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Anfang November begann der Chor und sollte erst einmal bis zum Weihnachtskonzert gehen. Katja hatte den Unterricht erst einmal abgesagt, aber versprochen, im neuen Jahr darüber nachzudenken. Sie war mit Nelly zur Schule gefahren und stand nun in der Aula vor achtzehn kleinen und großen Sängerinnen, Jungen waren keine gekommen.

Im Hintergrund standen die Eltern und hatten noch einige Fragen, danach sangen sie gemeinsam und Katja versuchte sich nach Jahren mal wieder am Klavier. Es funktionierte mehr schlecht als recht, also würde sie üben müssen. Nach einer Stunde verabschiedeten sie sich und hatten vereinbart, sich jeden Donnerstag hier zum Singen zu treffen.

Nelly hatte interessiert zugehört und mit einem Bein mit gewippt. Nun strahlte sie alle an und winkte zum Abschied. Katja ging mit ihr zum Auto und sah schon von Weitem, dass Arne an ihrer Beifahrertür lehnte. Sie überlegte, ob sie heimlaufen sollte, fand das aber albern und trat mit ernstem Gesicht auf ihn zu.

„Na, Herr Nachbar, schon wieder mit Auflauern beschäftigt? Oder wollen Sie Milch borgen?“

„Mann, warum sind Sie denn immer so zickig? Ich bin doch nur nett und höflich. Na, meine süße Prinzessin, hast du fein gesungen?“

„Ane lieb“, sagte Nelly und streckte ihm die Arme entgegen.

Arne nahm sie Katja aus den Händen und küsste das kleine Mädchen auf die Wange. Sie zog an seinem Bart und lächelte versonnen.

„Wir müssen jetzt nach Hause. Setzen Sie Nelly in den Kindersitz?“

Arne nickte und öffnete die hintere Tür. Er setzt Nelly in ihren Sitz und kitzelte sie am Bauch. Nelly kicherte und packte seine große Hand.

„Ane mitkommen.“

Katja beugte sich zu ihr hinunter und sagte: „Der Arne muss jetzt wieder arbeiten. Der kann nicht mitkommen.“

Arne schüttelte den Kopf. Diese Frau war unglaublich hartnäckig, wenn es darum ging, ihn abzuweisen.

„Der Arne kommt dich bald besuchen, ja, meine Kleine? Und wenn die Mama schon mal Arne sagt, kann ich doch auch Katja sagen, oder?“

Er kam um das Auto herum und blieb dicht vor Katja stehen. Sein Lächeln war verwirrend. Katja senkte den Blick und schluckte.

„Oder?“, fragte er noch einmal.

„Meinetwegen. Sie geben ja doch keine Ruhe, also ich … ich meine … ich wollte sagen …du gibst ja doch keine Ruhe. Mann, du bringst mich ganz durcheinander. Bilde dir bloß nichts darauf ein.“

„Ich bilde mir nie etwas ein, Katja.“

Blitzschnell beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Lippen. Ehe Katja reagieren konnte, war er weg. Sie setzte sich kopfschüttelnd ins Auto und fuhr heim.

Am kommenden Tag räumte sie ihr Wohnzimmer um und mietete sich ein Klavier. Es machte ihr viel Spaß, vormittags eine Stunde zu spielen, aber dafür extra in die Schule fahren zu müssen, war ihr auf Dauer zu anstrengend, zumal das düstere, nasse Herbstwetter nicht zum Spazierengehen einlud. Die Firma hatte versprochen, das Instrument noch vor Weihnachten zu liefern. Nelly war immer dabei und hörte gebannt zu. Ab und zu tippte sie auf die Tasten und war fasziniert, weil da Töne herauskamen. Zwei Wochen vor Weihnachten hatte Katja mit ihr einen Termin für einen Besuch im Kindergarten.

„Frau Hardeg, ich freue mich. Hallo Nelly“, sagte die Erzieherin Frau Böllmann und führte Katja und Nelly durch das Haus.

Es gab drei Gruppenräume, in denen bereits Kinder spielten. Bei den ganz kleinen Kindern setze sich Nelly gleich dazu. Ein rothaariges Mädchen gab ihr eine Puppe.

„Es ist wirklich schön hier. Ich glaube, meiner Tochter wird es gefallen. Vielleicht fange ich im kommenden Schuljahr an zu arbeiten.“

„Sie können die Kleine gerne ab und zu bringen. Über die Kosten werden wir uns schon einig. Kleine Kinder brauchen andere zum Spielen und Lernen, aber ich denke, das wissen Sie selbst.“

„Ja, ich sehe, dass Nelly sich wohlfühlt. Kann ich sie eine Stunde hierlassen? Sie spielt gerade so schön.“

Die Erzieherin nickte und Katja ging zu Nelly. Sie beugte sich zu ihr herunter.

„Süße, was denkst du: Willst du noch ein bisschen mit deiner Freundin spielen? Ich hole dich gleich wieder ab.“

„Mama, geh los! Nelly spielt.“

Katja küsste sie auf die Stirn und verließ den Kindergarten. Es fühlte sich merkwürdig an, so als würde sie Nelly abschieben, aber dann sagte sich Katja, dass Frau Böllmann recht hatte, denn der Kontakt zu anderen Kindern war wichtig.

Daheim begann sie zu putzen und setzte sich mit dem Telefon auf den Teppich vor der leeren Wand, hier sollte das Klavier hinkommen. Sie wählte Benjamins Nummer und berichtete vom Chor und dem Kindergarten. Dasselbe tat sie dann nochmal bei Bea, Cora und Marie. Dann war die Stunde um und Katja lief, um Nelly abzuholen.

„Na, sowas“, sagte eine Stimme hinter ihr, „wo ist denn die Prinzessin?“

Katja drehte sich um und sah Arne in die Augen.

„Die Prinzessin ist im Kindergarten und jetzt hole ich sie wieder ab. Wir üben nun immer mal, in den Kindergarten zu gehen, aber nur stundenweise.“

„Sehr gut“, lobte Arne, „Kinder brauchen einander, dann hast du ja vielleicht einmal Zeit, um dir mein Haus anzuschauen.“

„Damit du mich wieder ungestört küssen kannst, oder was? Nein, lass mal, ich bin nicht interessiert.“

„Ach, komm schon, nur einen Kaffee und ein nettes Gespräch. Wir stellen einen Tisch dazwischen. Da bist du sicher vor meinen Küssen. Aber eins muss ich sagen: Du bildest dir ganz schön was ein. Wer sagt dir denn, dass ich dich überhaupt nochmal küssen will?“

Damit drehte er sich um und ging. Katja schaute ihm verdattert nach. Er hatte recht: Vielleicht wollte er sie gar nicht küssen.


Tabu Keine Küsse in der Nacht

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