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ZIL - Jahre

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Alfred Andersch wäre ich damals auch gern begegnet, aber es sollte sich nicht mehr ergeben. Sein Werk interessierte mich seit Jahren, auch seine Biografie, die Umstände seines Weges als Autor nach dem Krieg und die Gruppe 47, deren Gründung auch mit seinem Namen verbunden ist. Nachdem ich 1973 zum Zentralinstitut für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR (kurz: ZIL) überwechseln konnte, dort zunächst in einer Forschungsgruppe über den Vormärz arbeitete, einer dann neu gegründeten Gruppe DDR-Literatur zugeteilt wurde, begann ich mich intensiv mit der literarischen Situation in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg zu beschäftigen. Recherchen zu den Verlagslizenzen, die von den vier Alliierten in den Zonen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten vergeben wurden, über das literarische Leben, wie es sich daraus zu entwickeln begann, fand ich spannend. Das Interesse an dieser Zeit entwickelte sich aus dem Bewusstsein, dass die gegenwärtige Situation, wie sie geworden war, mit den zwei deutschen Staaten nur von diesen Voraussetzungen her begriffen werden konnte. Denn das war die unmittelbare Vorgeschichte der Gegenwart. Dabei wurde mir klar, dass ich eine sinnvolle Forschungsarbeit über die Nachkriegszeit nur als wechselseitig aufeinander bezogenen Vorgang in Ost und West behandeln konnte. Hierzu wurde ich auch durch meinen familiären und persönlichen Hintergrund inspiriert, denn ich hatte die Teilung Berlins unmittelbar erlebt. Bestärkt wurde ich darin durch Bücher, die ich von meinem Vater übernahm, der nach 1945 eifriger Leser der „Weltbühne“ war und auch Hefte der von Alfred Kantorowics´ herausgegebenen Zeitschrift „Ost und West“ besaß. In seinem Bücherschrank gab es Romane, die kurz nach dem Krieg erschienen und später für lange Zeit in der DDR nicht mehr greifbar waren. Dazu gehörten z. B. Theodor Plieviers „Stalingrad“, auch Heinz Reins „Finale Berlin“ war darunter, und ich fand großformatige Exemplare von RoRoRo im Zeitungsformat, darunter einen Titel von Ignazio Silone, einem Autor, der in späteren DDR-Zeiten als Renegat galt. Damals regte mich von wissenschaftlichen Arbeiten besonders Christian Volker Wedekings Untersuchung „Der Nullpunkt. Über die Konstituierung der deutschen Nachkriegsliteratur 1945-1948 in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern“ an. 1971 erschienen, gab mir das Buch bis dahin nicht bekannte Einblicke in die Vorgeschichte der westdeutschen Literaturentwicklung. Was mich an dieser Darstellung vor allem beschäftigte, waren die Auskünfte darüber, wie sich die späteren Gründer der Gruppe 47 bereits im amerikanischen Gefangenenlager zusammengefunden hatten. Im Falle von Alfred Andersch, Hans Werner Richter und Walter Kolbenhoff handelte es sich um Männer, die vor 1933 zur kommunistischen Bewegung gehört hatten. Solche Gegebenheiten machten mir bewusst, wie verschieden die Wege von Antifaschisten waren, in welchem Maße viele von ihnen durch die Machtergreifung der Faschisten in die Isolation geraten und auf andere Wege gekommen waren als die Schriftsteller, die nach dem Ende des Krieges aus dem Exil in die sowjetische