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Redakteurin bei den „Weimarer Beiträgen“
ОглавлениеZuvor, in der Zeit von 1970-1973 arbeitete ich als Redakteurin bei der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Kulturtheorie, wie die „Weimarer Beiträge“ im Untertitel damals hießen. In den ersten Monaten meiner Tätigkeit dort promovierte ich zu dem schon genannten Thema am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Lehrstuhl Literatur und Kunst. Vorangegangen waren eine Ausbildung an der Fachschule für Bibliothekare, eine mehrjährige Berufsausübung, ein verkürztes Germanistikstudium in einer Kombination von Gasthörerschaft und einjähriger Immatrikulation an der Humboldt-Universität, ein Diplom im Fach Germanistik.
Obwohl die Redakteurstätigkeit nur eine kurze Lebenszeit ausmachte, brachte sie mir wichtige neue Erfahrungen. Als verantwortliche Redakteurin für Literaturgeschichte hatte ich die Möglichkeit, meine literaturgeschichtlichen Kenntnisse zu erweitern. Aber vor allem gab sie mir Gelegenheit, Schriftstellern leibhaftig zu begegnen, von denen mir bisher allenfalls die Namen oder einige ihrer Bücher bekannt waren. In dieser Zeit begann ich, mich als Literaturkritikerin zu versuchen, schrieb Beiträge in der kurz zuvor etablierten Reihe über Gegenwartsautoren. So begegnete ich manchem westdeutschen Schriftsteller. Die auffällige konzeptionelle Veränderung, die sich in „Literatur und Klassenkampf“ (1976) gegenüber der Anlage von „Antihumanismus in der westdeutschen Literatur“ (1972) zeigte, hing nicht zuletzt mit solchen Begegnungen zusammen. Das Zusammentreffen mit schreibenden Zeitgenossen von drüben und das lebendige Gespräch mit ihnen, hinterließ neue Eindrücke, löste abstrakt Begriffliches auf, das sich im Denken festgesetzt hatte. In den drei Jahren, in denen ich dort tätig war, gab es Treffen mit Schriftstellern, die ich für die Autorenreihe interviewt habe und über die ich auch noch Artikel schrieb, nachdem ich nicht mehr Redakteurin war. Diese Begegnungen mit Menschen und ihren Werken empfand ich als sehr bereichernd. Sie hinterließen mir unverlierbare Eindrücke. Es ist eine lange Liste von Namen, in der Reihenfolge ihrer Nennung, versuche ich die Chronologie zu wahren. Gespräche, die später gedruckt wurden, habe ich mit Hans Magnus Enzensberger, Peter Schütt, Rolf Hochhuth, Franz Xaver Kroetz, Günter Herburger, Uwe Timm, Klaus Konjetzky, Gerd Fuchs, Martin Walser, Günter Wallraff, Dieter Süverkrüp geführt. Darüber hinaus gab es damals und später Begegnungen und Gespräche mit Schriftstellern, aus denen mir ebenfalls nachhaltige Eindrücke geblieben sind. Dazu zählen Gespräche mit Heinar Kipphardt, Roman Ritter, Erasmus Schöfer, Ulla Hahn, Dieter Wellershoff, die ich zu ganz verschiedenen Zeiten traf. Auch Gespräche mit Oskar Neumann und Friedrich Hitzer als Herausgeber und Macher der Münchener Zeitschrift „Kürbiskern“ vermittelten mir ungewohnte Blickpunkte auf den anderen deutschen Staat, auf die Protagonisten der linken Szene in München und anderswo.
Dabei sind die mehr oder weniger bleibenden Eindrücke, die Mensch und Werk bei mir hinterlassen haben, ganz unterschiedlich geartet. Episodisches steht neben Konzeptionellem, das mir manches Streitgespräch vermittelt hat. Aktuell Politisches oder Literarisches steht neben essenziellen Einsichten in Menschheitsfragen, Kurioses neben Alltäglichem. Am lebhaftesten erinnere ich mich an Situationen, in denen ich Autoren in ihrem eigenen Wohnumfeld erleben durfte. Zugegebenermaßen haftet der Auswahl der Begegnung, die hier zusammengestellt ist, etwas Zufälliges an. Die Begegnung mit Hans Magnus Enzensberger war eine Premiere für mich, Peter Schütts Weg verweist mich auf die blinden Flecke eigener Einsichten und Vorstellungen. Uwe Timm blieb mir am nachdrücklichsten von den Münchner Begegnungen, Walser-Lektüre gehört zu meinem Leben, Dieter Wellershoff entdeckte ich erst spät. Sehr verschiedene Gründe sprechen dafür, sich ihrer zu erinnern und den Eindrücken nachzugehen, die ich von ihren Büchern empfing.