszeit stets hochwertiges Essen bereithielt. Unausgesprochen wollte man so verhindern, daß die Belegschaft zur Mittagszeit in alle Himmelsrichtungen ausschwärmte, sich in Imbißecken von Einkaufszentren festquatschte und so die Konzentration verlor. Jetzt schlenderte jeder rasch hinüber ins Casino, wenn er Hunger hatte, die Essenszeiten entzerrten sich, und alle waren mehr oder weniger dauernd am Arbeiten. Einen Zwang zu dieser Arbeitsform gab es nicht, doch jeder, der jetzt mittags das Gebäude verließ, wirkte irgendwie wie ein Verräter oder zumindest wie ein Paria.
Akerman und Abel hatten sich während ihrer Studienzeit kennen- und schätzengelernt, waren schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren im Geschäft und entsprechend abgebrüht. Seit dem Umzug in das Hochhaus vor drei Jahren hatten sie ihr Tätigkeitsgebiet ausgebaut, sie betreuten jetzt auch einheimische Firmen, die eine Dependence im europäischen Ausland eröffneten und europäische Unternehmen, die sich im Inland ansiedeln wollten. Akermann konzentrierte sich vor allem auf das Inland, während Abel, der mehrere Fremdsprachen beherrschte und ein ausgezeichneter Gastgeber war, sich vorwiegend auf der internationalen Ebene bewegte.
Unter den Beraterinnen und Beratern fand täglich ein quälender, kräfteraubender, mit subtilsten Mitteln geführter Abnützungskampf um die lukrativsten Aufträge statt, der von den beiden Firmeninhabern gekonnt angeheizt wurde. So konnte es geschehen, daß Mitarbeiter, die eben noch brillante Arbeit abgeliefert hatten und sich Hoffnung auf einen dauerhaften Platz an der Spitze machten, mit einer Aufgabe abgespeist wurden, die ihnen schlagartig die Grenzen ihrer Ambitionen aufzeigen sollte. Das Perfide daran war die unausgesprochene Übereinkunft, daß solcherlei Willkür stillschweigend geschluckt und Widerspruch nicht geduldet wurde, wollte man seine Karriere nicht aufs Spiel setzen. Auch wenn sie sich untereinander duzten, sprachen sie professionell und sachlich über ihre Arbeit und übten lediglich in Form dezent angedeuteter Verbesserungsvorschläge, die sie angeblich von Kolleginnen und Kollegen gehört haben wollten, verschlüsselte Kritik an der Unternehmenspolitik, denn keiner konnte wissen, ob das andernfalls nicht sofort nach oben durchgesteckt wurde. Dennoch hielten alle verbissen an ihren Posten fest, denn wer es zu A&A Consulting geschafft hatte, fand immer wieder eine Anstellung, auch wenn er oder sie dort hochkant hinausgeflogen war.