Besatzungszone zurückgekommen waren. Zu meiner großen Überraschung gehörte zur Vorgeschichte der Gruppe 47, zum Kreis derer, die bereits in Fort Devens an einer Zeitung für deutsche Kriegsgefangene mitgearbeitet hatten, aus der später „Der Ruf“ hervorging, auch der DDR-Autor Ernst Rudolf Greulich. Da er aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft in den Osten zurückgekehrt war, blieb seine Rolle unbeachtet, weil es mit der weiteren Geschichte, die sich mit dem Münchener „Ruf“ fortsetzte und zur Gründung der Gruppe 47 führte, keine Berührungen mehr gab. Im Gefangenenlager war er seinem Jugendfreund aus der weltlichen Schule in Berlin-Adlershof wiederbegegnet, der nun allerdings nicht mehr Walter Hoffmann hieß. Das war der Name, unter dem der Freund früher seine Erzählungen in der „Roten Fahne“ veröffentlicht hatte. Im dänischen Exil nahm er den Namen Kolbenhoff an und wurde unter diesem Namen nach dem Krieg als Romanautor bekannt. Auch als Mitbegründer der Gruppe 47 sollte er in die Literaturgeschichte eingehen. Walter Kolbenhoff war 1933 ins Ausland geflüchtet und wegen seiner Kontakte zu Wilhelm Reich 1934 im dänischen Exil aus der KPD ausgeschlossen worden. Er trat mit der Absicht in die Wehrmacht ein, dort antifaschistisch zu arbeiten, und kam nach Einsätzen in Jugoslawien und Italien in amerikanische Gefangenschaft. Im Kriegsgefangenenlager war er als Dolmetscher tätig und hier begegneten sich die Jugendfreunde wieder. Alfred Andersch war es in Italien gelungen zu desertieren und auch Hans Werner Richter wurde dort von den Amerikanern gefangen genommen, während Ernst Rudolf Greulich als politischer Häftling dem Strafbataillon 999 zugeteilt war. Beim Fronteinsatz in Nordafrika gelang ihm der Weg in die Gefangenschaft. Dieser Erfahrungshintergrund von Menschen, die sich in der Weimarer Republik von ihren politischen Überzeugungen und Haltungen nahe waren und später unterschiedliche Wege einschlugen, interessierte mich sehr. Was hieß schon Verrat, wenn die Geschichte doch die Menschen trennte?, fragte ich mich. Die Forschungen zur Nachkriegsgeschichte banden längere Zeit mein Interesse und meine Kräfte, und es ergaben sich daraus mehrere Arbeitsfelder. Die Beschäftigung mit der Biografie von Alfred Andersch regte mich dazu an, eine Gesamtdarstellung des Autors zu versuchen, als Ergebnis entstand die Monografie „Alfred Andersch. Politisches Engagement und literarische Wirksamkeit“. Weiterhin ergab sich aus diesen Untersuchungen eine Reihe von Porträts über Verleger (Rowohlts RoRoRo und, Suhrkamps „Beiträge zur Humanität“) und über ihre literarischen Nachkriegsprogramme. Auch Porträts über Schriftsteller entstanden, die wie Elisabeth Langgässer, Horst Lange, August Scholtis, Wolfgang Koeppen u. a. in Deutschland in der inneren Emigration gelebt hatten und für die Nachkriegsliteratur kürzere oder längere Zeit eine Rolle spielten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind z. T. erst 1995 in „Unterm Notdach“, einem Band über die Berliner Nachkriegsliteratur veröffentlicht worden, der unter der Regie von Ursula Heukenkamp erarbeitet wurde. In den Achtzigerjahren war aus dieser Arbeit der Plan erwachsen, das Protokoll des ersten deutschen Schriftstellerkongresses aus dem Jahre 1947 zu veröffentlichen.

