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zwei

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Es war Zeit für ein zweites Frühstück. Michel verabschiedete sich von seinen Leuten, ging übers Bahngleis und schaute zum Pfarrhaus hoch, aber er sah niemanden.

Meer? Wie kommt man zu so einem Namen?

Er schüttelte den Kopf, setzte sich in seinen Dienstwagen und fuhr die kurze Strecke zum Bahnhofsrestaurant.

Er war früher schon öfter mit Tanner hier gewesen und hatte es als äußerst gemütlichen Gasthof in Erinnerung. Vor allem im Sommer unter der Birnenpergola auf der Terrasse. Dazu war es jetzt allerdings noch zu kalt. Er trat in die Gaststube.

Am Stammtisch saßen zwei alte Männer, mit Gesichtern wie verschrumpelte Äpfelchen, und starrten mit seligem Lächeln auf ihren Kaffeefertig. Michel grüßte und setzte sich an einen der leeren Tische. In der Gaststube war es mucksmäuschenstill. Nur in der Kaffeemaschine zischte dann und wann irgendein Ventil. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er außerhalb der Gaststube leichtfüssige Schritte, die im rhythmischen Galopp eine Treppe herun­terkamen. Kurz darauf war es wieder still, dann öffnete sich die Tür, und herein kam eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren. Sie ging eilig hinter die Theke und band sich anmutig eine schwarze Schürze um ihre schlanke Taille. Genauso geschwind stand sie am Tisch und begrüßte Michel.

Wenn Sie mir Speck mit Rührei machen würden, würde ich ge­nauso selig lächeln wie die Herrschaften am Stammtisch. Und Kaffee natürlich.

Sie lachte ein helles Lachen und meinte, das könnte sie versuchen, wenn es denn so wenig zu seiner Glückseligkeit bräuchte.

So schnell, wie sie gekommen war, war sie auch schon wieder verschwunden.

Anhand ihres Ganges hätte Michel schwören können, dass sie Tänzerin war. Er lehnte sich zurück und dachte an den Toten im Wasser.

Weiße Jeans und Hawaiihemd: Das erinnerte mehr an Sommer und Urlaub als an dieses frostige Vorfrühlingsklima.

Er zog die Plastiktüte mit der Visitenkarte aus der Tasche, nahm eine Papierserviette und trocknete das durchweichte Stück Papier. Der Name war noch einigermaßen gut lesbar, die Adresse nur bruchstückhaft. Auf jeden Fall wohnte der Mann in der Hauptstadt, das war zu entziffern. Da sowohl eine Festnetz- und eine Mobilnummer draufstanden, musste der Mann ein Mobiltelefon gehabt haben. Lag das vielleicht auf dem Grund des Sees? Auch die Nummern waren nur noch teilweise lesbar. Wo war der Mann gewesen, als ihm jemand das Messer in den Rücken gestoßen hatte? Am Ufer? Auf einem Schiff?

Michel fuhr sich mit dem Tuch über seinen Kopf.

In diesem Moment ging die Tür auf, und die Tänzerin brachte einen Teller voller Speck und Rührei. Mit Schwung setzte sie den Teller auf den Tisch, holte mit demselben Schwung Besteck, eine Serviette und ein Körbchen mit Brot.

So! Jetzt wünsche ich Ihnen eine gute Reise in die Glückseligkeit. Ich hole noch den Kaffee. Portion oder Tasse?

Eine Portion, bitte.

Michel sog begierig den Duft des Bratspecks durch die Nase und brach ein Stück Brot, das noch warm war.

Ach, wie das duftet.

Die beiden Männer erwachten aus ihrer Starre und blickten lächelnd zu Michel. Er nickte ihnen zu und machte sich heißhungrig ans Essen.

Nach dem Essen ging Michel kurz raus und telefonierte mit seinem Büro. Er gab den Auftrag, die Adresse des Toten ausfindig zu machen und einen Taucher zu schicken, um den Seegrund ab­zusuchen. Dann ging er zurück in die Gaststube und trank seinen Kaffee fertig. Er hatte den Eindruck, dass während seiner kurzen Abwesenheit die beiden Alten mit der Frau über ihn ge­sprochen hatten. Er spürte es an ihren Blicken.

Sie kam dann auch sofort an seinen Tisch und räumte lächelnd Teller und Besteck weg.

Und? Wissen Sie schon, wer der Tote ist?

Er blickte sie an.

Hat das schon die Runde gemacht?

Sie lachte, und die beiden Alten spitzten die Ohren.

Ja, was haben Sie denn gedacht? So ist das hier. Es passiert ja sonst nichts. Man weiß auch, wer Sie sind.

So! Wer ist man?

Sie machte eine vage Bewegung in die Runde.

Ja, alle. Ich auch.

Dann ist ja gut. Und wer sind Sie? Außer, dass Sie Tänzerin sind?

Sie stutzte.

Woher wissen Sie das?

Serge lächelte vergnügt.

Na ja, Berufserfahrung. Stimmt es denn?

Sie errötete.

Ja, schon. Aber ich wusste nicht, dass man das sofort sieht.

Man vielleicht nicht …

Sie wischte ihre Hand an der Schürze trocken und streckte sie ihm hin.

Ich heiße Liliana Schwarz.

Freut mich sehr. Serge Michel. Aber das wissen Sie ja offenbar.

Sie nickte.

Hat hier der Besitzer gewechselt? Früher hat der Chef selber bedient.

Sie strich sich über die Haare.

Ja, ja. Wir sind hier eine komplett neue Mannschaft, seit gut einem Jahr etwa. Die alten Besitzer sind weggezogen.

Michel zog seine Brieftasche und legte eine Note auf den Tisch.

Sie stützte sich einen Moment lang auf den Tisch.

Ich arbeite hier, wenn ich gerade nicht in einem Projekt bin. Meine Mutter kocht.

Sie nahm die Note und huschte hinter die Theke.

Michel stand auf und zog seinen Mantel an.

Der Rest ist für Sie.

Zum Abschied hob sie die Hand und schenkte ihm ein ent­zückendes Lächeln.

Die beiden alten Männer waren mittlerweile eingeschlafen. Das selige Lächeln auf ihren Gesichtern war einem tiefernsten Ausdruck gewichen, der den beiden etwas Würdevolles verlieh.

Die Wohlanständigen

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