Читать книгу "Erlesene" Zeitgenossenschaft - Ursula Reinhold - Страница 7

Seitenblicke auf Kollegen

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Außerordentlich hartnäckig erscheinen mir lieb gewordene Illusionen. Solchen Eindruck gewinne ich aus der Lektüre vieler Darstellungen, denen ich in den Jahren seit 1990 begegnet bin, und in denen Intellektuelle, honorige Leute, Kulturschaffende, Historiker, Literaturwissenschaftler, manchmal Kollegen von mir, durchblicken lassen, wie sie auf die Politik und die Politiker der DDR Einfluss nahmen oder nehmen wollten und wie sie von denen daran gehindert und zurückgewiesen wurden. Die Nachzeichnung solch vergeblicher Bemühungen und unfruchtbarer Kämpfe ist sicherlich notwendig und nützlich. Dabei ist es interessant, aus welcher unterschiedlichen Perspektive die eigene Rolle wahrgenommen wird. Die Selbsttäuschung geht so weit, dass der Eindruck erweckt wird, die Rolle von Intellektuellen und die eigene dabei könne mit Objektivität dargestellt werden. Sicherlich ein verständlicher Wunsch, gegen den die Tatsache spricht, dass es bisher niemandem gelungen ist, die eigene Rolle angemessen zu durchschauen. Es würde mir genügen, die eigenen Intentionen im Gang des Ganzen dargestellt zu finden und dabei auf die Bereitschaft zu stoßen, eigenen Illusionen und Irrtümern nachzugehen. Bei keinem der mir zugänglichen Bilanzen stieß ich auf eine gründliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst-, Politik- bzw. Wissenschaftsverständnis, von dem man sich leiten ließ, während man sich als Mitgestalter der DDR-Gesellschaft sah. Auch unterbleibt meist ein kritisches Bilanzieren des Parteiverständnisses, dem man sich lebenslang verpflichtet fühlte.

Parteibindung marxistischer Intellektueller hatte natürlich ihre berechtigten historischen Anlässe und Gründe, resultierte aus den sozialen und antifaschistischen Kämpfen der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, die die kommunistische Bewegung maßgeblich mittrug. Welche Hypotheken dabei mit dem Stalinismus verbunden waren, ist inzwischen ausführlich nachgearbeitet. Die DDR kam aus diesem Schatten niemals wirklich heraus. Dennoch eröffnete sie mit ihrer Gründung den aus dem Exil zurückkehrenden Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern wie Hanns Eisler, Paul Dessau, Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Erich Weinert, Friedrich Wolf, Anna Seghers, Arnold Zweig, Erich Arendt, Stefan Hermlin, Kuba, Jeanne und Kurt Stern, Stefan Heym u.v.a. ein Feld künstlerischer, literarischer und politischer Wirkungsmöglichkeiten. Schon am Schicksal von Ernst Bloch, Hans Mayer und auf andere Weise auch von Stefan Heym in der DDR, taten sich die Grenzen kritischer Mitsprache auf, die sich bei jüngeren Autoren wie Günter Kunert, Rainer und Sarah Kirsch, Erich Loest, Manfred Bieler zeigten, später dann auch an Restriktionen gegen Christa Wolf, Franz Fühmann, Volker Braun und im letzten Jahrzehnt schließlich daran, dass eine Vielzahl talentierter Autoren in den Westen ging, wie Klaus Schlesinger, Jurek Becker, Klaus Poche u.v.a.. Sie sahen keine Möglichkeit zu produktiver Beziehung mehr, waren der Einschränkungen, Ausschlüsse und anderweitiger Behinderungen überdrüssig.

Das spannungsreich dialektische Verhältnis von Literatur und Politik, wie es sich für die DDR darstellt, scheint mir noch immer ein Desiderat, die Analyse der differenzierten konkreten Erfahrungen steht noch aus; die nach 1990 üblich gewordene Unterscheidung von Dissident und Staatsschriftsteller erweist sich als grobe Simplifikation. Bei ihnen, wie den Intellektuellen in der DDR überhaupt, gab es sehr verschiedene Vorstellungen von Politik, wie sich auch ihr literarisches Selbstverständnis und ihre Ansichten über Eigenart und Wirkung von Literatur in der Gesellschaft unterschieden.

Politisches Handeln war den Intellektuellen in der DDR sicherlich nach und nach immer gründlicher von der Führungskaste abgewöhnt worden. Man hielt sich zurück, war befriedigt, wenn sich diese oder jene kritische Äußerung gedruckt fand, den Weg durch die aufsichtsführenden Behörden hindurch genommen hatte. Aber das war es dann auch schon. Und das Jahr 1990 bestätigte das auf erschreckende Weise. Zum politischen Handeln waren die Intellektuellen und Gesellschaftswissenschaftler der DDR nicht fähig, verblieben in Irritation. Werner Mittenzweis „Brockenlegende“ bestätigt auf unbeabsichtigt ironisch-provokative Weise diesen Fakt, wenn er DDR-Intellektuelle mit Erneuerungswillen in der Eiseskälte einsamer Harzregionen sich zusammenfinden und verenden lässt. Lediglich einige in der DDR ausgebildete Naturwissenschaftler, die der politischen Führung nicht nahegestanden hatten, begaben sich in die Politik. Nur wenige blieben dort, und was ihrer Wirkung zu verdanken ist, bleibt ambivalent und noch nicht absehbar.



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