Aber zunächst noch einmal zurück zu meinen Studien über Alfred Andersch. Von seinen Werken war in der DDR nur wenig gedruckt. Da er als Renegat der kommunistischen Partei angesehen wurde, tat man sich lange Zeit schwer mit der Herausgabe seiner Bücher. Erst 1973 brachte der Aufbau-Verlag eine erste Auswahl von Erzählungen mit dem Titel „Alte Peripherie“ heraus. 1976 erschien der damals neu entstandene Roman „Winterspelt“, während alle früheren Romane bis zum Jahr 1990 ungedruckt blieben. Als sie dann im letzten Jahr der DDR erschienen sind, gingen sie ganz und gar unter. Aber eine Auswahl von Reisebildern „Aus einem römischen Winter“ (1979) und einen Band mit Gedichten, „Empört Euch, der Himmel ist blau“ (1980) brachte der Aufbau-Verlag heraus, während er 1981 die Erzählung „Der Vater eines Mörders“ schon aus dem Nachlass drucken musste. Alfred Andersch war am 21. Februar 1980 verstorben. Sein früher Tod, er war erst 66 Jahre alt, forcierte mein Interesse, und leider begann ich erst dann zielgerichtet über den Weg des Autors und über sein Werk zu arbeiten. Zuvor hatte mich der Roman „Winterspelt“ zu einer euphorischen Besprechung angeregt. Mich faszinierte die erzählerische Eigenart und intensive Form der Nachfrage, mit der Andersch an das Sujet des Krieges ging, und wie er das vergangene Geschehen an die Gegenwart heranrückte. Er entwickelt hier eine Erzählform, die ein gedankliches Modell mitliefert, mit dem der historische Vollzug der tatsächlichen Geschichte die Frage nach ihren anderen Möglichkeiten, ihrem alternativen Verlauf entstehen ließ. Er arbeitet gegen eine Vorstellung von geschichtlichem Determinismus, weist auf die Geschichte als Ergebnis menschlichen Handelns und deutet so auf ihre Offenheit für Möglichkeiten, die ihrem Verlauf eine andere Richtung geben können. Ein wunderbar poetisches Kammerspiel um eine nicht stattgefundene Aktion, die, hätte es sie gegeben, den Krieg schneller hätte beenden können.

Meine Recherchen zu Alfred Andersch führten mich ins Literaturarchiv nach Marbach. 1982 bekam ich die Erlaubnis an seinem Nachlass zu arbeiten. Es waren erst grob geordnete Materialien, die in Kisten untergebracht waren. Aber ich konnte die Vorarbeiten zu „Winterspelt“ einsehen, konnte so genaueres über die Entstehungsgeschichte des Romans erfahren. Außerdem bekam ich das nicht völlig fertiggestellte Manuskript zu dem Hörspiel über die Flucht von Hans Beimler in die Hände, das davon zeugte, in wie starkem Maße Andersch sich am Ende seines Lebens mit den frühen Jugenderfahrungen beschäftigt hatte. Vor allem aber brachte mir der Aufenthalt dort auch eine Erfahrung mit mir selbst, die mir bestätigte, was ich schon ahnte. Zu den mutigsten Menschen gehöre ich nicht. Ich wusste und stieß bei meiner Suche auf die Tatsache, dass Alfred Andersch ein Verehrer und Leser von Ernst Jünger war. Nun entdeckte ich, dass es einen über Jahrzehnte währenden Briefwechsel mit dem Älteren gab. Natürlich wollte ich nun gerne die Jünger-Briefe sehen, die sich im Nachlass fanden. Ich hätte dazu die Genehmigung Jüngers einholen müssen. Man sagte mir, dass das keine Probleme mache, man könne mir den Kontakt vermitteln, da Kirchberg nicht weit entfernt sei und die Frau des Dichters als langjährige Mitarbeiterin des Archivs die Sache vermitteln würde. Ich war elektrisiert von der Möglichkeit, verbrachte eine schlechte Nacht wegen meiner Unfähigkeit, mich zu entscheiden, weil ich an die Folgen dachte. Was würde kommen, wenn ich zurückkehrte. Denn in der DDR galt Ernst Jünger als eine Unperson, als Militarist, dem man auch als Literat keine Reverenzen erweisen wollte. Ich unterließ es, mich um eine Genehmigung zu bemühen, und hatte lange das Gefühl von Versäumtem in mir. Nach der Wende habe ich den Briefwechsel eingesehen, um festzustellen, dass er eigentlich wenig substanziell war, vor allem aus freundlichen Grüßen und Gratulationen zu neuen Büchern besteht. Nur zu „Kirschen der Freiheit“ hatte sich Jünger ausführlicher geäußert, er sah hier Entsprechungen zum eigenen Positionswechsel, der sich nach dem Krieg vollzogen und sich auch in seinem Buch „Der Waldgang“ (1951) niedergeschlagen hat. Mich interessierte das nun nicht mehr. Viel neugieriger war ich darauf, was zwischen Andersch und Jean Amery brieflich ausgetauscht worden war. Der Freitod von Jean Amery lag erst kurze Zeit zurück.

Meine Arbeit über Andersch hat mich nach der Vereinigung in Kontakt zu der 1994 gegründeten Alfred Andersch-Gesellschaft gebracht, der allerdings keine lange Lebensdauer beschieden war. Aber immerhin gab es einige Zusammenkünfte, und es gab die Möglichkeit, mit Kollegen in Kontakt zu kommen, von denen ich bisher nur Publikationen kannte.

Mein spezielles Interesse an dem Autor war auch durch die Eigentümlichkeit bestimmt, mit der sich Leben und Werk im Schreiben von Andersch berühren. Vom frühen Bericht „Die Kirschen der Freiheit“ bis ins Spätwerk bleibt für sein Schreiben die existenzielle Grunderfahrung wesentlich, mit der er als junger Mann die faschistische Machtergreifung und ihre Stabilisierung erlebt hat. Als Sekretär des Kommunistischen Jugendverbandes von Südbayern verbringt man ihn für Monate ins Konzentrationslager Dachau. Angst und Wut, Isolation und Rückzug auf sich selbst, auf die Kunst und das eigene Überleben bestimmten seinen Weg in den folgenden Jahren. Die Anpassung ging so weit, dass er zeitweilig sogar einen deutschen Sieg für möglich hielt. Erst mit der mutigen Entscheidung zur Desertion von der Wehrmacht im Sommer 1944 wächst ihm die Selbstachtung zu, späterhin davon zu erzählen, denn Passivität, Anpassung und Fluchtbewegungen nach innen sind verbreitete Haltungen, über die er nun kritisch reflektierend erzählen kann. Der authentische Kern seiner Prosa ist es, der mich bewegt und natürlich die wachsende erzählerische Souveränität, die er sich über die Jahre erwarb. Darüber hinaus interessierte mich Andersch auch als Akteur des literarischen Lebens in Westdeutschland, das er als Studioleiter im Rundfunk bei der Entwicklung von Hörspielen und als Herausgeber der Zeitschrift „Texte und Zeichen“ in den Vierziger- und Fünfzigerjahren maßgeblich mitgeprägt hat.

Die Arbeitsjahre am ZIL brachten mir über die speziellen Arbeitsvorhaben hinaus Zuwachs an historischen und theoretischen Erkenntnissen. Dazu trug ein intensives Arbeits- und Diskussionsklima bei. Vor allem auch die theoretischen Arbeiten zu Problemen der Literaturrezeption, die im Theoriebereich des ZIL erarbeitet wurden, Diskussionen über Literatur im Exil, auch die Diskussionen zur Konzeptionsbildung für das „Lexikon Sozialistischer Literatur“ trugen dazu bei, mein Literaturverständnis zu entwickeln.

Die Absicht, das Protokoll des 1. Deutschen Schriftstellerkongresses zur Veröffentlichung zu bringen, entwickelte sich im Zusammenhang mit den erwähnten Arbeitsfeldern zur Nachkriegsentwicklung. Der im Oktober 1947 veranstaltete mehrtägige Kongress in Berlin blieb die einzige gesamtdeutsche Zusammenkunft von Schriftstellern aus den vier Besatzungszonen in der Nachkriegsgeschichte. Der Kongress fand in der Viersektorenstadt unter schwierigen materiellen Verhältnissen statt und vereinigte Autoren nicht nur aus Ost und West, sondern auch Schriftsteller unterschiedlicher weltanschaulicher Überzeugungen und politischer Haltungen. Autoren, die im Widerstand gestanden oder die Hitlerzeit in der Emigration überlebt hatten, manchmal aus ihr noch nicht wieder zurückgekehrt waren. Sie trafen auf solche, die die Zeit in Deutschland zurückgezogen überstanden oder mit mehr oder weniger Kompromissen erlebt hatten. Das Treffen war ein wichtiges, viel beachtetes Ereignis. Dennoch unterblieb die vollständige Veröffentlichung der Reden, Diskussionsbeiträge und Dokumente der Veranstaltung. Der beginnende Kalte Krieg, der schon während der Versammlung zu spüren war, brachte es mit sich, dass das stenografische Protokoll ungedruckt im Archiv des Schriftstellerverbandes in der Berliner Friedrichstraße liegenblieb. Es hatte Versuche gegeben das zu ändern, die allerdings ohne Erfolg geblieben waren. Sigrid Bock hatte sich um das Protokoll bemüht und einen Artikel über den Kongress geschrieben, auch betreute sie in den Siebzigerjahren eine Dissertation, die sich mit dem Kongress beschäftigte. Woran die Pläne zur Veröffentlichung des Protokolls gescheitert sind, war nicht so genau herauszufinden, niemand wusste mir die Gründe genau zu nennen. Daher versuchte ich nun, Einblick in die stenografische Mitschrift zu bekommen. Das war nicht so schwierig, wie ich es erwartet hatte. Zu meiner Überraschung bekam ich den Stapel Papier ausgehändigt und konnte mich darin vertiefen, lediglich verpflichtete man mich im Sekretariat des Schriftstellerverbandes zur Verschwiegenheit im Umgang mit dem Material. Das Manuskript war in keinem guten Zustand, dass graue Papier war bereits brüchig, es gab unlesbare Stellen. Dazu kamen Auslassungen, die wohl darauf zurückzuführen waren, dass die Stenografen dem Tempo des Wortwechsels mitunter nicht folgen konnten, auch Abbrüche gab es. Aber dennoch, das, was ich las, erregte mein höchstes Interesse. Ich fand, dass es veröffentlicht werden musste. Denn war es nicht allein schon bewundernswert, dass Menschen in einer so schwierigen, von Ruinen, Hunger und Not bestimmten Zeit den Gedanken fassten, ein Treffen von Schriftstellern zu organisieren, um sich zu verständigen, wie mit Geschriebenem zur Überwindung der geistigen Hinterlassenschaften des Faschismus beizutragen wäre. Dabei gingen gemäß unterschiedlicher Haltungen und Erfahrungen auch die Vorstellungen darüber weit auseinander. Aber hier ist nicht der Platz, erneut über den Kongress zu handeln. Denn der Band mit dem Protokoll und den vom Kongress verabschiedeten Dokumenten liegt seit 1997 gedruckt vor, der Aufbau-Verlag veröffentlichte das Material nach einem halben Jahrhundert, das seit dem Ereignis vergangen war. Jeder Interessierte kann sich in das Gesprochene vertiefen, die Bilder anschauen, die uns überliefert sind.

Doch auf die Editionsgeschichte möchte ich kurz zurückkommen und auf einige für mich wichtige Erfahrungen eingehen. Erinnerungen, die sicherlich nicht für das gesamte Herausgeberkollektiv stehen, zu dem noch Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger gehörten. Die Gruppe hatte sich in dieser Zusammensetzung erst im Laufe der Arbeit in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre zusammengefunden, als sich die Pläne für eine Edition zu konkretisieren begannen. Horst Tanneberger ist die Vervollständigung der Protokollabschrift auf der Grundlage der Tonbandmitschnitte zu danken, die im Archiv des Rundfunks zu finden waren. Redaktionelle Mitarbeit leisteten auch Hannelore Adolph und Elisabeth Lemke (†).

Das genaue Datum des Tages im Jahr 1985 erinnere ich nicht, an dem wir, Dieter Schlenstedt und ich, einen Termin beim stellvertretenden Minister für Kultur der DDR, dem Verantwortlichen für Druckgenehmigungen, Klaus Höpcke, wahrnahmen. Er war bereits brieflich von dem Plan, das Protokoll herauszugeben unterrichtet worden, und hatte uns wissen lassen, dass er der Sache insgesamt nicht negativ gegenüberstehe. Aber er bat uns darum, ihm eine Konzeption vorzulegen, aus der die Probleme ersichtlich würden, die der Publikation bisher im Wege gestanden hatten. Wie wir mit diesen Fragen umgehen wollten, wie man sie durch Anmerkungen und Kommentare neutralisieren, für das politische und literarische Verständnis, das in der DDR herrschte, publikabel machen könnte, wollte er von uns wissen. Wir überlegten und entwickelten den Plan, die Seiten so einzurichten, dass in einer Spalte der fortlaufende Text der Reden und Diskussionsbeiträge gedruckt werden sollte. Daneben wollten wir einen fortlaufenden Kommentar setzen, der auf politische Großereignisse eingehen, erklärende und polemische Kommentare enthalten sollte. Wir hofften auf diese Weise, die Spuren, die die beginnende politische Konfrontation in den Reden hinterlassen hatte, parteilich zu kommentieren, wie wir gegenüber Höpcke verlauten ließen. Wir waren uns klar darüber geworden, dass das besonders schwierig gegenüber den Stellungnahmen der sowjetischen Schriftsteller sein würde. Die Entgegnungen, mit denen Katajew und Gorbatow auf die Attacke von Melvin Lasky, der die mangelnde Rede- und Pressefreiheit in der Sowjetunion zum Thema gemacht hatte, reagierten, waren so unsachlich, lügnerisch und unzutreffend, dass wir ganz und gar ratlos waren, weil uns dazu nichts einfiel. Peinlich eben. Auch die kritischen Hinweise auf Verhaftungen von Studenten an der Berliner Universität, die damals die Öffentlichkeit erregten und sie sogleich auch spalteten, waren ein Punkt, bei dem wir nicht wussten, wie wir uns zu ihm stellen sollten. Die Arbeit dauerte lange, die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Kongresses, die Komplettierung der Teilnehmerliste, die Befragungen der noch lebenden Zeitzeugen, die Erarbeitung einer Übersicht über die damals nur gekürzt veröffentlichten Beiträge des Kongresses, sowie die Recherchen zur Nachgeschichte, die Suche nach Spuren, die er in Memoiren und anderen Zeugnissen hinterlassen hatte, erforderten eine intensive Recherche in Archiven und Bibliotheken. Das war unser Glück, denn so wurde die von uns geplante parteiliche Kommentierung hinfällig, wortwörtlich von der Zeit hinweggefegt. Erstaunlich finde ich es im Rückblick, wie lange wir brauchten, bis wir die Idee der durchgehenden Kommentierung aufgaben und uns auf die Sachanmerkungen beschränkten, die für das Verständnis des Ereignisses unerlässlich waren. Es brauchte eine Weile, um aus der Erkenntnis der historischen Vorgänge des Kalten Krieges die notwendigen Konsequenzen versachlichender Darstellung zu ziehen, um nicht erneut in die Muster der Konfrontation zurückzufallen.

Während unserer Arbeit jährte sich das Ereignis schon zum 40. Mal und aus diesem Anlass organisierte die Sektion Literatur der Akademie der Künste der DDR im Herbst 1987 eine Veranstaltung, die noch lebende Zeitzeugen und Interessierte zusammenführte, während Beiträge einiger Teilnehmer verlesen wurden. Damit wuchs das öffentliche Interesse an der Sache, mich erreichte die Anfrage eines Westberliner Kollegen, der das Material einsehen wollte. Natürlich gab ich ihm die Gelegenheit, was ihn überraschte, denn es gab die verbreitete Vorstellung, dass es sich bei dem Protokoll um ein Geheimdokument handelte. Im Sommer 1989 vermittelte ich auch Ruth Rehmann die Einsichtnahme in das inzwischen wieder im Archiv des Schriftstellerverbandes liegende Urmanuskript. Sie schrieb darüber ihren schönen Roman „Unterwegs in fremden Träumen“, in dem sie das Lesen der Reden, die Erinnerungen an eigenes Erleben in der Nachkriegszeit und die Wendeereignisse des Jahres 1989/90 erzählerisch in Beziehung setzt.

Als eine wichtige Erfahrung sind mir die Gespräche in Erinnerung geblieben, die ich mit den noch lebenden Akteuren von damals führen konnte. Die meisten von ihnen gehörten seinerzeit zu den jungen Autoren. Annemarie Auer, Ernst Rudolf Greulich, Elfriede Brüning, berichteten, wie sie sich im Kreise der Gestandenen gefühlt hatten. Von ihnen erfuhr ich über die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Schriftsteller, die sich unter der Ägide von Peter Kast gegründet hatte und hörte, in welchem Verhältnis sie zum SDA, dem gesamtberliner Schutzverband Deutscher Autoren stand. Klaus Gysi, Stefan Hermlin, Wolfgang Harich waren damals schon als Redner aufgetreten. Alle erinnerten sich an den Auftritt von Melvin Lasky als an einen auffälligen Eklat. Von Ernst Rudolf Greulich erfuhr ich, dass die Einladung an Walter Kolbenhoff und Alfred Andersch, der auf der Einladungsliste gestanden hatte, aber nicht anwesend war, auf seine Anregung zurückging. Kolbenhoff, der dabei war, widmete dem Ereignis in seiner Autobiografie später viel Raum. Am intensivsten war der Eindruck des Gesprächs mit Wolfgang Harich, das in Fortsetzungen stattfand. Er stand der Idee, das Protokoll zu veröffentlichen, ausgesprochen ablehnend gegenüber, weil er die Zeit für Bemühungen um die Einheit Deutschlands für abgelaufen hielt. Ich erfuhr, dass er aufgrund seiner Verurteilung und Haft, die er 1956-1964 wegen politischer Kontaktaufnahme zur SPD erleiden musste, seinen politischen Standpunkt vollkommen gewechselt hatte und alle Bemühungen für die Einheit Deutschland als Schnee von gestern ansah. Abgrenzung und Konsolidierung des sozialistischen Systems in der DDR war für ihn das Gebot der Stunde, alles andere hielt er für verhängnisvolle Illusionen. Aber abgesehen davon, geriet er ins Erzählen, gab Zeitcharakteristisches preis, berichtete über Zeitgenossen und über die eigene Rolle als junger Kritiker und polemischer Geist. Auch die brieflichen Auskünfte von Axel Eggebrecht, Walter Kolbenhoff u. a. gaben zusätzliche Informationen, alles Verwertbare, das von allgemeinerem Interesse war, haben wir in Anmerkungen oder in der Einleitung untergebracht. Inzwischen hatten wir uns längst zur sachlich informierenden Form durchgerungen. Als das Material 1991 endlich komplett war, befand sich der Aufbau-Verlag in Umstrukturierung. Der neue Eigentümer konnte sich nicht zur Produktion des absehbar kostspieligen Bandes entschließen. Auch die Einholung von Lizenzrechten erschien ihm zu kompliziert. Nun gingen wir in der westlichen Verlagslandschaft auf die Suche nach einem neuen Verleger. Wir fanden verschiedentlich Interesse, aber bis zu einer Veröffentlichung kam es bei den Kontakten nicht. Das Buch würde zu teuer, hieß es immer wieder. Wir waren erleichtert, als der Aufbau-Verlag das 50. Jubiläum des Kongresses dann doch zum Anlass für die Veröffentlichung der Materialien nahm, die eine große publizistische Aufmerksamkeit fanden. Auf einer Konferenz am Germanistischen Institut der Berliner Humboldt-Universität fanden sich Wissenschaftler und Zeitzeugen zum Gespräch zusammen. Das Deutsche Theater, eine der Tagungsstätten von damals, veranstaltete eine Matinee.



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